Es folgte ein bedrückter Moment der Stille.
Den jungen Männern dämmerten die Umstände, unter welchen ihre gute Freundin verschwunden war – und es behagte ihnen überhaupt nicht. Denn wenn Celine sie auf diese Art und Weise verlassen hatte, konnte es nur eines bedeuten …
Der Prinz nickte resigniert und räusperte sich. "Nun gut …", sprach er und wandte sich schließlich erneut Lewyn zu. Dieser erwiderte seinen Blick in stillem Einverständnis … So atmete Sacris einmal durch, ehe er schloss: "Ich denke, dann wird unsere Reise heute wohl nirgendwohin sonst als nach Hymaetica gehen. Wir müssen schnellstmöglich mit meinem Vater sprechen." Mit diesen Worten drehte der dunkelhaarige Mann dem Reiter den Rücken zu und schritt zu seinem leise wiehernden Rappen hin. Auf dem Weg dorthin legte er seinem Freund schweigend eine ermutigende Hand auf die Schulter …
Sacris wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Auch wenn es zugegebenermaßen eigentlich keinen Grund gab, allzu optimistisch zu sein. Aber sie würden Celine schon irgendwie finden … – Und er fuhr sich mit einem aufgeregten Zischen durch das halbkurze Haar. Verdammt, da ließ man sie einmal aus den Augen …! Er hatte ihr schon immer angeboten, ihre Dienste als Heilerin vom Schloss aus in Hymaetica zu verrichten, doch sie hatte stets abgelehnt und in ihrem abgelegenen Dörfchen bleiben wollen! 'Die Menschen hier brauchen mich, Sacris. Hier gibt es keinen außer mir, der ihnen helfen kann. Also bleibe ich bei ihnen.' – Immer und immer wieder hatte sie ihm das entgegnet! Und jedes Mal hatte sie dabei dieses sture Lächeln aufgesetzt.
Der dunkelhaarige Mann schüttelte missbilligend den Kopf und rümpfte unterschwellig die Nase, während er auf seinen Hengst aufstieg. Tz! Das hatte sie jetzt davon, dass sie ihren Willen hatte unbedingt durchsetzen müssen. Dieses dickköpfige Ding hatte es ja nicht einmal zugelassen, dass henxische Wachen auf sie aufpassten! Ja, und wohin hatte ihr verdammter Eigensinn sie jetzt gebracht …?! – Genau!
Aber dann riss sich Sacris zusammen und zügelte seinen Ärger.
Ja, Celine war stark … sehr stark. Sie ertrug das Leid so vieler Menschen, obwohl sie noch in ihrer zartesten Blüte stand und nicht einmal gänzlich erwachsen war. Und doch hatte sie nie aufgehört, ihr Lächeln und ihre Kraft an ihre Mitmenschen zu verschenken … – Aber dennoch! Argh!
Und der Prinz verzog plötzlich gequält leidend das Gesicht, während er das androgyn anmutige Profil seines langjährigen Freundes im Licht der Sonne betrachtete. Ein Stechen fuhr durch seine Brust, als hätte sich ein glühender Dorn in seine Seite gebohrt. Der junge Mann atmete tief durch und schluckte schwer, doch ging der Schmerz nicht fort, sondern blieb, wo er war – als dunkle Vorahnung in seinem Inneren. Und ihr Vorgeschmack entfaltete sich bitter auf seiner Zunge …
Sacris war nämlich nicht nur um das Wohl des Mädchens besorgt … Nein … Celine war zwar nett, aber zumindest für ihn nur eine recht gute Bekannte, mit welcher er durch die Verbindung zu Lewyns Familie regelmäßig Kontakt gehabt hatte. Nein, es war vor allem Lewyn, der besonders an Celine hing und sie liebte wie eine leibliche Schwester, die er nie gehabt hatte. Und er, Sacris, konnte jetzt nur hoffen, dass Lewyn – welcher ihm selbst nun mal mehr bedeutete, als er in Worte zu fassen vermochte! – in dieser Situation nichts Unüberlegtes tat … Und er hoffte es wirklich inständig …
Lewyn hatte kurz die Augen geschlossen, nachdem ihm Sacris eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, und war stillschweigend auf seinen Schimmel aufgestiegen. Der Sonnenschein war verblasst, so wunderte sich der junge Mann, woher die jähen Wolken hergekommen waren; doch der Himmel war noch immer genauso klar und blau wie je zuvor …
Ein Seufzer entfuhr Lewyn, sobald er sein Pferd in Bewegung setzte. Eine leise Unruhe breitete sich in ihm aus – und als der Blonde seinen Blick noch einmal über die weiten Seen, üppigen Wiesen und das kleine, friedliche Haus am Ufer schweifen ließ, wurde ihm irgendwie schwer ums Herz. Er wurde plötzlich das furchtbar beklemmende Gefühl nicht los, als würde er diesen Ort zum letzten Mal sehen.
***
"Qu'al 'tshev!" Die Gestalt stampfte wütend auf und ballte die Hand zur Faust, während sie ein blutiges Fell vor den Thron warf. Die Wachen regten sich und machten auf der Stelle Anstalten, den Mann zu bändigen, doch der König wies sie mit einer zügigen Handbewegung an, Ruhe zu bewahren. Der König Rex Faryen sah fragend zu seinem Berater auf. "Was hat das zu bedeuten, Hal?"
Der Mann neben ihm trug eine goldverzierte, dunkelblaue Robe und legte die Kuppen seiner schmalen Finger aneinander. "Nun, Eure Majestät …", begann der kahlköpfige Berater mit gedämpfter Stimme, "Die Elfen scheinen einen weiteren Boten zur 'Warnung' entsandt zu haben … Sie werden der 'Frevel' langsam überdrüssig."
Die Gestalt vor ihnen war bis auf einen Lendenschurz und Waffengürtel völlig unbekleidet und offenbarte so einen schlanken, wenn auch kräftigen Körper, welcher über und über mit blauen Tätowierungen bedeckt war. Der Elf hielt einen Speer in der Hand, trug einen Bogen am Rücken und hatte silbrig langes Haar, in welches Blätterranken hineingeflochten waren. Sein Gesicht war filigran gehalten, seine Ohren spitz zulaufend und seine türkisblauen Augen in funkelndem Zorn auf den König vor sich gerichtet.
"Z'ehynn'dha qu'an th'eyza! N'nin'ktshu qu'av! M'ekethz! M'ekethz 'nnu ah'nya vez'kynth!" Immer aufbrausender und fluchender kamen die Worte über die Lippen des Fremdlings. Sie klangen hart, sogar beißend und hatten doch eine natürliche Melodie, die dazu verleitete, mehr von ihr vernehmen zu wollen. Immer wieder deutete er auf das Fell und anschließend auf alle anderen Anwesenden um ihn herum.
König Faryen wandte den Kopf merklich beunruhigt zu seinem Berater. "Der Gesandte schwört, dass die Menschen 'ein böser Fluch' treffen wird, solltet Ihr nicht damit aufhören, 'ah'nya zu spotten' und ihre … 'Kinder' zu töten …", dann beugte sich Hal ein wenig zu ihm herunter und flüsterte: "Eure Majestät, es wäre höchst ratsam, dass Ihr ihnen ein Zeichen Eurer 'guten Absicht' gebt, ansonsten ist es nur eine Frage von Monaten oder gar Wochen, bis sie zuhauf vor Eurem Palast stehen und 'Rechenschaft' fordern – wenn Ihr versteht, was ich meine …", und er hob eine kahle Augenbraue, "Es scheint, als würden sie keine Ruhe geben, bis die Wolfsschlachtung aufgehört hat."
Der König nickte langsam und räusperte sich schließlich, woraufhin sich der Mercurio Hal wieder aufrichtete. "Nun …", begann der Menschenkönig – jedoch nicht, ohne vorher einen bedeutungsvollen Blick mit seinem Berater gewechselt zu haben, "Ihr habt da etwas missverstanden: Wir haben …", er zögerte und wählte seine Worte mit Bedacht, "… bereits in die Wege geleitet, dass … unsere Menschen keine sinnlosen Tieropfer mehr bringen." Er sah kurz zu Hal, welcher daraufhin begann, das Gesagte in Qu'elza, die Sprache der Elfen, zu übersetzen.
Der Fremdling hielt nun inne und lauschte den Worten des Königs. Dieser fuhr fort: "Aber wie das bei uns Menschen leider so ist, brauchen Veränderungen …", Rex zögerte erneut, "… ihre Zeit, bis sie sich vollkommen durchgesetzt haben. Deswegen bitte ich euch um ein wenig Geduld. Gebt den Menschen die Zeit, die sie brauchen, um sich an die neuen Umstände zu … 'gewöhnen' …" Beim Sprechen vollzog seine rechte Hand leichte, kreisende Bewegungen, welche die latente Nervosität des alten Mannes verrieten. "So nehmt denn als Zeichen meines guten Willens diesen … diesen …", was sollte er ihnen bloß geben?, "… ja, diesen Baumsamen entgegen!" Der König ließ einen Diener hastig ein kleines Lederbeutelchen auf einem Tablett bringen. "Er stammt vom großen Baum unserer Väter und kann nur in einer einzigen Nacht in sieben Jahren gewonnen werden, da die Blüte ihn nur für diesen kurzen Augenblick preisgibt …!"
Auf einen flüchtigen Wink hin schritt der Diener an den Elfen heran, während der Mercurio die Worte zu Ende übersetzte. Der Bursche wartete, bis der Gesandte das Beutelchen vom Tablett genommen hatte, und entfernte sich danach wieder. Der Waldbewohner