„Mir kannst du doch nichts vormachen, Süße. Zwischen Hans und dir läuft doch schon lange nichts mehr.“
„Oh doch, bei uns ist alles in bester Ordnung. Auch, wenn es für dich vielleicht nicht so aussieht. Wir verstehen uns prächtig.“
„Außer da, wo es drauf ankommt, vermutlich?“
Wütend sprang Annette auf.
„Was fällt dir ein, Jimmy? Jetzt gehst du eindeutig zu weit! Das geht dich überhaupt nichts an!“
Jim schmunzelte nur.
„Ich habe also Recht!?“
„Nein, hast du nicht! Und jetzt lass uns zu den anderen zurückgehen!“
Jim ergriff ihre Hand und zog sie wieder zu sich herunter. „Komm her zu mir, kleine Kratzbürste!“
Obwohl Annette sich wehrte, ließ er nicht locker.
„Lass deine Finger von mir!“ Schließlich konnte sie sich aus seinem Griff befreien und rannte allein zurück in die Dunkelheit, aus der sie vorhin gemeinsam gekommen waren.
Das Feuer war bereits weit heruntergebrannt, aber die Ereignisse des späten Nachmittags ließen weder Hans noch Richie los. Eine alte Karte lag ausgebreitet auf ihren Knien. Der Australier deutete auf die Kimberley-Region, die sich westlich von hier bis zur Küste des Indischen Ozeans erstreckte und im Süden von der Great Sandy Desert begrenzt war. Sie hatten heute den östlichen Rand dieses Gebietes erreicht und würden sich bald entscheiden müssen, in welcher Richtung sie ihre Suche fortsetzten. Müde faltete Richie die Karte zusammen und beobachtete seinen deutschen Kumpel, an dem noch immer heftige Zweifel nagten.
„Du glaubst diese Geschichte nicht. Weder die eine noch die andere, stimmt’s?“
Hans schüttelte ein weiteres Mal den Kopf, als könnte er so die unliebsamen Gedanken endlich loswerden, die immer um das kreisten, was sich nach Diannes und Paddys Aussage vor ein paar Stunden in diesem Tal ereignet hatte.
„Weißt du, ich kann es mir einfach nicht vorstellen, Richie. Überleg doch mal. So etwas ist doch eigentlich unmöglich!“
„Aber habe ihn doch auch gesehen.“
„Schon, aber irgendwie... Ich weiß auch nicht... Ich kann es einfach nicht glauben! Diese Geschichte lässt meinen Ururgroßonkel in einem ganz anderen Licht erscheinen als bisher.“
Richie stand von seinem Campingstuhl auf und klopfte Hans aufmunternd auf die Schulter.
„Schon gut, mein Freund. Wir sind beide müde. Das alles bringt heute nichts mehr. Morgen sehen wir weiter. Ich werde jetzt auch schlafen gehen. Gute Nacht.“
„Okay, Richie, gute Nacht.“ Hans schaute ihn unsicher lächelnd an und erhob sich ebenfalls. „Ich glaube, ich werde doch mal nachsehen, wo Annette bleibt.“
Während er Richie schon ein paar Minuten später die Leiter zum Dach hinaufklettern sah, stand Hans noch in Gedanken vertieft da und zog die dicken Holzscheite soweit aus der Glut heraus, damit das Feuer erlosch. Plötzlich tauchte Annette aus der Dunkelheit neben ihm auf.
„Gut, dass du noch nicht schläfst.“
Hans nahm sie erst jetzt richtig wahr.
„Da bist du ja wieder. Wo hast du denn gesteckt?“
Annette wartete, bis Richie im Zelt verschwunden war.
„Es ist so schön da draußen, Hans.“ Sie senkte ihre Stimme, bevor sie weitersprach. „Ich möchte, dass du mit mir schläfst.“
Hans traute seinen Ohren nicht. „Lass dieses Spiel, ich bin sehr müde.“
„Das ist kein Spiel.“
„Das meinst du doch nicht im Ernst?“
„Komm schon, bevor ich es mir wieder anders überlege!“ Sie packte ihn fest am Arm.
„Okay, okay, ich komme ja freiwillig mit!“ Mit einem leisen, konspirativen Lachen gab er nach. Widerstandslos ließ er sich von ihr in die Dunkelheit hineinziehen. „Was ist denn plötzlich mit dir los?“
Der zuerst monotone und dann durchdringende Ton eines Didgeridoos weckte Paddy aus seinem Schlaf. Alarmiert schlug er die Augen auf und lauschte. Dann folgte ohne Vorwarnung ein lautes und markerschütterndes Kriegsgeheul. Der Aborigine setzte sich auf. Auch Dianne bewegte sich. Schlaftrunken zog sie ihren Liebsten am Arm.
„Was ist denn los, Paddy Crocodile? Lass uns weiterschlafen. Es ist noch mitten in...“
Ein Speer durchbohrte mit einem messerscharfen Riss die dünne Zeltwand und blieb am Fußende in der Matratze stecken. Dianne schreckte schreiend hoch.
„Mein Gott! Was war das denn?“
„Los komm, Honey. Nichts wie raus hier!“ Paddy fingerte bereits nach seinen Sachen. In Windeseile schlüpfte er in seine Hose und zog den Reißverschluss des Zeltes auf. Vorsichtig schaute er sich um. Auch Dianne hatte sich, so schnell es in dieser Dunkelheit möglich war, angezogen und war bereit, ihm nach draußen zu folgen. Noch zögerte er.
„Was ist? Kannst du was erkennen?“
Von ihrem Parkplatz war nicht mehr viel übrig. Ihre Fahrzeuge standen zwischen ein paar Büschen mitten in der freien Natur, am Rand eines Lagers, umringt von Ochsen, Mulis und Pferden, die alle wild durcheinander schrien und sich zu befreien versuchten. Etwas weiter entfernt kämpften weiße Männer mit Gewehren gegen wütende Aborigines. Die wurden angeführt von einem alten, weißhaarigen Mann. Ein weiterer Speer schwirrte nah an Paddys Kopf vorbei. Im letzten Moment konnte der ausweichen. Dann landete die Waffe im Reifen des Wagens nebenan. Die Luft entwich mit einem lauten Zischen. Es war höchste Zeit zu handeln.
Mit einem Satz sprang Paddy aus dem Zelt heraus und vom Autodach auf den Boden, während Dianne über die Leiter hinunterkletterte, so schnell sie konnte.
„Los, Honey, unter den Wagen!“ Der Ranger drängte sie kriechend unter das Fahrzeug. „Beeil dich!“ Ohne weitere Verzögerung folgte er nach. Zwei weitere Speere verfehlten sie nur knapp. Ein Bumerang prallte geräuschvoll von ihrer Windschutzscheibe ab. Hier schien sich etwas zu wiederholen, was sie schon einmal erlebt hatten. In Mataranka.
Endlich in sicherer Deckung neben Paddy liegend, machte Dianne ihrem Ärger Luft.
„Kannst du mir sagen, was das soll? Wir liegen friedlich im Bett und werden diesmal von Schwarzen mit Speeren und Bumerangs bombardiert?“
Ohne auf ihre Frage einzugehen, wies er sie mit Handzeichen an, sich nicht von der Stelle zu rühren.
Jim kam aus der Dunkelheit angekrochen. Die Tiere als Deckung nehmend, war auch er unter ihrem Wagen gelandet.
„Was ist los? Wo kommen die so plötzlich her? Das sieht aus wie ein Überfall, den deine Brüder da wohl speziell für uns inszeniert haben!“
Der Aborigine machte sich ganz offensichtlich Sorgen über das, was sich um sie herum abspielte. „Das sieht nicht nur so aus. Das ist ein Überfall. Sind die anderen in Sicherheit?“ „Ich hoffe schon. Ich war draußen in der Schlucht und habe mir eine Weile die Füße vertreten. Als ich vor ein paar Minuten zurückkam, flogen mir plötzlich die Speere um die Ohren. Gesehen habe ich keinen von uns.“ Paddy nickte und überlegte nur einen Augenblick. „Okay, ich kümmere mich um Richie, Annette und Hans. Weck du Bill und Frank!“ Jim zog sich bereits zurück, um die beiden Gefährten in Sicherheit zu bringen. „Aber, bleib immer in Deckung, Jimmy!“ „Worauf du dich verlassen kannst, Kumpel.“ Damit war er auch schon zwischen den Tieren verschwunden. Geschickt nutzte er ihre Körper aus, um unbeschadet an das Fahrzeug zu gelangen, in dem Bill und Frank schliefen. Bestimmt waren auch sie wach und warteten nur auf eine gute Gelegenheit, um ihr Zelt zu verlassen, falls sie das nicht schon getan hatten. Sie waren dort oben keine Sekunde sicher. Paddy kroch vorwärts, hinaus aus seiner Deckung und richtete sich auf, um sich einen besseren Überblick über ihre Lage zu verschaffen. Um sie herum herrschte das Chaos. Kramer und seine Leute schossen wild um sich. Heulend rannten einige Aborigines weg oder sie fielen