Als ich zur Welt kam, kämpfte sie, um ihres, um unser Leben - denn der Fluch, den mein Großvater sprach, war mächtig. Doch die Liebe war stark, stärker als der Tod, die Verwundung, der Schmerz und die Grausamkeit, die ihr mein Vater angetan hat. So entkam sie, brennend wie eine Fackel, dem Abgrund, der sie gefangen hielt und sah in den Augen ihrer Tochter die Schönheit, die Freude, den Tag. Der Bann des Proteus war gebrochen, als Mutter war sie auferstanden. Sie gab es weiter, das Leuchten der Liebe, wie zahllose Mütter der Erde zuvor.
„Dieses Kind muss leben!“ sprach sie zu mir, als ich in ihrem Bauch heranwuchs. Sie selbst aber war nicht mehr hier. Sie verglühte im All, wo zahllose Sonnen seit Jahrtausenden strahlen und untergehen. Ihr Lächeln war immer voller Wärme, aber in ihrer Seele wurde es kalt. Sie gab sich den Menschen mit ganzer Kraft, doch ihr blieb nichts außer Einsamkeit. Die Kriegerin in ihr gab ihr den Mut, weiter zu gehen, weiter zu kämpfen, für ihre Berufung, für ihr Überleben. Sie tanzte auf des Messers Schneide zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke, sie sank in die Sümpfe der Traurigkeit und stieg immer wieder empor. Sie glänzte, sie verzehrte sich, sie erhob sich hinter den Wolken. Der Aufgang der Sonne war ihre Bestimmung, ihr Verderben und ihre Bürde. Ich habe versucht, diese Last zu tragen, auch in ihrer Seele die Wunde zu schließen. Doch das konnte ich nicht, denn ich war ihr Kind. Ich war Teil ihrer Narben, Teil ihrer Angst. Zornes Tochter, Schmerzenskind und trotzdem für die Liebe geboren.
Noch heute weckt Eos Tag für Tag das Strahlen in den Augen der Kinder. Für sie selbst bleibt dennoch nur ein Funke des Lichtermeeres ihres Herzens. Das Feuer der Eos, es lodert nicht mehr, die Flamme der Hoffnung ist schwach und klein. Die Morgenröte aber siegt weiter über die grauen Nebel der Nacht. Die Göttin des Morgens ist auferstanden, erwacht als die Großmutter meines Kindes. Meine Tochter Erato, die Muse der Liebe, löscht die Schatten auf ihrer Erinnerung aus, die Finsternis, in der ich zur Welt kam, die noch heute Eos Seele bedeckt und den Weg zwischen uns so schwer sein lässt.
Ich nehme den zarten Funken der Eos und trage ihn sanft in die Glut des Feuers. Ihre große Wärme soll nicht verglühen, sondern wieder hell erstrahlen mit all ihrer Empfindsamkeit, mit tiefen Gefühlen, mit weitem Herz.
SELENE (Göttin des Mondes) - Schwester der Sonne
Die Schwester der Göttin der Morgenröte verbarg sich lange im Dunkel der Nacht. Sie war in der Dämmerung gefangen und wartete stets auf das frühe Licht, um die Strahlen der Sonne zu erblicken, bevor sie selbst verblasste, verschwand. Selene wusste nicht um das Leuchten, mit dem auch sie den Himmel erhellte, denn die Finsternis hatte sie einsam gemacht. Die Sterne, ihre stummen Begleiter, sie strahlten schweigend, aber gaben nie Antwort auf ihre Fragen nach dem Leben, die schon so lange in ihr wuchsen. So sah sie jeden Morgen erneut ihre Sonnenschwester die Erde erhellen, während die Augen der Menschen sich stets voller Bewunderung erhoben.
Sie fühlte sich stets unsichtbar in Eos' strahlendem Licht - obwohl ihr geheimnisvoller Glanz der Welt ein silbernes Kleid anzog und das Rauschen des rastlosen Tages ganz weich mit friedlicher Stille bedeckte. Sie leuchtet von innen, die Göttin des Mondes, genau wie die Tochter, die sie gebar. Sie zeigt ihre Schönheit, tief unter der Haut, die Schutzpanzer sein soll und doch so zart ist. Wie ich stand sie immer in Eos' Schatten, weil deren Leid ebenso wie ihr Leuchten alles andere überstrahlte. Sie und ich, wir sind wie der Mond, tiefgründig und geheimnisvoll, verborgen im Licht des Tages, dennoch mächtig im Reich der Träume.
Selene hat einen Gefährten gefunden, der empfindsam ist, ihre Kostbarkeit sieht. Er lässt sie stark sein und ist für sie da, wenn die Traurigkeit zurückkehrt, die viele Jahre in ihr schlief. Selene, die Mondfrau, ist wunderschön. Wer ihr Leuchten kennt, weiß um ihren Zauber, ihr Rat ist weise und trägt uns stets sanft. Ich gebe ihr schimmerndes Licht ins Feuer - es leuchtet wie eine Perle darin.
PROTEUS (Gott der Gezeiten) - Der Gestaltenwandler
Sein Gesicht sah mich an aus dem Spiegelglas, das Fremde in mir, das Unbekannte. Ich erkannte mich nicht, hatte mich vergessen, war gefangen im Käfig meiner Gene. Die Stimme des Blutes, sie war gebrochen, dennoch rief sie mich laut, in meinen Träumen. Ich hörte ihn, meinen alten Namen, der ausgelöscht war und doch in mir schlief. Die Angst war es, die mich ihn vergessen ließ, die Angst, vor der meine Mutter floh, vor Proteus‘ tausend Gesichtern des Zorns. Die Flut seiner Macht, sie war gefährlich, er lenkte sie nicht, sie schwemmte ihn fort. Der Dämon in ihm war zügellos, ohne Gewissen und ohne Verstand. Nach dem Sturm aber war er ein Magier, ein Zauberer der Gefühle.
Er zog die Menschen in seine Welt, in Proteus‘ Kreislauf der Gezeiten. Im Märchenreich seiner tiefen Wasser war er ein großer, ein strahlender Herrscher. Dennoch war er allein unter vielen, die ihn umringten in seinem Zuhause. Seine Burg kannte keine verschlossenen Tore, sie war stets offen, eine Heimat für alle, aber er fand keinen Frieden in sich, in seinem Leben, in seinem Haus.
Die Tochter, die er verloren hatte, weil er zerstörte, was er liebte, sie fand ihn wieder und war doch eine Fremde. Sie begegnete ihm wie der Geist eines Lebens, das er vor langer Zeit begrub. „Ich wollte vergessen, dass es dich gibt“, das sagte er, doch das konnte er nicht. Mich, die er verspielte, verkaufte, um den Preis des bezahlten Unterhaltsgeldes, das er verlangte, aus Stolz, aus Zorn. Als könnte er mein Sein auslöschen, indem er mich hergab, wie Besitz - an den anderen Mann, der mein Vater sein wollte. Dieses Kind, das er raubte, diese Tochter der Sturmflut, dieses Zeugnis der Welt, die im Schmerz versank. Ich bin die Freude und der Verlust, ich bin Himmel und Hölle seines Herzens. Mit mir kehrte die Liebe heim, die er einst aus seiner Welt verbannte. Doch auch die Saat des Zorns trage ich mit mir, seine tiefe Schuld in den Schatten Zeit. Sein Kind bin ich und bin es doch nicht mehr, ich bin Wunde und Narbe seiner Seele. Das Monster in ihm kann ich nicht mehr finden, er hat es gebannt, gezügelt, vergraben. Vor mir steht ein gebrochener Mann, der dennoch stolz ist wie ein König, kraftvoll und trotzdem so verloren, so suchend, sein ganzes Leben lang, so wie ich, mein Blut, meine Gene. Ich sehe ihn weinen am Grab der Frau, die er so unendlich geliebt hat, die er dennoch forttrieb von sich, weil es schwer ist, an seiner Seite zu bleiben. Doch er ist es, der niemals da ist, nicht greifbar und trotzdem so mächtig. Er lässt alles um sich verblassen, nimmt jeden Raum, jeden Menschen ein, ein Nomade ist er, nirgendwo zuhause.
Dennoch gibt er jenen alles, die er einlädt in sein Reich. Sein Leben war stets ein rauschendes Fest, die Menschen strömten in sein Heim, weil es immer etwas Besonderes war. Wenn er tanzt, erwacht der Zigeuner in ihm, seine Augen leuchten, er lacht, er ist frei. Ich sehe so viel von mir in ihm, als wäre ich vorher nicht ganz gewesen, als hätte jemand ein Teil meines Herzens zurück in meine Brust gelegt. Es war der dritte Schicksalsengel, der es am Tag nach meiner Geburt ganz behutsam an sich nahm, um es zu beschützen, damit es nicht brach, bis ich meine Wurzeln fand. Ich weiß, dass dieser Teil meines Herzens ebenso strahlend wie finster ist. Sein unbeherrschbares, stolzes Wesen, es lauert in mir, es will atmen, will leben. Ich weiß, dass ich es lenken muss, denn es ist mächtig, es ist gefährlich.
Die stürmische Flut ist stiller geworden, sie ruht an den Ufern des Neubeginns. Ich, die einzige Tochter des Proteus, trage den Funken der Liebe in ihm hinein in das Feuer, das er einst ertränkte, um zu vergessen, um ein anderer zu sein. Ohne ihn wäre ich nicht hier, auch wenn wir niemals Familie waren. Die Schatten unserer Vergangenheit, sie sollen hell erleuchtet werden. Ich gebe den Schmerz und den Zorn in die Flammen - um ihn zu verwandeln, um frei zu sein.
HERA (Göttin der Geburt) - Die große Mutter
Sie war die Frau des starken Zeus und die große Mutter aller Mütter. Ihre Kraft besiegt sogar den Tod, denn ihr Geist strahlt so ewig wie die Sterne. Bevor sie starb, brachte sie im Traum ihre letzte Botschaft zu mir, in der sie mir das Licht ihrer Liebe behutsam in die Hände legte. Sie bat mich, es weiter für sie zu tragen: „Die Welt braucht dich, Enkeltochter, du bist wie ich Trägerin des Lichts. Geh hinaus und finde die Dunkelheit, erhelle sie, gib dich ganz!“. Als ich erwachte, weinte ich,