Als Paddy die Telefonzelle auf seinem Weg vom Waschraum ins Roadhouse passierte, winkte Frank ihm lächelnd zu. Der Aborigine nickte freundlich zurück.
Frank wechselte den Hörer an das linke Ohr und drehte sich ein wenig in die andere Richtung.
„Wenn ich es dir doch sage... Nein, habe ich nicht. Vor morgen Abend sind wir bestimmt nicht da... Ja... ich versprech’s. Dann melde ich mich wieder... Nein. Vorher geht gar nichts...“ Er wurde jetzt lauter und antwortete fast zornig. „Ich bin hier im Outback...!“ Er schaute sich auf dem Parkplatz um. Paddy war nicht mehr zu sehen. Der Apparat tutete mehrmals in kurzen Abständen. Frank steckte seine letzte Münze hinein. „Nein, niemand hat bis jetzt etwas gemerkt... Gut...“
Mit einem Klicken war die Verbindung beendet. Die Münze fiel scheppernd in die Kasse. Frank hängte den Hörer ein und verließ genervt die Telefonzelle. „Blöde Kuh!“
Nach einer knapp zweistündigen Rast setzte die Such-Expedition ihre Fahrt fort. Noch immer flirrte die Luft über einer glutheißen Erde und ließ imaginäre Wasserspiegel entstehen, obwohl die Sonne längst ihren Zenit verlassen hatte und sich langsam dem Horizont im Westen zuneigte. Dianne und Paddy bildeten diesmal die Spitze des Konvois. Weit vor ihnen tauchte mitten auf der Piste etwas Dunkles auf, das sich bewegte. Als sie näher herankamen, erkannten sie einen Adler, der offensichtlich auf einem Kadaver saß und sich daran zu schaffen machte. Noch drohte dem Tier keine Gefahr. Aber schließlich erhob es sich mit seinen mächtigen Schwingen etwas schwerfällig in die Luft und verschwand im Buschland, das mit vielen Eukalyptusbäumen durchzogen war. Dianne schaute dem Raubvogel hinterher, bis er auf einem der Bäume gelandet war. Dann starrte sie auf den Kadaver, den Paddy umfahren musste, weil er genau in ihrer Spur lag. Ein Wildschwein.
„Uns sind heute exakt sieben Autos begegnet und mindestens doppelt so viele tote Kängurus, wilde Schweine und Rinder. Ich werde es nie begreifen.“ Dianne schüttelte den Kopf und verzog angewidert das Gesicht.
Der Aborigine sah sie verständnisvoll von der Seite an.
„An diesen Anblick wirst du dich wohl gewöhnen müssen, Honey. Wir sind hier weder an der zivilisierten Küste, noch im Nationalpark. Hier draußen nimmt das niemand so genau. Und wer nachts fährt, der hinterlässt viele solcher Kadaver.“
„Wie die Spuren eines Verbrechens kommt mir das jedes Mal vor, wenn ich so etwas sehe. Es dreht mir den Magen und das Herz im Leibe um.“ Dianne lehnte ein wenig resigniert ihren Kopf an Paddys Schulter.
Plötzlich ragte ein dicker, spitzer Stein aus der Fahrbahn. Der Aborigine wich ihm geistesgegenwärtig und sehr geschickt aus. Dianne setzte sich sofort wieder gerade auf, hielt sich am Griff fest und konzentrierte sich auf die staubige Piste.
„Irgendwie kein Ort für Romantiker, dieses Land hier.“
„Was nicht ist, kann ja noch werden, Honey. Jedenfalls werde ich dir meinen Lieblingsplatz nicht vorenthalten.“ Der Aborigine schaute sie dabei vielsagend an.
Dianne erwiderte seinen Blick erwartungsvoll, war aber nicht allzu überzeugt von seinen Worten.
„Ich kann es wirklich kaum erwarten, Paddy Crocodile.“
Ein dumpfer Knall ließ ihr Fahrzeug plötzlich aus seiner Spur ausbrechen. Reaktionsschnell versuchte der Aborigine gegenzulenken. Das typische, walkende Geräusch und die Unbeherrschbarkeit des Wagens deuteten den Schaden an.
„Das war unser Reifen.“ Er ließ das Auto ruhig zum Fahrbahnrand hin ausrollen und stellte den Motor ab. „Fragt sich nur, welcher?“
Dianne konnte sich eigentlich nur wiederholen. Sie seufzte tief.
„Wie ich schon sagte: kein Ort für eine Romanze!“
Paddy wollte noch nicht aufgeben, dieses bezaubernde Wesen für die Schönheit seines Landes zu begeistern, nicht, bevor sie seinen Lieblingsplatz gesehen hatte. Er zeigte sich ihr von einer Seite, die sie bislang noch nicht kannte.
„Wollen wir wetten? Danach kannst du dich immer noch anders entscheiden.“
Dianne war aus ihren trüben Gedanken gerissen und schaltete jetzt blitzschnell.
„Hinten links.“
„Hinten rechts.“ Er grinste sie herausfordernd und zufrieden an. Endlich hatte sie ihren Humor und ihr betörendes Lächeln wiedergefunden, was er so sehr an ihr schätzte. Der Aborigine schaute Dianne tief in ihre Augen und zog sie an sich heran. Und sie ließ sich bereitwillig zu ihm hinziehen, bis sich ihre Lippen berührten. Mit einem verliebten Kuss besiegelten sie ihre kleine Wette. Als hinter ihnen ein Hupsignal ertönte, löste sich Dianne nur sehr langsam, bis sie Paddy direkt ins Gesicht sehen konnte.
„Sag mal, um was haben wir eigentlich gewettet?“
„Das können wir uns immer noch überlegen.“ Der Aborigine sah in den Spiegel. „Von hinten naht schon Rettung.“ Er stieg aus und ging um das Auto herum. Der linke Hinterreifen klemmte völlig plattgedrückt zwischen der Felge und der Dreckpiste.
„Na, dann wollen wir mal. Beim ersten Mal ist es immer am schwierigsten. Danach wird es leichter.“ Er lachte verschmitzt, als seine Beifahrerin ausstieg, den Schaden begutachtete und protestierte.
„Hey, Moment mal! Diese Wette habe ich eindeutig gewonnen.“ Das Auto mit Richie, Hans und Frank hielt hinter ihnen an. Die drei Männer stiegen aus. „Okay, ich ergebe mich, Honey. Dann muss Frank mir eben helfen.“ Mit einer Handbewegung wendete er sich dem Jungen zu. Der war wie immer sofort bereit. Während er nach hinten ging, um das Werkzeug und den Wagenheber aus dem Auto zu holen, hielt das dritte Fahrzeug neben ihnen an. Jim lehnte sich aus dem Fenster der Fahrertür. „Braucht ihr Hilfe oder gibt’s was zu feiern?“ „Beides, unser erster platter Reifen.“ Paddy deutete lachend zum linken Hinterrad. Jim schaute auf seine Uhr. Die Sonne stand inzwischen schon bedenklich niedrig. Diese Panne war in seinem Zeitplan nicht einkalkuliert gewesen. In etwas mehr als einer Stunde würde die Dämmerung einsetzen. Und vor ihnen lagen noch gut zwanzig Kilometer auf dieser unwägbaren Dreckpiste. „Wenn ihr nichts dagegen habt, dann fahren wir schon mal voraus und richten das Camp ein. Sonst wird es zu schnell dunkel. Sollte euch noch etwas dazwischen kommen, meldet euch bitte über Funk.“ „Okay, Jimmy. Lasst euch nicht aufhalten. Wir kommen hier allein zurecht.“ Richie winkte und Jim gab Gas. Mit wenigen Handgriffen hatten Hans und Richie bereits die Muttern am Rad gelöst, während Frank sich mit dem Reserverad an der Hecktür beschäftigte. Dann bockten sie den schweren Wagen mit dem Heber auf.
Zwei Minuten später sahen sie Jims Auto in der nächsten Bodenwelle verschwinden. Nur die lange Staubfahne verriet ihnen, welchen Verlauf die Piste hinter der Kuppe nahm.
Der Reifenwechsel ging reibungslos. In weniger als zwanzig Minuten waren der Reservereifen aufgezogen, die Schraubenmuttern fest angezogen und das ausgediente Exemplar an der Hecktür angebracht. Es gab zwar noch ein zweites Reserverad, das auf der Motorhaube angebracht war, aber sie würden bei ihrem nächsten Tankstopp auf jeden Fall einen neuen Reifen benötigen. Dieser hier war nicht mehr zu retten. Frank löste den Wagenheber. Das Fahrzeug senkte sich zurück auf seine eigenen Beine und war wieder voll einsatzbereit, nachdem Paddy die Muttern noch einmal kräftig nachgezogen hatte.
Hans und Richie konnten jetzt nicht mehr helfen, würden aber noch auf Frank warten, um dann im Konvoi weiterzufahren, weil es einfach sicherer war.
Hans verlor im Augenblick ein wenig die Zuversicht, was den Erfolg ihrer Mission anbelangte.
„Ich finde, es wird Zeit, dass wir endlich mal auf eine neue Spur stoßen.“
Außerdem würde das die Moral in ihrer Gruppe stärken. Seit vier Tagen fuhren sie nun schon auf staubigen Pisten durch diese Gegend, und es veränderte sich praktisch nichts. Trotzdem musste Kramer hier irgendwo