„Das ist gut.“, sagte selbiger nun aufatmend. „Ich danke dir, mein Freund.“, setzte er voller Erleichterung hinzu. Er war froh, wenn er das Problem an Aden Hall weitergereicht hätte. Er vertraute ihm und wusste, dass dieser Mann sich keineswegs so sehr vor der Polizei oder dem Staat fürchtete wie er selbst. „Bis in ein paar Stunden.“
Orlando legte auf und streckte sich neuerlich auf dem Bett aus. Mittlerweile war es drei Uhr am Morgen und er hatte noch immer das Bedürfnis, sich auszuschlafen. Er hasste den Jetlag, der sich, sooft wie er flog, jedoch nicht immer vermeiden ließ. Nun jedoch hatte er keine Zeit zum Schlafen. Er musste einige wichtige Anrufe tätigen, ehe er versuchen konnte, noch ein wenig zu schlafen. Zuerst einmal musste er einen Verbündeten anrufen, der den Flüchtling beherbergen würde, bis dieser andere Papiere hatte. Um an diese Papiere zu gelangen, musste er einen weiteren Anruf tätigen. Allerdings hatte er zu diesem Zweck ein Haus hier in Spanien gekauft, wo drei seiner Freunde lebten und sich um Angelegenheiten wie diese kümmerten. Dennoch würde das Fälschen der Papiere ein paar Tage in Anspruch nehmen, da sie gut genug sein mussten, um dem Iraker ein neues Leben zu ermöglichen.
Als Orlando um halb acht in die Küche seines Elternhauses trat, hatte er es nicht geschafft, noch einmal zu schlafen. Einer seiner Freunde, die für ihn Flüchtlinge aufnahmen und beherbergten, war zurzeit nicht in Spanien und deshalb hatte er länger als erhofft herum telefonieren müssen, ehe er einen Ersatz gefunden hatte. Dafür würde der Iraker noch knapp fünf Stunden Autofahrt hinter sich bringen müssen, weil er erst einmal in Verín, nahe der Grenze zu Portugal, unterkommen würde.
Das Frühstück für die Familie wurde bereits vorbereitet, obgleich keiner in seiner Familie freiwillig vor zehn aufstand. Auch Orlando schlief gerne lange, aber diesen Luxus hatte er sich schon sehr lange nicht mehr leisten können. Jetzt war er als einziger der Bewohner wach.
Die Köchin und deren Gehilfen blickten ihn alle mit Verwunderung an, da auch sie nicht gewohnt waren, ihre Arbeitgeber so früh zu sehen.
„Don Orlando, Sie seien früh wach.“, merkte die griechische Köchin im akzentlastigen Spanisch an. „Wir nicht erwartet haben, so früh zu bedienen.“
Orlando lächelte schräg. „Das müssen Sie auch nicht.“, sagte er und schenkte sich selbst Kaffee ein. „Ich kann mir mein Frühstück selbst nehmen. Danke.“, fügte er hinzu. Er nahm sich einen der Teller, die bereits zum späteren Servieren bereitgestellt worden waren, füllte sich etwas von dem fertigen Rührei auf, nahm sich ein Brötchen und legte eine Scheibe frischen Fleisches darauf. „Wo ist Bertosloni?“, wollte er wissen.
Die Köchin wies ihn zum Wohnzimmer, wo dieser gerade die Nachrichten schaute, während er Staub wischte, was natürlich nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Doch so lange sein Boss noch schlief, hatte er nichts weiter zu tun und ehe er sich langweilte, übernahm er lieber einige Aufgaben im Haushalt.
Orlando ging zu ihm herüber und aß bereits im Gehen. Im Türrahmen blieb er stehen und grinste Bertosloni amüsiert an. „Das musst du nicht machen.“, sagte er. „Auch wenn es wirklich bezaubernd aussieht.“, setzte er scherzend hinzu.
Der große Mann ließ den Staubbesen sinken und blickte Orlando mit einem verlegenen Lächeln an. „Vielen Dank.“, sagte er ironisch. „Als du noch nicht so groß und angsteinflössend warst, hast du mir besser gefallen.“, setzte er, ebenfalls im Scherz, hinzu. Er kannte Orlando seit dieser zwölf war und hatte ihm dabei zugesehen, wie er sich von einem rüpelhaften Jungen zu einem beeindruckenden Mann entwickelt hatte. Und obgleich Bertosloni ihm eigentlich unterstand, waren sie eher Freunde und gingen locker miteinander um. Auch dies schätze Bertosloni am Sohn des Dons.
Orlando lachte herzlich. „Kann ich mir denken.“, erwiderte er und setzte dann eine geschäftliche Miene auf. „Ich brauch’ den Schlüssel zum Offroader.“, sagte er dann. Dieser war einer seiner eigenen Wagen, den er jedoch absichtlich in der Garage seines Elternhauses ließ, damit er auch hier stets mobil blieb. „Kannst du irgendwen bitten, mir den Wagen vorzufahren? Dann schaffe ich es vielleicht noch, zu duschen.“
„Natürlich.“, antwortete Bertosloni. „Ich fahr ihn dir vor.“
Orlando nickte zufrieden. „Danke, Samir.“, sagte er. Orlando war der einzige, der Bertosloni hin und wieder beim Vornamen nannte. Er tat es hauptsächlich deshalb, weil er ihn schon als Kind gekannt hatte und ihn damals nur Samir genannt hatte. Dann ging Orlando und kam dem nach, was er seinem Freund gegenüber angekündigt hatte.
Als er in der Nähe des Grundstückes der Familie Sazès ankam, blickte er sich bereits während der Fahrt nach einem geeigneten Ort zur möglichen Hubschrauberlandung um. Er fuhr direkt an der Küste entlang und unterhalb der Klippen verbargen sich die schönsten Strände.
Die Sazès hatten ein großes Haus, was von der Straße aus jedoch nicht zu sehen war, so groß war der Garten. Um dieses Grundstück herum herrschte völlige Abgeschiedenheit. Die Menschen, die hier lebten, hatten vermutlich diesen Ort gewählt, da sie hier keine unmittelbaren Nachbarn hatten. Nur Klippen und Wasser.
Orlando fuhr weiter. Er erinnerte sich an einen von einer breiten Klippe versteckten Strand, wo er, als er noch Zeit für Vergnügungen gehabt hatte, immer gesurft war. Oberhalb des Strandes befand sich eine riesige Grünfläche, die ungenutzt war.
Orlando fuhr dort hin und sah, wenn er den Hügel hinaufblickte, das Haus der Familie Sazès auf einer Erhöhung. Orlando parkte und stieg aus dem Wagen aus. Die Grünfläche wäre ideal zur Ladung geeignet, zumindest ein Hubschrauber hätte hier genug Platz. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er, dass Mohhabed mit einem solchen herfliegen würde. Alles andere wäre unmachbar. Santander war eine Küstenstadt mit Häfen und Stränden, aber um ein Flugzeug zu landen brauchten man sehr viel mehr gerade Fläche, als er hier finden würde.
Orlando steckte sich eine Zigarette an und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war neun Uhr. Die freie Hand schob er in die Hosentasche und rauchte, während er sich wartend gegen sein Auto lehnte.
Und dann hörte er ein lautes Motorengeräusch, dass sich, dem ansteigenden Dröhnen nach zu urteilen, auf ihn zu bewegte. Wenige Sekunden später erkannte er den Hubschrauber in der Ferne.
Unmittelbar nachdem der Hubschrauber gelandet war, sprangen zwei männliche Personen heraus. Der Lärm, den der Propeller machte, war ohrenbetäubend. Orlando blieb bei seinem Wagen stehen, denn er erkannte Mohhabed auch aus dieser Entfernung. Der Iraker erkannte ihn ebenfalls, winkte ihm zu und nickte dankbar. Er nahm dem Flüchtigen die Kopfhörer ab und drückte ihm einen Koffer in die Hand. Im nächsten Moment war er wieder in den Hubschrauber gestiegen, welcher unverzüglich wieder abhob.
Der andere Mann machte sich auf den Weg zu Orlando. Während er ging, hielt er sich die Hände ungeschickt über die Ohren, was ihn alles in allem sehr tollpatschig aussehen ließ. Orlando fragte sich augenblicklich, warum dieser unauffällige, harmlos wirkende Mann von der amerikanischen Regierung gesucht wurde.
Als der Iraker vor ihm stand, war der Hubschrauber bereits wieder am Himmel verschwunden. Orlando erkannte die Schweißperlen auf der Stirn seines Gegenübers. Dennoch lächelte der Iraker erleichtert und streckte Orlando die Hand entgegen, die dieser nach kurzem Zögern ergriff und schüttelte.
„Mr. Hall, mein Name ist Khaled…-“
„Sie werden schon bald einen anderen Namen haben.“, unterbrach Orlando ihn sogleich.
Khaled nickte kurz, verunsichert. Er empfand dem Fremden gegenüber sehr viel Respekt und war dennoch von der kühlen, beherrschenden Erscheinung eingeschüchtert. Dass Khaled durch die dunklen Gläser der Sonnenbrille die Augen des Mannes nicht sehen konnte, förderte seine Zuversicht nicht gerade. Der von den Handgelenken bis zum Hals tätowierte Oberkörper des Mannes tat sein Übriges, um Aden Hall gefährlich aussehen zu lassen. Er fühlte sich plötzlich an seine Schulzeit erinnert, wo er von den sportlichen Jungs wegen seiner Intelligenz gehänselt wurde. Er war sich sicher, dass Aden Hall, wären sie einander