Sallys misstrauischer Blick ruhte auf ihrem Gesicht. „Ich verstehe dich nicht.“, sagte sie aufrichtig. „Du bist doch überhaupt nicht der Typ Frau, der dumme Entscheidungen trifft.“
Christina versetzte ihr einen freundschaftlichen Knuff, während sie kicherte. Im Grunde wusste sie, dass Sally Recht hatte. Sie hatte niemals dumme Entscheidungen getroffen und sie hoffte, dass es auch dieses Mal gut ausgehen würde. „Ich glaube, ich liebe ihn.“, sagte sie schließlich. Im nächsten Moment ärgerte sie sich, weil sie der Aussage die Überzeugungskraft durch das „glaube“ genommen hatte. Sie war eine glaubwürdige Lügnerin, wenn es darauf ankam. Und vielleicht gelang es ihr nun nicht, weil sie nicht sicher war, was Damian ihr bedeutete, ob er ihr etwas bedeutete. Doch sie brauchte ihn und würde ihn heiraten. „Im Ernst, Sally.“, versuchte sie es erneut. „Im Irak wartet ein neues Leben auf mich und ich bin aufrichtig gespannt, wie es sein wird.“
„Aber im Irak, Luna?“, fragte Sally misstrauisch und traurig zugleich. Sie selbst war eine einfache Verkäuferin in einem Modehaus und hatte London noch nie verlassen, obgleich sie zwei Jahre älter war als ihre Freundin. Sie würde sich heimatlos fühlen in einem so fernen Land, aber sie wusste auch, dass ihre Freundin in dieser Beziehung ganz anders war als sie selbst. Sally hatte keine Ahnung, womit Luna ihr Geld verdiente, aber ihr war, nicht erst seit sie von ihr in dieses Hotel eingeladen worden war, klar, dass Luna davon nicht wenig verdiente. Anfangs hatte Sally geglaubt, Luna wäre vielleicht ein Model. Sie war groß und schlank, hatte die perfekten Maße und ein ungewöhnlich schönes Gesicht. Und sie reiste viel, schien immer beschäftigt zu sein und war offenbar reich. Und doch hatte Luna ihr nie gesagt, womit sie tatsächlich ihr Geld verdiente. Sie hatte zumindest nicht die Wahrheit gesagt, denn Sally war natürlich klar, dass man beim Roten Kreuz nur schwerlich reich werden konnte.
Sally seufzte. „Das ist so weit weg und es ist auch so gefährlich dort.“, fuhr sie fort. „Wie willst du überhaupt neue Bekanntschaften machen, wenn du die Sprache nicht sprichst?“
„Aber ich spreche die Sprache!“, erwiderte Christina lachend.
„Ich weiß.“, erwiderte Sally und machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung. Sie lehnte sich erneut an ihre Freundin und umarmte sie, während ihr Tränen über die Wangen liefen. „Ich will einfach nicht, dass du gehst.“
Nun stiegen auch Christina die Tränen in die Augen. Sie legte ihren Kopf auf Sallys Beine und ließ sich ihre Haare streicheln, während sie an die Decke schaute. „Wenn es mir nicht gefällt, komme ich einfach wieder zurück.“, sagte sie und meinte es ganz genauso. „Ich kann doch bei dir wohnen?“ Sie blickte ihre hübsche Freundin lächelnd an.
Sally erwiderte das Lächeln, während sie noch immer schluchzte. „Natürlich.“, sagte sie. „Am liebsten wäre es mir, wenn du jetzt schon bei mir einziehst und wir das mit dem Irak einfach überspringen.“
Christina lachte leise. Sie liebte ihre beste Freundin und vermisste sie schon jetzt. Dennoch hatte sie eine Entscheidung gegen sie getroffen und für Damian, wenngleich sie diese Entscheidung nicht aus Liebe zu seinen Gunsten getroffen hatte. Sie wagte nicht, Damian hierbei zu enttäuschen, denn sie brauchte sein Wohlwollen, damit er ihr gab, was sie eigentlich von ihm wollte. Er war ihr Verlobter, ein amerikanischer Art, der gute alte Freundschaften zum amerikanischen Militär pflegte, und er versprach ihr ein gutes Leben an seiner Seite. Und wenn sie ehrlich war, war da nicht nur der Nutzen, den sie aus ihm und seinen Kontakten für sich und ihre Leute ziehen könnte, sondern sie hoffte auch aufrichtig, dass ihr Leben mit ihm funktionierte. Sie wollte eine solche Erfahrung auch einmal machen. Sie wollte sich leidenschaftlich verlieben, bis zur Erschöpfung streiten und atemberaubenden Sex haben. Sie wollte mit einem Mann zusammen leben und seine Eigenarten kennen lernen. Sie wollte auch, dass ein Mann alles von ihr kennen lernte, aber sie wusste, dass das nicht möglich war. Damian würde es nie erfahren, oder zumindest so lange nicht, wie sie ihre Geheimnisse wahren musste. Und sie selbst war in emotionaler Hinsicht, mit keinem Mann bisher, leidenschaftlich gewesen. Es lag an ihr. Sie konnte sich nicht öffnen, behielt gerne die Kontrolle und hatte kein großes Interesse daran, Menschen an sich heran zu lassen. So sehr Damian sich auch bemühen würde, sie würde sich ihm niemals öffnen.
„Kommst du wenigstens wieder um mich zu besuchen?“, fragte Sally und blickte traurig in die Ferne.
Christina richtete sich auf, blickte sie an und griff ihre Hände. „Natürlich.“, sagte sie und meinte es ebenso. „Ich bin heimatlos, schon vergessen?“, scherzte sie lächelnd. „Und vielleicht kommst du mich auch mal in Bagdad besuchen. Wenn Damian und ich uns erst einmal in seinem Haus eingerichtet haben.“
Sally musste sich einen skeptischen Kommentar verkneifen. Ihre Freundin sprach immer so, als wäre Damian nur ein Lebensabschnitt für sie. Das lag nicht an ihm direkt, es war so ihre Art. Es fiel ihr schwer sich zu binden, sogar an ein Land. Und doch wünschte sie sich für ihre Freundin nur das Beste. Sie war zwar eigensinnig und seltsam, aber auch ihre beste Freundin. Sie konnte großzügig und uneigennützig sein, sie hatte Humor und war ungemein schlau. Sie hatte ein gutes Leben verdient. „Wenn Damian nicht gut zu dir ist, komme ich persönlich vorbei und trete ihm in den Arsch.“, versicherte sie über ihre Gedanken hinweg.
Christina lachte. „Ich hoffe, so weit muss es nicht kommen. Und du besuchst mich in friedlicher Mission.“, sagte sie amüsiert.
Sally nickte und küsste ihre Wange. „Natürlich werde ich nach dir sehen…oder dich zumindest immer zu anrufen.“, sagte sie und umarmte ihre Freundin. „Ich hoffe doch, du bezahlst dann meine Telefonrechnung, ich werde mir das wohl nicht lange leisten können.“
Christina lachte. „Abgemacht.“
Sally schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaub’ einfach nicht, dass du heiraten wirst.“, sagte sie und war über diese Nachricht noch immer überrascht. „Du bist doch Miss Heimatlos und Miss Geheimnisvoll. Dass du dich an Damian bindest, das glaube ich erst, wenn ich es sehe.“
Christina lächelte und nahm ihr die Worte nicht übel. Sally war ehrlich und das hatte Christina immer an ihr geschätzt. Auch hatte sie sie nie gedrängt, ihr ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Mit der Zeit war sie daran gewöhnt gewesen, dass es eben so war. Und diese Eigenschaft von Sally war ungemein kostbar für Christina. „Vielleicht sollten wir langsam los gehen.“. sagte sie und erhob sich mit der Flasche in der Hand. Sie musste sich noch immer betrinken, um nicht in Panik davon zu laufen. Denn Sally hatte Recht. Sie liebte ihre Unabhängigkeit, ihre Freiheit und hatte ihre Geheimnisse.