„Also gut, Hans. Wo trifft diese Straße, wie du das hier nennst, wieder mit Kramers alter Route zusammen?“
Sie würden vermutlich noch Tage vergeblich damit zubringen, in dieser trostlosen und trockenen Gegend einen Beweis zu erwarten.
„Am Roper River dürften wir auf jeden Fall etwas finden. Da oben gibt es reichlich Wasser. Wir sollten uns also nicht länger damit aufhalten, hier zu suchen.“
„Da wird Annette aber entzückt sein.“ Hans konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen.
„Warum denn das? Was hat sie denn damit zu tun?“
„Na, sie kann es doch gar nicht erwarten, unsere Sachen zu waschen. Und dazu braucht man bekanntlich Wasser, viel Wasser.“
Richie faltete die Karte zusammen. Was lief da zwischen den beiden?
„Du könntest sie ruhig etwas ernster nehmen, Hans. Schließlich ist sie deine Lebensgefährtin.“
„Hauptsache, Annette vergisst das nicht immer. Du hast ihr ganz schön den Kopf verdreht, mein Lieber, weißt du das?“
Richie schaute ihn verständnislos an. „Wie kommst du denn darauf? Ich finde sie sehr attraktiv, aber sonst...?“ Er schüttelte den Kopf. „Pass lieber auf Jim auf.“
„Um den Burschen mache ich mir weniger Sorgen.“
„Tut mir leid, aber ich kann dir nicht mehr folgen.“ Richie wusste wirklich nicht, worauf Hans hinauswollte.
„Annette steht mehr auf das Unerreichbare, verstehst du? Was sie haben kann, interessiert sie nicht wirklich. Sie weiß es nicht zu schätzen. Damit spielt sie nur.“
„Und wie ist das mit euch beiden? Spielt ihr auch ein Spiel miteinander?“
„Ich hätte sie auf keinen Fall mitbringen dürfen, aber nun ist es zu spät und ...“ Hans zuckte die Schultern, denn er wusste es selbst nicht so genau.
„Und sie wäscht unsere Wäsche. Sieh es doch einfach mal von diesem praktischen Standpunkt aus.“
Hans lächelte.
„Okay, wir können weiter.“
Paddy und Dianne verschwanden bereits in ihrem Fahrzeug.
„Komm, Frank ist auch schon eingestiegen. Es wird Zeit, dass wir zu unserem Lagerplatz kommen. Warst du schon einmal dort?“
Richie folgte seinem Freund die wenigen Schritte zum Wagen.
„Nein, ich weiß nur, dass er im Springhill-Nationalpark liegt. Und ich hoffe, es gibt heute Abend endlich mal wieder eine warme Dusche.“
6. Tag
18° 44’ 22.12’’ S / 138° 19’ 08.52’’ O – Springhill National Park, QLD Noch hatte es die Sonne nicht geschafft, über die sanften und mit Spinifex-Gras bewachsenen Hügel zu schauen. Richie liebte diese frühe Stunde am Morgen, wenn er allein und ganz ungestört seinen Gedanken nachhängen konnte. Er stieg die Anhöhe hinauf, von der er wusste, dass dahinter eine Quelle entsprang, deren Wasser die Schlucht füllte und dem Park seinen Namen gab. Sie waren im Springhill-Nationalpark. Galahs und Raben kreischten wild durcheinander und flogen aufgeregt in Schwärmen über den Hügel. Richie machte eine kleine Pause, um zu verschnaufen, und warf einen Blick zurück auf das Camp. Der Platz, den Jim für die Nacht ausgesucht hatte, besaß wirklich alles, was nötig war, um hier zu kampieren. Es gab einen vollen Wassertank, eine Buschtoilette und einen Barbecue-Grillplatz mit bereitgelegtem Holz. Die warme Dusche gab es allerdings nur mit Donkeyfood. Richie lächelte bei dem Gedanken daran, dass es eine gute halbe Stunde gedauert hatte, bis das Feuer so richtig brannte und sich das Wasser endlich erwärmte. Aber dann war es einfach herrlich, den Staub der vergangenen beiden Tage herunterspülen zu können und sich zu entspannen. Außer ihrer Gruppe war kaum jemand zu sehen. In dem weitläufigen Park verloren sich die wenigen Besucher in den einzelnen Übernachtungsbuchten zwischen den Felsen und Büschen. Von hier aus konnte Richie den Platz noch gut überblicken. Ihre eigenen Fahrzeuge standen nebeneinander mit aufgestellten Dachzelten. Die Freunde schienen noch zu schlafen, nachdem es gestern spät geworden war. Also würde man ihn auch nicht vermissen, wenn er sich hier ein wenig in der Umgebung umsah. Sie hatten noch lange nach dem Essen am Feuer gesessen und darüber gesprochen, wie sie in den nächsten Tagen vorgehen wollten. Er und Hans hatten die Situation von ihrem Standpunkt aus betrachtet, und jeder kam zu Wort. Schließlich einigte man sich darauf, heute zügiger nach Westen zu fahren. Spätestens da, wo die Flüsse wieder Wasser führten, würden sie sicher auf Kramers alte Spuren treffen. Nur Bill war mal wieder früher schlafen gegangen, nachdem er ein Bier nach dem anderen in sich hineingeschüttet hatte. Richie bekam den Eindruck, dass Bill diesen ewigen Staub und Dreck, den er täglich hinter seiner Kamera schlucken musste, lediglich als Vorwand zum Trinken nutzte. Und Jim hatte bereits den Verdacht geäußert, dass Bill ein Alkoholiker war. Das würde er selbst vermutlich vehement bestreiten. Also konnten sie vorerst nur versuchen, die Sache nicht ausufern zu lassen. Entschlossen setzte Richie seinen Weg fort. Er hielt Ausschau nach einem Pfad, der ihn näher an die Quelle heranbrachte, ohne dass er sich die Beine an den spitzen Spinifex-Gräsern aufritzte. Der Lärm der Vögel, den die angenehme Morgenbrise herüberwehte, verriet ihm, dass sein Ziel nicht mehr sehr weit entfernt sein konnte. Als er beinahe über die Kuppe des Hügels sehen konnte, kamen ihm Galahs kreischend entgegengeflogen. Auch Raben mischten sich wieder unter dieses aufgeregte Flattern. Unwillkürlich blieb der frühe Spaziergänger stehen und wartete das Ende des Schauspiels ab. Als Richie endlich ganz oben auf der Anhöhe stand, schaute er sich um. In weniger als hundert Metern Entfernung entdeckte er die Quelle etwas unterhalb. Sie war von Papierrindenbäumen und viel fruchtbarem Grün gesäumt, das sich wie ein schmaler Gürtel vom Ursprung des Wassers entlangzog und weiter sanft den Hügel hinab erstreckte. Richies Herz lief über vor Ergriffenheit bei diesem unerwarteten und überwältigenden Anblick. Er hatte bereits damit begonnen, sich der Oase zu nähern, als er eine menschliche Gestalt inmitten der üppigen Vegetation wahrzunehmen glaubte. Er war also doch nicht der erste und einzige Besucher an diesem Morgen. Die Gestalt verschwand zwischen den Bäumen und tauchte kurz darauf wieder auf. Sie steckte eindeutig in einer schwarzen Haut. „Paddy, bist du da unten?“ Richie ging freudig erregt auf die Quelle zu und stutzte. Anstatt der erwarteten Antwort des Aborigine, entdeckte er einen zweiten Mann. Er war eindeutig ein Weißer. In der Distanz erkannte Richie einen hageren, nicht mehr ganz jungen Mann, der zweifellos schon bessere Tage gesehen hatte. Sein Gesicht war eingerahmt von einem bereits sehr angegrauten Vollbart. Er marschierte eindeutig und zielstrebig der Kuppe des Hügels entgegen. Der Mann kam auf ihn zu. Unter dem Arm trug er ein Instrument, das Richie bisher nur im Museum gesehen hatte. Es war zweifelsfrei ein alter Sextant. Der Weiße wirkte sehr konzentriert und nahm keine Notiz von seinem Beobachter. Trotzdem schlüpfte Richie schnell hinter einen nahen Felsvorsprung, um diese Begegnung aus seinem Versteck heraus zu beurteilen. Einordnen ließ sich das Geschehen auf dem Hügel jedoch vorerst nicht. Als der Mann die Kuppe erreicht hatte, führte er ganz selbstverständlich ein paar Messungen durch und trug alles in seine Kladde ein. Danach signalisierte er dem Aborigine unten am Wasser, dass er fertig sei, und kehrte selbst zurück zur Quelle, wo der Eingeborene auf ihn wartete. Richie ging vorsichtshalber noch tiefer in Deckung, da der Mann ihm auf seinem Weg recht nahe kam. Als er vorüber war, erhob sich Richie und sprach ihn an. „Kramer, sind Sie das?“ Er bekam wieder keine Antwort. Stattdessen rief der Mann jetzt etwas, das er klar und deutlich verstehen konnte. „Jonny, komm, wir brechen auf!“ Richie sah, wie der Schwarze aus dem Grün der weit überhängenden Äste ein Pferd am Zügel herauszog. Nachdem er seinen Sextanten, ein paar andere altmodische Instrumente und seine Kladde in den Satteltaschen verstaut hatte, wollte der Weiße gerade aufsteigen, als er etwas entdeckte, das seine Aufmerksamkeit erregte. Er ging ein paar Schritte zurück, bückte sich und pflückte eine auffällige Pflanze. Er prüfte sie eingehend von allen Seiten. „Das könnte eine Spezies aus der Gattung ... sein.“ Richie hörte