Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3. Karl Michael Görlitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Michael Görlitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844231502
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gepilgert. Es war ja nicht so weit, räumlich gesehen, denn ansonsten war es höchste Zeit, auch mal einen Blick auf die Fleischbeschau zu riskieren.

      Und was soll ich sagen: Es hat mir gefallen. So gut, dass ich fortan die kleine Bar inmitten der handtuchbekleideten Menge zum Zweitwohnzimmer erklärt hatte, um dort auf meinen fleißigen Spätheimkehrer zu warten.

      Zu einem geringen Aufpreis gab es Einzelkabinen mit Liege zum Entspannen, nach dem anstrengenden Saunagang oder dem Nebel im Dampfbad mit seinen vielen Nischen, in welchen reichlich Dampf abgelassen wurde. Es wurde entspannt was das Zeug hielt. Über zwei Etagen zog sich ein halb- bis volldunkler Parcours mit schmalen Gängen zwischen den Kabinen und Treffplätzchen für allerlei Mätzchen. Was Mätzchen nicht lernt, lernt Matz nimmermehr, hatte ich vorher noch gedacht und danach mit Freude doch noch eine gewisse Lernfähigkeit festgestellt. Der Mensch lernt bis zuletzt.

      Es machte Spaß zwischen den sparsam bekleideten Herren zu wandeln, um sich etwas Nettes auszugucken. Hinter der Bar tummelten sich muskulöse Saaltöchter in Hot-Pants um das leibliche Wohl der Gäste. Ganz reizend. Warme Küche bis früh um Fünfe mit überraschend bürgerlicher Speisenkarte. Rinderroulade unterm Handtuch und auf dem Teller. Rotkohl, Grünkohl, Massageöl. Da kam zusammen, was nicht unbedingt zusammengehörte. Lautes Gestöhn hinter der Sperrholzwand und extrascharfer Mostrich auf der Bulette.

      Die Bar war im Geviert und bot gute Rundumsicht. Es war einfach, sich jemanden auszugucken, da alle mit der gleichen Absicht gekommen waren. Und jene, die an der Bar nichts abbekommen hatten, vergnügten sich anonym in der Dunkelkammer, wo nach Belieben getastet und getestet werden durfte, was das Testosteron hergab. Von Aids hatte noch niemand je etwas gehört, und so waren alle eine große Familie von Fleischkonsumenten und äußerst lustig im Umgang miteinander.

      Ja, das hatte mir gefallen, und mehrmals war mir der Keuschheitsgürtel in Form eines Badelakens von der Hüfte gerutscht. Man will ja kein Spielverderber sein. Lieber aber noch ging ich mit Rudi hin, um in der anregenden Atmosphäre ausgiebig zu plaudern oder so. Mit ihm war es netter, und wenn im Dampf mal etwas dazwischen kam, war es auch nicht so schlimm. Alles atmete Sauberkeit und Frische, wie überall beim Sport, und nur wer ganz abgeschlafft war, begab sich in die Hände des Masseurs, um sich wieder in Form kneten zu lassen. Viele Paare gingen in die Sauna, um einzeln oder zu zweit Abwechslung vom öden Ehealltag zu finden.

      Es war ein kumpelhaftes Miteinander. Von großen Gefühlen keine Spur, es wurde lediglich ein gewisser Triebstau beseitigt. Und hinterher tauschte man Telefonnummern nur, wenn es besonders nett gewesen war.

      Die Meisten allerdings waren Einzelkämpfer, die keine feste Beziehung wollten und ein eheähnliches Verhältnis als verlogen und spießig ablehnten. Sollten sie nur, ich jedenfalls war wild entschlossen, mein künftiges Leben nicht im Alleingang zu verbringen und als Einzelschicksal auf eine gute Rente zu hoffen, die mir später einen Stricher pro Woche erlauben würde. Das war absolut nicht mein Ding. Also biss ich die Zähne zusammen, wenn mein Liebster gutgelaunt wieder auftauchte und schritt verdrossen zur Rache, um zu zeigen, dass ich ebenfalls unabhängig war. Illusion ist alles.

      Noch bescheuerter waren allerdings die unflotten Dreier auf der heimischen Spielwiese, auf die ich mich, Rudi zuliebe, einließ. War das ein Krampf! Da gerieten oft Modelle auf die Matratze, die mich nicht im Mindesten interessierten. Und das Beste war, dass sie den Initiator des doofen Spiels offensichtlich auch nicht so recht behagten. Spätestens nach zehn schlaffen Minuten drehte sich mein angetrunkener Schatz auf seine Schlafseite und begann zu schnarchen. Schon halb in Morpheus Armen, flüsterte er mir noch zu: »Mach du mal!«, oder ähnlich aufmunternde Sprüchlein, und da lag ich dann und konnte zusehen, wie ich den Gast auf elegante Weise wieder los wurde. Erlär das mal einen völlig Fremden mitten beim Fummeln! Also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und schluckte meine Wut, nebst allerlei Pillen und was mir sonst noch in die Quere kam, lächelnd herunter.

      Ein Scheißspiel war das, und anderntags war mein Liebster gut ausgeschlafen und hoch amüsiert, während ich verkatert, mit Wut im Bauch und Gliedern durchs Heim schlich. Anders herum gefiel es mir allerdings auch nicht, denn ausgerechnet bei Dieterchen schlief ich dank Tablette tief und fest in ihrer Mitte, während sich Beide über mir vergnügten. Das fand ich überhaupt nicht begeisternd.

      So in etwa waren die Verhältnisse, als schon wieder das Fest der Liebe nahte. Und so blieb auch der heilige Abend ziemlich einseitig. Der Mensch ist seines Glückes Schmied. Ich hatte es so gewollt und mich für Berlin entschieden. Niemand hatte es von mir verlangt, Rudi am allerwenigsten.

      Friss Vogel oder stirb. Ich fraß lieber, sterben konnte ich immer noch.

      Vor dem Fest hatten wir uns tief in die Augen geblickt und uns gegenseitig versichert, keinem Konsumwettbewerb zu erliegen.Wenn Geschenke, dann nur Praktisches für den Haushalt, der mehr als dürftig ausgestattet war.

      Kaum war dieses vereinbart, verfiel ich in einen Kaufrausch auf der nach oben offenen Konsumwahn-Skala von 9,5, bei dem kein Stein, und erst recht kein Schein, mehr übrigblieb.

      Au, Mann, was in diesem Hauswesen aber auch alles fehlte! Rudi kochte nach wie vor mit dem Tauchsieder seine Spaghetti, obwohl wir einen alten Gasherd in der Küche stehen hatten. Eine Verordnung von Anno Tobak verlangte einen funktionsfähigen Herd in jeder Mietwohnung. An dieser Verordnung hatte sich nichts geändert, und am Ofen offensichtlich seither auch nichts. Elektrisches Licht gab es bereits im Haus, auch wenn aus den Zimmerdecken noch die Anschlüsse für Gaslampen ragten. Strom gab es auch, besonders in der Wand zwischen Küche und Badezimmer, welches noch mit Jugendstilfliesen prunkte. Von wegen Kriechstrom! Er konnte blitzschnell zuschlagen, wenn man aus Versehen die Wand berührte. Auf der Suche nach dem Übeltäter eröffneten sich uns ganz neue Möglichkeiten, und bald besaßen wir eine praktische Durchreiche zur Badewanne, die wir auf Dauer dann doch nicht als so besonders hilfreich empfanden, obwohl sie gelegentlich ganz reizende Einblicke in die Badekultur unserer Gäste erlaubte. Also spachtelten wir was das Zeug hielt, am Küchentisch vor der Wand und gleich daneben an der Mauer. Moltofill sei Dank, war das Gröbste noch vor Heiligabend erledigt. Ich besorgte eine alte Nähmaschine, die zum Küchentisch umfunktioniert wurde. Auch eine von diesen praktischen Ideen, die schwer in Mode waren, denn wer heftet schon seine Butterbrote mit Zwirn zusammen. Wir eigentlich nie, und da wir beide nicht mit der Maschine umgehen konnten, blieb diese dauerhaft versenkt, bis Phillip der Schneider bei uns einzog. Für einen Schneider hatte dieser übrigens wenig Ahnung von Materialkunde, denn er schnitt Brot auf der Tischdecke und wunderte sich anschließend halb zu Tode, dass das Wachstuch ebenfalls zerschnitten war und nicht mehr zusammenwachsen wollte. Aber das ist schon eine andere Geschichte, die etwas später spielt.

      Töpfe und Pfannen mussten her, Schippe und Besen mussten rein. Schüsseln, Gläser und Bestecke, Teller und Tassen ins Regal, wenn man schon keinen Schrank hat. Schwämme, Bürsten, Feudel - alles im Eimer, der auch noch gekauft werden musste. Jeden Abend ächzte ich unter der Last der Sonderangebote ringsum.

      Praktisch denken - Schönes schenken! Ein gebrauchter Kühlschrank musste her, ächz! Manchmal weiß man die Bequemlichkeit eines geräumigen Fahrstuhles gar nicht recht zu schätzen. Ich lernte es im Handumdrehen.

      So ausgerüstet begann ich mit den kulinarischen Vorbereitungen für das große Fest. Eigener Herd ist Goldes wert. Nach Großem stand mir der Sinn. Etwas Extravagantes musste her, als Lohn der Mühen, und am Besten etwas, dass sich auch portionsweise verschenken ließ. Freundschaften muss man pflegen, besonders wenn sie noch nicht so alt sind. Und unsere neuen Freunde waren, Herby einmal ausgenommen, allesamt blutjung. Dieterchen zum Beispiel ging noch zur Uni und feierte dort erste Erfolge in der Theatergruppe. Wir hatten der Aufführung beigewohnt, wie besorgte Eltern. Auch seine ältere Schwester und deren Intimus besuchten uns häufig.Und unter meinen neuen Kollegen gab es durchaus Einige, bei welchen es sich lohnte, die Beziehung zu vertiefen. Zum Jahreswechsel hatte sich ein Düsseldorfer Freund angemeldet, der mittlerweile in Hannover studierte. Walterchen, auch so ein Seitensprung meines Holden, der sich unversehens als Hausfreund wiederfand, weil er mir gefiel.

      Das waren die Leute, die etwas Handgearbeitetes sicherlich zu schätzen wussten. So wie Herby, der bei selbstgemachtem Eingemachten stets jubilierte. Schon wieder hatte er einen Kreis leicht angestaubter Jungfern um sich geschart, die für ihn