Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3. Karl Michael Görlitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Michael Görlitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844231502
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und kein Mensch stand mit dem Pixel auf du und du, so wie heute. Pixelhaube? Schließlich war man hier in Preußen.

      Deshalb hatte ich auch nur: »Aha« gesagt und beschlossen, mich später schlau zu machen. Wer verliert schon gern sein Gesicht, gleich am ersten Tag.

      »Da ist ihnen gerade etwas runtergefallen!« Frau Müller war aber wirklich aufmerksam. Ein Wunschmädel mit geradezu hellseherischen Kräften. Verwirrt blickte ich zu Boden. Tatsächlich, die dezente Brosche an meiner Bluse hatte sich verabschiedet. Die Vorfreude, endlich im Kreis von Tunten zu wirken, hatte mich bewogen, ein Zeichen am Revers zu setzen. Das war hier, bei den neuen Kollegen, vielleicht auch gerade nicht so unbedingt notwendig.

      Nur bei dem einen da, hätte ich mir soviel Geschmeide ans Hemd gebammelt, dass die Brusttaschen ausgerissen wären, aus Furcht, übersehen zu werden. Und nun machte auch noch Frau Müller dem Wunschtraum ein Ende, indem sie von Materialbestellung sprach. Material, dass ich nicht lache.

      Praterial war wünschenswert!

      Türe klapp. Ein kleiner Herr mit schütterem Haar und ebensolchem Anzug wuselte mit Trippelschritten in den Raum, ein hochkünstlerisches Lächeln wie angenagelt auf den Lippen. Mit Augen wie ein Frettchen, die unablässig hin und her schweiften, als müsste er sich absichern, dass keine Greifvögel ihn als Beute erwählten. Mit schnellem Blick erfasste er die Situation. Der Neue!

      »Ach, Sie kommen mir ja wie gerufen!«, polterte mein neuer Boss los. Dem sich in sicheren Abstand haltenden Dazugetrippelten war anzumerken, dass er solcherlei nicht oft zu hören bekam, und wenn, war es meist mit Unannehmlichkeiten verbunden. Schon war er auf der Hut.

      »Det könn' sie ma übernehmen. Zeigense dem Herrn Görlitz ma in Ruhe det janze Haus und jehn dann mit ihm nett ne Tasse Kaffee trinken. Seinse so nett, Herr Bukett!«

      Aha, das war also der Herr Chefdekorateur, die Pfeife. Artig gab ich ihm meine Hand, die er mit schlaffen Gegendruck erwiderte, wobei sein Lächeln noch etwas zuckriger wurde. Strahlsüß.

      Eine förmliche Vorstellung hielt Butterbeck anscheinend nicht mehr vonnöten. Der Mann wusste ohnehin, wer ich war.

      »Ick hab gerade eilig wat zu tun, da kommse mir gerade recht. Und lassense sich Zeit. Wir sehen uns später, wenn ick durch bin.«

      Wo durch, das ließ unser Boss offen, um danach gutgelaunt, dass er dem Neuen nicht den ganzen Palazzo persönlich vorführen musste, in seine Räumlichkeiten zu entschwinden.

      Da stand ich nun, mutterseelenallein, wenn man von Frau Müller und dem feixenden Rest einmal absah, einem wildfremden Chefdekorateur gegenüber, dem gerade die Ungeheuerlichkeit zugemutet worden war, den Museumsführer für einen einfachen Mitarbeiter zu spielen. Na prima. Oberprima würde Claudia jetzt wieder sagen.

      Wir wurden dann auch keine Freunde, obwohl der Mann zu unserer Community gehörte, wie unschwer festzustellen war. Auch nicht bei der gemütlichen Tasse Kaffee, bei der wir uns vom Schnelldurchlauf erholten, um danach den zweiten Teil der Blitzbesichtigung zu durchlaufen. Er musste auch noch aus eigener Tasche zahlen, weil Butterbeck vergaß, seine Ausgaben zu regulieren, wie ich später hörte. Nein, so direkt mochten wir uns beide wohl nicht so recht. (Wie übrigens niemand aus der ganzen Dekorationsabteilung, wo immer mal wieder Mordpläne geschmiedet wurden.)

      Ich hatte meine Zigarette nur halb geraucht, als er schon eilig nach dem Kellner winkte, um den zweiten Teil der Tour an meiner Seite zu durchhuschen. So blieb mir nichts anderes übrig, als ihn im allgemeinen Gewühl zu verlieren, um zu meiner Tasse Kaffee und der Zigarette zurückzukehren. Schließlich hatte der Alte gesagt, wir sollten es langsam angehen lassen. Herr Bukett war mir einfach zu flink.

      Mittags setzte ich mich in die Kantine, weil ich nicht elitär mit den Abteilungsleitern am reservierten in der Silberterrasse speisen wollte, und erfreute mich am einfachen Mahl am Tisch der Dekorateure, wo übrigens auch Frau Müller ein Wiedersehen mit mir hatte.

      Am späteren Nachmittag gab es dann auch ein Treffen mit dem Boss, der mir seine Wünsche nun näher erläuterte.

      »Machen sie mir einen Ausverkauf. Eine Riesenrasen-Aktion unter dem Motto Goldene Zeiten. Goldene Zeiten im KaDeWe! Machen sie was Irres und trimmen sie sich dabei auf den Stil des Hauses.« Dazu zeigte er einige Druckbeispiele, Gold in Gold. Glanzgold auf Mattgold. Kaum zu lesen, aber toll. Goldene Zeiten eben.

      Genau das, was mir bevorstand.

      IM ZEICHEN DER KOGGE

      Da saß ich nun also und mühte mich, dieser Aktion ein Gesicht zu geben. Goldene Zeiten im Schlussverkauf. Ich entwarf goldene Kaskaden als Deckenhänger, Aufsteller, für die Schaufenster, den Lichthof und die Außenwerbung, als Plakat, Anzeige und Flyer. Dann noch eine nette Alternative. Und noch eine, und noch eine. Jedesmal schüttelte der Alte, der höchstens fünf Jahre älter war als ich, den Kopf.

      »Nee, Herr Görlitz, dat isset noch nicht! Machense ma noch weiter und kitzeln se dat Letzte aus dem Thema.«

      Bei der dreißigsten Alternative beschlich mich der Verdacht, in der Psychiatrie gelandet zu sein und an einer Beschäftigungstherapie teilzunehmen. Später sollte ich erfahren, dass Schlussverkauf und Weihnachten zu den Reizthemen meines Chefs gehörten, mit denen er sich nur höchst ungern befasste. Nur, wenn der Termin unmittelbar bevorstand und auch dann mit Widerwillen. Und bis zur nächsten Rabattschlacht war es noch lang hin. Es war Spätsommer oder Frühherbst, wie man will, und die goldenen Zeiten lagen noch weit in der Zukunft.

      Seltsamer Verein, dachte ich so für mich hin und rechnete damit, mich bald wieder zu verabschieden. Bange war mir nicht, in Düsseldorf verdiente ich ohnehin besser.

      Aber ich genoss die viele Freizeit, die der Job mir ließ. Die Probezeit nimmst du noch mit, bevor du wieder Pendler wirst. Ist das ein blöder Laden hier!, sprach ich zu mir selbst, bevor ich weiter kritzelte und kritzelte.

      Mein neuer Nachbar war mit einem ähnlich wichtigen Projekt betraut. Der Haufen bearbeiteten Transparentpapieres auf seiner Seite nahm langsam beängstigende Ausmaße an, ohne dass es jemanden sonderlich interessiert hätte, am allerwenigsten den Boss. Kam er ins Atelier, warf er einen flüchtigen Blick auf das lichte Gebirge und den pixelnden Kollegen, und verschwand mit einer scherzhaften Bemerkung wie:

      »Na, Eisenhärchen, fleißig, fleißig!«

      Eisenhärchen mochte das gar nicht. Dabei war seine Frisur wirklich ungewöhnlich. Der Mann hatte einen Kopf wie grob geschnitzt. Typ Hohensteiner Kasper mit einer hohen Stirn, die fast im rechten Winkel zum platten Kopfdeckel stand. Seine spärlichen, gut gefetteten Haare trug er allesamt exakt von hinten nach vorn gekämmt, und genau auf der Stirnkante wie mit dem Lineal abgeschnitten. Furche um Furche in säuberlichen Reihen auf der hellen Kopfhaut, die aussah wie gestreift, und dann, zack, die englische Rasenbank über der Kartoffelnase.

      Meist sah ich ihn im Profil und fühlte mich jedesmal an Frankensteins Monster erinnert. Zum Monster fehlten ihm jedoch die Körpergröße und die Verschraubungen an den Schläfen. Allerdings war er auch ohne Muttern verschroben. Schnükel, oder so, hieß er und kam aus dem Osten. Friegekauft oder zwangsüberwiesen blieb ungeklärt, denn eigentlich redete er nicht viel. Im Kaufhaus am Alex war sein vorheriger Wirkungskreis, und dort hatte er wohl allerlei Beschriftungen den Schaufenstern angetan. Je weniger Waren, desto mehr Parolen. Irgendwas wollten die Leute ja sehen. Scheiben-Schnükel hatten die dortigen Kollegen ihn gerufen, aber das hörte er auch nicht gern. Noch weniger aber seinen westlichen Spitznamen, den er regelrecht hasste.

      War Butterbeck grinsend verschwunden, explodierte er jedesmal förmlich, wie Rumpelstilzchen, mit welchem er dann auch äußerlich eine fatale Ähnlichkeit aufwies. Dann brüllte er auf, wie ein verwundeter Löwe. »Arschloch verdammtes, elende Drecksau!« und noch einiges Schmeichelhaftes mehr, von welchem der Anstand mir gebietet, es nicht zu Papier zu lassen.

      Solange sein Chef aber in natura zugegen war, zeigte er überströmendes Interesse und war mit allen seinen Vorschlägen mehr als einverstanden.

      »Selbstverständlich, prima Idee, wird sofort erledigt, Herr Sturmbannführer. Jawoll.« Sogar am Telefon benahm er sich wie in einer preußischen Militärposse,