Dieser stieg nun aus dem Pool und als er Orlando umarmen wollte, wich dieser schnell zurück.
„Schon gut, Alejandró. Du hast dir Sorgen gemacht. Aber jetzt genug der Liebe.“, sagte er, um nicht erneut von seinem Vater nass gemacht zu werden.
Alejandró lachte verstehend. Er hätte seinem Sohn gern den Arm um die Schultern gelegt, aber dieser überragte ihn um mehr als einen Kopf, sodass es ihm längst unmöglich geworden war. Sie gingen gemeinsam in den Schatten der Veranda. „Du musst mir alles erzählen, ehe ich dir meine neuesten Nachrichten verrate.“, sagte er und klopfte Orlando stolz, aber knapp auf die Schulter.
„Ich geh’ mich erst umziehen.“, erwiderte Orlando. „In England ist es sehr viel kälter als hier.“
Alejandró blickte auf die dickere Kleidung seines Sohnes und nickte verständnisvoll. „Aber dann musst du mir Bericht erstatten, ehe du die Weiber begrüßt.“
Orlando nickte zustimmend und ging dann ins Haus.
Die Villa hatte unzählige Zimmer, für die Alejandró alle eine besondere Verwendung gefunden hatte. Orlando selbst hatte in seinem Elterhaus drei Zimmer, obwohl er nicht einmal mehr hier wohnte. Ein Zimmer diente ihm als Aufenthaltsraum, das zweite als Büro und das dritte als Schlafzimmer, an das sich ein Bad anschloss. Orlando hatte auch noch immer Kleidung hier und ansonsten alles, was er brauchte. Und dennoch fühlte er sich in seinem eigenen Haus, was ums Vielfache kleiner war, wohler. Er hatte eine sonnenüberflutete Terrasse an seinem Schlafzimmer, eine große, offene Küche und ein ganzes Untergeschoss, dass er noch nicht einmal richtig fertig gestellt hatte.
Orlando ging die rechte Treppe von der Eingangshalle aus hinauf und betrat sein Schlafzimmer. Seine 22-jährige Schwester Carmen und seine 20-jährige Schwester Bonita bewohnten den gleichen Trakt der Villa wie er, wenn er denn da war. Seine Schwestern Esmeralda und Sandrine, die 17 und 15 Jahre alt waren, den Trakt der Eltern auf der linken Seite der Villa.
Während Orlando sich in seinem Schlafzimmer sommerliche Kleidung anzog, hörte er Bonita gedämpft sprechen. Er vermutete, dass sie wieder mit einem ihrer männlichen Bekanntschaften telefonierte. Carmen konnte er nicht hören und nahm deshalb an, dass sie beim Tennis war. Sie war eigentlich immer beim Tennis. Während Bonita und Esmeralda nur die Männer im Kopf hatten, waren Carmen und Sandrine auf ihre jeweiligen Sportarten fixiert. Carmen war eine ehrgeizige und auch sehr gute Tennisspielerin und Sandrine liebte den Reitsport und nahm seit ihrem neunten Lebensjahr an Turnieren teil. Orlando selbst war in seiner Jugend in beinahe jeder Sportart gut gewesen, aber je älter er wurde, desto weniger hatte er die Zeit für Sport gefunden. In seiner Schulzeit war er einmal ein sehr guter Schwimmer gewesen und hatte für das Basketballteam der Privatschule gespielt.
Orlando stand im Badezimmer und rasierte sich seine Kopfhaare neuerlich ab und entschied sich während dessen, auch den beginnenden Bart nicht stehen zu lassen. Schon morgen früh wären die Bartstoppeln jedoch wieder deutlich sichtbar, das wusste er aus Erfahrung.
Seine Gedanken waren jedoch nicht auf seine Arbeit gerichtet und so schnitt er sich in die rechte Wange und stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus. Er wusch den Rasierschaum von dem Schnitt und fuhr dann unbeirrt fort. Noch immer hafteten seine Gedanken an der wunderschönen Frau aus London, die sich für heimatlos hielt. Besonders ihre Augen hatten es ihm angetan, sie waren wie Bernsteine und funkelten voll Wärme und Leben. Wann immer er ihr länger in die Augen geblickt hatte, hatte er geglaubt einen Windsturm zu spüren, der ihn direkt in ihre Arme trug, als würde die Gravitation ihn nicht länger zur Erde, sondern zu ihr ziehen. Und ihr Lächeln! Ihre weißen, ebenen Zähne und die kleinen Grübchen, die sich dabei auf ihren Wangen abzeichneten, hatten ihn immer dazu gezwungen, auch zu lächeln. Er war wahrhaftig niemals zuvor einer so schönen, anmutigen Frau begegnet, die ihn dann auch noch ablehnte. Sie war die erste Frau, die ihm unnahbar, unerreichbar erschien und er fragte sich ununterbrochen, ob er sie, wenn sie sich jemals wieder sehen sollten, doch noch von seinen Vorzügen überzeugen könnte. Zwar hatte sie ihm erzählt, dass sie einen Verlobten hätte, den sie schon bald heiraten wollte, aber dies bedeutete ihm nichts. Wenn sie ihn nicht liebte, hätte er vielleicht eine Chance bei ihr. Und wenn dem so wäre, dann wäre eine Ehe mit diesem Arzt ohnehin sinnlos.
Orlando schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken zu vertreiben. Wenn seine Mutter wüsste, woran er seit dem Flug jeden einzelnen Gedanken verschwendete, hätte sie augenblicklich versucht, diese Frau zu finden und sie ihm zur Ehefrau zu machen. Orlando musste darüber grinsen. Dann wusch er sich sein Gesicht und den Kopf und trat die Treppen hinunter um sich einer Unterhaltung mit seinem Vater zu stellen. Diese fielen ihm nur deshalb gelegentlich schwer, weil er seinen eigenen Vater belog um ihn aus seinen Angelegenheiten heraus zu halten.
Alejandró wartete bereits ungeduldig in seinem Arbeitszimmer auf seinen Sohn. Da das Thema ihrer Unterhaltung brisant sein würde, hatte er die Veranda gegen das abhörsichere Büro getauscht.
Orlando nahm in dem kühlen Raum Platz und ließ sich von einem Bediensteten ein kaltes, mexikanisches Bier reichen, ehe dieser die Tür von Außen schloss.
Als er mit seinem Vater alleine war, musterte er ihn einen Moment lang forschend. Der Mann hatte mit dem Alter an Gewicht zugenommen, was sich jedoch hauptsächlich auf seinen Bauch ausgewirkt hatte. Seine Haut war durch die Sonne sehr gebräunt, allerdings verdeutlichten die vielen Falten, dass er die 60 Jahre schon überschritten hatte. Einzig seine Augen und seine würdevolle Haltung verrieten einen Jedem, dass der Geist dieses Mannes noch so hervorragend funktionierte wie in jungen Jahren. Vielleicht verschaffte er sich durch seinen Blick den verdienten Respekt. Alejandró hatte kurzes schwarzes Haar, was noch immer nicht lichter geworden war. Und auch sein Bart, der um seine Mundpartie herum wuchs und filigran gestutzt wurde, war noch immer nicht ergraut. Wenn er einen seiner teuren Anzüge trug, wirkte er weniger dicklich als breit und elegant.
Orlando war sich sicher, dass sein Vater bereits wusste, dass der Mord erfolgreich durchgeführt worden war, denn sonst hätte er sicher mehr Ungeduld an den Tag gelegt und auch schon vor seiner Ankunft versucht, ihn zu erreichen. Nun fragte er sich, was Alejandró bereits unternommen hatte, um seinen Plan der Vollendung näher zu bringen. Und er fragte sich, ob sein Vater mit dem Bruder von Ristova Geschäfte eingehen würde, oder ob auch Wladimir Vostinov ihm ein Dorn im Auge war.
„Also, erzähl’ mir alles, mein Sohn.“, forderte Alejandró ihn mit vor Spannung funkelnden Augen auf.
Orlando nippte an seinem Bier und setzte sich entspannt im Stuhl zurecht, indem er seinen Fuß über das Knie legte. „Ich bin nach London geflogen, habe Ristova ausfindig gemacht, mir ein Hotelzimmer unter falschen Namen gebucht und ihn daraus erschossen, als er gerade von einem Schiff aus an Land gehen wollte.“, sagte Orlando rekapitulierend. Ausschmückungen waren nicht seine Art, ebenso wenig wie Eigenlob. Es war offensichtlich, dass er nicht vorhatte, ins Detail zu gehen. Sein Vater blickte ihn noch immer erwartungsvoll an, also setzte er hinzu: „Die Russen waren wütend, mein’ ich, aber auch zu ignorant, als dass sie mich verdächtig gefunden hätten als ich sie, unmittelbar nach dem Anschlag, beobachtete.“
Alejandrós Miene wurde ärgerlich. „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du vorsichtig sein sollst?“, fragte er, sowohl aus Besorgnis um das Leben seines Sohnes heraus, als auch aus Sorge um sein Geschäft und seinen Ruf. „Und du erzählst mir, du hast sie direkt danach seelenruhig beobachtet, anstelle dich in Sicherheit zu bringen! Was wenn sie dein Gesicht erkannt haben und sich später daran erinnern?“
Orlando zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Das wäre nur unvorteilhaft, wenn du gedenkst, mit ihnen zusammen zu arbeiten und dabei meine Hilfe bräuchtest.“, sagte er. An dem Blick seines Vaters erkannte er, dass er ins Schwarze getroffen hatte. „Und wie sind die Verhandlungen gelaufen? Hast du die Franzosen verdächtig machen können, so wie du es geplant hattest?“
Alejandró ärgerte sich maßlos über die unverhohlene Überlegenheit, die sein Sohn über ihn