„Ich arbeite für ein großes Unternehmen und vertrete die Firma im Ausland.“, log er. Dann beschloss er, das Thema schnell wieder auf sie zu lenken. „Was genau machen Sie für das Rote Kreuz? Sind Sie Ärztin?“
Christina lächelte. Es schmeichelte ihr, dass er sie für eine Ärztin hielt, da sie nie die Selbstdisziplin aufgebracht hatte, auch nur ihr Abitur zu machen. Sie hatte dafür keine Zeit gehabt, hatte stattdessen die Welt bereist, Kontakte geknüpft. Sie war auch zu jung, gerade erst im Januar war sie 23 geworden. „Ich bin Krankenschwester.“, log sie. In Wahrheit übernahm sie die organisatorischen Angelegenheiten für den Roten Halbmond und das auch nur, damit sie eine glaubhafte Tarnung hatte. Für Damian half sie gelegentlich im Krankenhaus als Schwester aus, aber sie hatte es nicht besonders mit der Pflege von Kranken. Die Reise nach Spanien galt ihrer eigentlichen Arbeit, aber von ihren geheimen Aktivitäten durfte niemand etwas erfahren, den sie nicht brauchen konnte. Dieses Geheimnis bewahrte sie gut und es machte sie vorsichtig.
„Und darf ich fragen, warum Sie nach Spanien fliegen?“, wollte Orlando wissen. „Arbeiten Sie dort?“
„Ja.“, log Christina sogleich. Augenblicklich fragte sie sich, wie sie ihn von sich ablenken konnte. Sie war sich sicher, dass auch er nicht gerne von sich sprach und schlussfolgerte, dass sie beide Dinge zu verbergen hatten. Allerdings war sie neugierig geworden und wollte wissen, was sein Geheimnis war. „Wenn ich ehrlich bin, sehen Sie nicht gerade aus wie ein Firmenvertreter, Aden.“
Orlando lächelte. Ihr Scharfsinn entging ihm nicht und ihm war bewusst, dass eben das sie gefährlich für ihn machte. Und doch reizte es ihn auch. Sie reizte ihn. „Welcher Beruf würde denn Ihrer Meinung nach zu mir passen, Christina?“
Sie blickte ihn überrascht an, weil er nicht Luna gesagt hatte. Er hatte, wahrscheinlich zufällig, ausgerechnet den Namen ausgesucht, der ihr am nächsten war. Doch sie ließ sich ihre Unsicherheit nur einen kleinen Moment lang anmerken. Im nächsten Moment lächelte sie wieder voller Selbstsicherheit. „Sie haben den Körper eines Kämpfers.“, antwortete sie und erkannte, wie etwas in seinen Augen auffunkelte, was sie nicht zu deuten vermochte, sie jedoch an Furcht erinnerte. „Ich dachte, Sie wären vielleicht Soldat oder so etwas.“
„Tja, ich war mein Leben lang ein leidenschaftlicher Sportler.“, sagte er und versuchte seine Unruhe zu verbergen. „Und was machen Sie, neben Lebenretten?“
Sie grinste. „Gewöhnlich lese ich Bücher.“, sagte sie und hob kurz das Buch in ihrer Hand. Es war eine charmante Anspielung auf seine Penetranz gewesen und sie brachte ihn zum Lachen.
„Und ich nehme an, Sie sind Tänzerin.“, tippte er schließlich.
Sie blickte ihn mit einem verwunderten Lächeln an. „Wie kommen Sie darauf?“
Er blickte zu ihren Beinen herab. „Sie halten die Muskeln Ihrer Beine permanent unter Spannung und Sie haben eine ungewöhnlich anmutige Haltung. So gerade.“, antwortete er aufrichtig.
Christina lachte herzlich. „Nein, ich bin keine Tänzerin.“, antwortete sie ehrlich. „Ich war mein Leben lang eine leidenschaftliche Sportlerin.“, gab sie neckend seine Aussage wieder. In Wahrheit hatte sie sehr viele Kampfsportarten erlernt, um in einem Kampf nicht wehrlos zu sein und auch, weil sie sich fit halten musste. Sie war durchtrainiert, aber nur, weil sie übte, wann immer sie die Zeit dafür fand.
Orlando lachte amüsiert und sah sie danach einfach nur fasziniert an.
Sie blickte ihn etwas verlegen an und lächelte. „Trotzdem werde ich nicht mit Ihnen ausgehen.“, sagte sie, als sie diese Frage von seinem Gesicht hatte ablesen können. Er lachte und steckte sie damit an.
Nachdem das Flugzeug gelandet war und Christina und Orlando gemeinsam ihr Gepäck in Empfang genommen hatten, blieben sie voreinander stehen.
Christina war überrascht, wie gut sich die Unterhaltung mit Aden Hall entwickelt hatte. Er war ein sehr charmanter und humorvoller Mann. Sie hatte sich mit ihm sowohl über Politik, als auch über, ihrer Meinung nach, überflüssige Fernsehsendungen unterhalten können. Niemals zuvor hatte sie sich während eines Fluges so sehr entspannen können. Allerdings hatte ihr niemals zuvor ein Mann schon nach so wenigen Stunden so gut gefallen. Ich könnte mich in ihn verlieben, dachte sie. Um das zu vermeiden, reichte sie ihm nun förmlich die Hand. „Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Aden.“, sagte sie lächelnd.
Er schüttelte ihre Hand und ließ sie danach nicht los. „Mich hat es noch viel mehr gefreut, Christina.“, erwiderte er und lächelte ebenfalls. „Und? Weigern Sie sich noch immer mit mir auszugehen?“
Sie lachte, weil es ihm offensichtlich nicht peinlich war von ihr abgelehnt zu werden und weil er, jedes Mal, wenn er sie um ein Date bat, unheimlich anziehend auf sie wirkte. Er war selbstsicher und seine Selbstsicherheit wirkte selbstverständlich, natürlich. Sie machte ihn mit aus und das gefiel ihr. „Ja, ich muss wirklich weiter.“, lehnte sie dennoch ab. „Zeit ist Geld, Mr. Hall.“, setzte sie grinsend hinzu.
„Dann kann ich nur hoffen, dass der Zufall uns noch ein weiteres Mal zusammen führen wird.“, sagte er und stellte fest, dass es der Wahrheit entsprach. Er wollte sie unbedingt wieder sehen, aber er konnte sie schließlich auch nicht zwingen, sich darauf einzulassen.
„Das würde dann doch eher an Schicksal, als an Zufall erinnern.“, sagte sie und entzog ihm dann ihre Hand, um die Griffe ihrer Tasche aufzunehmen. „Auf Wiedersehen und viel Erfolg auf Ihrer Reise.“
Orlando lächelte. „Ihnen auch. Sofern Spanien nicht Ihre Heimat ist?“, sagte er, weil er nicht sicher war, ob sie privat oder geschäftliche Gründe für ihre Reise hatte.
„Ich habe keine Heimat, Aden. Meine beste Freundin nennt mich die Heimatlose.“, sagte sie und lächelte dabei ohne Reue.
Er erwiderte das Lächeln. „Dann passen Sie auf sich auf, heimatlose Christina, egal wo Sie sind.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen und blickte sie an.
Einen Moment lang, glaubte er in ihren Augen eine gewisse Verwunderung zu erkennen, doch dann lächelte sie und nickte ihm leicht zu. Sie drehte sich um und ging zum Ausgangsportal des Gebäudes. Orlando blickte ihr nach und fragte sich, ob sie das wirklich war, heimatlos. Er hatte vielmehr das Gefühl, sie wäre überall auf der Welt Zuhause.
Kapitel 3
Santander, Spanien, Zwölfter März 2003
Alejandró war zwei Tage nach der Beerdigung wieder Zuhause angekommen. Er hatte mit Wladimir Vostinov Verhandlungen über die Aufteilung von Ristovas Machtbereichen geführt und war mit dem Ergebnis zufrieden. Immerhin hätte der Russe nicht teilen zu brauchen. Er hätte das russische Monopol selbst befehligen können, aber er schien zu wissen, dass er Alejandrós Hilfe nur dann bekäme, wenn er ihm ein verlockendes Angebot unterbreiten konnte. Und so hatte er Alejandró einige der wichtigen Machtgebiete in Europa überlassen, ihm die bestimmten Kontaktmänner in diesen Bereichen genannt und ihm seinen neuen Geschäftspartner Sergej Waczynski vorgestellt. Alles verlief nach Plan, wenngleich er auch Rückschläge hatte hinnehmen müssen.
Am frühen Abend kühlte er sein Gemüt im Pool ab. Er schwamm nicht, sondern trank einen Cocktail, wobei er weiterhin im Wasser saß, als sein Sohn neben ihn trat.
Orlando hockte sich zu ihm herunter.
Alejandró blickte freudig überrascht drein. Er legte seine nassen Hände an Orlandos Wangen und küsste ihn überschwänglich