Wenn Blau im Schwarz ertrinkt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639398
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      „Also?“, durchbrach Nikolajs Stimme ihren Gedankengang. „Wie wäre es mit Marmeladenbrot? Oder haben sich deine Vorlieben inzwischen geändert?“

      „Marmeladenbrot wäre wunderbar!“ Sie schenkte ihm ein dankbares Strahlen.

      Während er zwei Scheiben Brot mit Butter und roter Creme bestrich, sah Gwen sich abermals um. Erst jetzt, auf den zweiten Blick, fiel ihr auf, dass die Wohnung irgendwie kahl und unbewohnt wirkte. Trotz der gängigsten Einrichtungsgegenstände und dem beträchtlichen Vorrat an Büchern.

      „Wohnst du schon lange hier?“

      Nikolaj schob ihr den Teller vor die Nase. „Wie man´s nimmt.“

      „Und was soll das bitteschön heißen? Ist die Frage so schwer zu beantworten?“ Sie tat einen herzhaften Bissen in ihr Brot und genoss das Gefühl etwas in den Magen zu bekommen. Zucker kam ihrem Kreislauf gerade recht.

      „Wohnen wäre vielleicht ein wenig übertrieben. Es ist mehr so was wie ein Ort zum Schlafen – oder eine Zuflucht. Ich würde es nicht als mein Zuhause bezeichnen.“

      „Und wo bist du dann Zuhause?“

      Nikolaj dachte einige Augenblicke lang nach. „Einen anderen Wohnsitz als diesen hier kann ich dir leider nicht anbieten.“

      „Wenn du keine andere Wohnung hast, dann ist diese hier doch sehr wohl dein Zuhause. Oder willst du mir nicht sagen, wo du wirklich lebst? Wo du wirklich Zuhause bist? Ist es ein Geheimnis? So, wie deine Familie eines ist? Dein Nachname? Deine Herkunft?“

      Nikolaj zog die Augenbrauen zusammen. „Hm, ich sehe schon. Immer noch der Sturkopf von früher.“

      „Das hat nichts mit Sturheit zu tun!“, schmatzte Gwen mit vollem Mund und bemühte sich, schnell herunterzuschlucken. „Ich will einfach nur die Antworten, die du mir versprochen hast - falls du dich erinnern kannst. Wenn du mir schon so eine einfache Frage, wie die nach deinem Zuhause nicht beantworten kannst, wie willst du mir dann-“

      „Ich habe nicht gesagt, dass ich sie nicht beantworten kann. Und mein Versprechen habe ich auch nicht vergessen, du Sturkopf.“ Er nahm sich erneut einige Augenblicke Zeit, ehe er weitersprach. „Von mir aus, dann würde ich doch sagen, dass das hier mein Zuhause ist. Vielleicht fehlt mir einfach das Gefühl von Heimat, weil ich nicht so viel Zeit hier verbringe oder weil ein Zuhause nicht nur vier Wände und ein Dach über dem Kopf, sondern weit mehr bedeutet.“

      Gwen dachte kurz über seine Worte nach, beschloss aber, nicht auf die tiefergehende Bedeutung einzugehen, sondern beim Thema zu bleiben. „Und wie lange wohnst du schon hier?“

      Nikolaj goss sich Kaffee nach. „Etwa ein Jahr.“

      „Ich bin vor ungefähr zwei Jahren in die Stadt gezogen. Das gibt’s doch nicht. So nah beieinander und doch so weit entfernt.“

      Sie versank einen Moment in stillem Selbstmitleid, dann bohrte sie weiter, entschlossen ihre Unwissenheit loszuwerden. „Und wo hast du vorher gewohnt? Was hast du vorher gemacht? Warst du bei deiner Familie?“

      „Als du die Stadt verlassen hast, habe ich sie auch verlassen - das habe ich dir ja schon gesagt. Danach war ich viel unterwegs und habe nach dir gesucht. Während dieser Zeit habe ich mal hier mal da geschlafen, je nachdem, was sich angeboten hat und wo ich gerade war.“

      „Aber du warst gerade mal achtzehn“, unterbrach sie ihn. „Hattest du denn einen Job? Du brauchtest doch sicherlich Geld, um zu reisen, eine Unterkunft und deinen sonstigen Lebensunterhalt bezahlen zu können?“

      Nikolaj zuckte mit den Achseln. „Ein Bekannter hat mir einen Job verschafft. Abgesehen davon bekommt man immer irgendetwas in die Finger, das einem ein paar Scheine einbringt. Vor allem, wenn man so beharrlich und charismatisch ist, wie ich. Und solch große Ausgaben hatte ich gar nicht. Keine Hochglanzwohnung. Keine Versicherungen. Keine Freundin.“ Er grinste sie schief an, doch es wirkte nicht überzeugend unbeschwert. „Ich habe also nach dir gesucht, aber deine Eltern waren überaus sorgfältig, was das Vertuschen eurer Spuren anging. Eine Weile habe ich bei dem Bekannten gewohnt, der mir den Job verschafft hat. Vor einem knappen Jahr hat das alles nicht mehr funktioniert, wie ich es wollte. Ich habe mich nach was Eigenem umgesehen und diese Wohnung gefunden.“

      Immer noch wirbelten schwindelnd viele Fragen in Gwens Kopf herum. Welche sollte sie zuerst stellen? „Und warum gerade hier? Warum gerade in dieser Stadt?“

      Nikolajs Kiefer spannte sich an, die Nasenlöcher blähten sich in einem tiefen Atemzug. Es schien ganz so, als hätte er gehofft, dass sie gerade diese Frage nicht stellen würde. Dennoch schien er entschlossen zu antworten. Ehrlich zu antworten.

      „Weil ich dir nahe sein wollte.“ Die Worte füllten den gesamten Raum aus, hallten darin wieder, obwohl es nichts gab, an dem sie sich derart brechen konnten.

      „Was soll das heißen? Mir nahe sein? Du hattest doch keine Ahnung, dass ich hier bin – oder?“

      Nikolaj beugte sich nach vorne, über den Tresen. „Doch. Ich wusste, dass du hier bist. Genau aus dem Grund bin ich hier eingezogen.“

      Gwen fühlte den bitteren Geschmack von Betrug in sich aufsteigen. Das nächste Gefühl, oder mehr, der nächste Impuls, der in ihr aufkam, war der, ihm eine Ohrfeige verpassen zu wollen.

      „Das kann nicht dein ernst sein! Erst suchst du scheinbar sehr ambitioniert nach mir, findest mich endlich und dann meldest du dich nicht bei mir? Lässt mich weiterhin im Ungewissen? Lässt mich alleine? Und das sagst du mir mal so nebenbei? Was, warum …“ Wut und Enttäuschung, sie konnte nicht sagen, was mehr überwog.

      „Ich habe gesagt, dass ich dich nicht anlügen werde, wenn du mir eine Frage stellst.“

      „Ja, aber veralbern ist in Ordnung oder wie?“, schnauzte sie zurück.

      Nikolajs Augen blitzten. „Es gibt für alles einen Grund. Du hast mich noch nicht nach diesem hier gefragt.“

      Gwen spielte mit dem Gedanken das leere Geschirr nach ihm zu werfen oder einfach alles, was sich werfen ließ und in Reichweite war. Ein deutliches Indiz dafür, dass sie nicht sie selbst war. Sie hatte bisher noch nie mit Geschirr um sich geworfen – oder den Drang dazu verspürt.

      „Fein“, riss Nikolaj erneut das Wort an sich. „Ich tue einfach mal so, als hättest du mich nach dem Grund gefragt, warum ich nicht zu dir gekommen bin. Der Grund ist, mir ging es nicht sonderlich gut. Ich war in keiner guten Verfassung. Ich hätte dir nicht gut getan, glaub mir. Ich hab mir nicht mal selbst gut getan. Ich wollte einfach nicht, dass du mich so siehst, das hätte dir noch einen Schock fürs Leben verpasst. Wie hätte ich diese Verantwortung auf meine Kappe nehmen können?“

      Er versuchte ganz offensichtlich die Fakten ins Lächerliche zu ziehen, was Gwen jedoch keineswegs weniger entrüstet dreinblicken ließ.

      „Ich wollte mich erst wieder fangen, bevor ich dich aufsuche und „Hier bin ich“ schreie. Das war keineswegs leicht, aber manchmal muss man Dinge tun, die anderen, Menschen, die einem nahe stehen und wichtig sind, nicht gefallen. Gerade, weil sie einem so wichtig sind.“

      Gwen rieb einige ihrer Haarsträhnen zwischen den Fingern und ließ Nikolajs Worte auf sich wirken. Seit zwei Jahren hätte der Splitter in ihrer Brust verschwinden können. Seit zwei Jahren hätte sie mit den ständigen Fragen um seinen Aufenthalt und sein Befinden aufhören können. Seit zwei Jahren hätte sie sich wieder ganz fühlen können, vielleicht sogar schon früher.

      Sie hatte es nicht eilig die Stille zu brechen und Nikolaj sah wohl ein, dass er nicht derjenige war, der die Option auf das erste Wort verdient hatte.

      Nach einer ausgiebigen Weile sagte sie mit fester Stimme: „Mir wäre es lieber gewesen, wenn du zu mir gekommen wärst, ganz egal, in welcher Verfassung du gewesen bist. Ich hätte lieber gewusst, wie es dir geht und wo du bist, anstatt mich mit Unwissenheit begnügen zu müssen. Diese Entscheidung lag nicht bei dir, du hättest sie mir überlassen müssen. Du hättest mich entscheiden lassen müssen, ob ich dich sehen will und kann oder nicht, ob ich mit deiner