Es waren besonders die Frauen, die unter den harten Bedingungen zu leiden hatten. Sie arbeiteten auf dem Feld, hatten die Hausarbeit und Kindererziehung zu leisten, und sollten dabei auch noch ihre Männer verwöhnen.
Eine verarmte Adlige aus der Pfalz, Louise von Scheyde, die es nach Pennsylvanien verschlagen hatte, lehnte sich gegen diese Lebensumstände auf. Zusammen mit Elisabeth Rittenhouse sammelte sie etwa zwei Dutzend weitere tapfere Frauen, deren Namen nicht überliefert sind, um sich. Nach einer Zeit der geheimen Vorbereitung verließen die Aufbegehrenden ihre Männer und diese unwirtlichen, ausbeuterischen Verhältnisse. In einem langen Treck durchquerten sie von Ost nach Südwest den ganzen nordamerikanischen Kontinent und mussten sich in dieser Zeit schon mancher Verfolger und widriger Umstände erwehren.
Sie werden wohl Waffen mitgeführt haben, dachte Ronald bei sich. Ob sie wohl ihre Ehemänner und Söhne, die sie wahrscheinlich verfolgt haben, getötet haben?
Über solche Einzelheiten ließ sich die feminatische Geschichtsexpertin nicht aus.
Solange sie sich nicht niedergelassen, sondern nur durchgezogen sind, haben die Indianer sie vielleicht in Ruhe gelassen. Ronald machte sich so seine Gedanken und das, obwohl seine Stuhlnachbarin Selma wie bei dem vorigen Vortrag zum Verhaltenskodex im Lager wieder angefangen hatte, an seinem Glied zu spielen. Das lenkte ihn jedenfalls gewaltig ab. Da es ihm andererseits aber auch gefiel, ließ er seine Betreuerin gewähren.
Erst in den Provinzen des Vizekönigreiches Neuspanien Nuevo México und Arizona fühlten die geflohenen Frauen sich sicherer. Mit den Pueblo-Indianern, die diese Gebiete besiedelten, kamen sie gut zurecht, zogen aber trotzdem weiter nach Süden. Auf dem Weg hierher hatten sich ihnen weitere Frauen angeschlossen, viele waren ihnen gefolgt.
Gegen 1720 kam der große Treck weiblicher Flüchtlinge auf der Suche nach einer neuen Heimat in der Opateria an. Der Landstrich aus Bergen, Hochebenen und Flusstälern gefiel ihnen. Das Wichtigste aber war der freundliche Empfang durch die Opata, deren kleine Siedlungen sich meist an den Flussläufen fanden.
Die Frauen fanden Aufnahme in Dörfern, die matrilinear organisiert waren, das heißt für Herkunft und Besitz ist die mütterliche Linie ausschlaggebend gewesen. Zwar waren in den Ältestenräten der Clans Frauen und Männer gleichberechtigt vertreten und die Dorfhäuptlinge waren meistens, die Kriegshäuptlinge immer Männer, aber es gab mächtige Schamaninnen. Die Lebensweise dieser indigenen Nation kam den Bedürfnissen der geflohenen, in der Mehrheit deutschen Migrantinnen sehr entgegen. Sie ordneten sich nicht nur in die Dorfclans ein, sondern hatten auf Grund ihrer höheren technischen und landwirtschaftlichen Bildung bald einen sehr großen Einfluss. Die Opata teilten wegen des entstandenen Frauenüberschusses die Männer mit ihnen, die Zugewanderten wurden in die Ältestenräte aufgenommen und dominierten sie nach einigen Jahrzehnten.
Da die Opata seit langem Verbündete der spanischen Kolonisatoren gegen die Apachen aus dem Norden waren und nur gegen diese Krieg führten, außer manchmal gegen andere ihrer eigenen Clans, wurden sie von den Spaniern in Ruhe gelassen. So kam es, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts in einer Vielzahl benachbarter ehemaliger Opata-Dörfer in den Ältestenräten nur noch Frauen waren, die Schamaninnen die Clan-Anführerinnen wurden und eine deutsche Mundart als die gemeinsame Sprache genutzt wurde. Sprachforscher hätten sicher eine enge Verwandtschaft dieser Sprache mit dem Pennsylvania Dutch feststellen können, angereichert mit Lehnwörtern aus dem Spanischen, Französischen und der verschiedenen Dialekte der Opata-Stämme.
Ebenfalls Ende des 18. Jahrhunderts, genaue Jahreszahlen seien nicht überliefert, behauptete Frau Professorin Mater, raffte eine geheimnisvolle Krankheit eine große Zahl von Männern und Jungen dahin. Auch die von den Schamaninnen an die Kranken verabreichte Medizin half nicht, eher im Gegenteil.
Nachtigall, ich hör dich trapsen, musste Ronald denken und erkannte beim Umsehen bei seinen Geschlechtsgenossen den gleichen Gedanken. Er hoffte, dass diese grausame Zeit und ihre Sitten den heutigen Nachfahren selbst auch unheimlich sind und keine Nachahmerinnen mehr findet.
Im Übrigen konnte er seit kurzem dem Vortrag viel besser folgen, seit die Kopulatricen zusammen mit der Lagerleiterin aus dem Saal gegangen waren. Sie sollten den am Nachmittag angekommenen Lagerteilnehmerinnen vorgestellt werden.
In der Folge dieses erheblichen Schwundes des männlichen Bevölkerungsanteils bildete sich langsam eine reine Frauengesellschaft heraus. Im Kampf gegen die traditionellen Opata-Clans, die auf Grund wildester Vorwürfe und Gerüchte die Frauendörfer immer mal angriffen, schlossen sich diese enger zusammen.
Die Geschichtsprofessorin berichtete stolz von diesen Kämpfen, aus denen die besser bewaffneten und strategisch geschickter vorgehenden Frauen siegreich hervorgingen. Sie eroberten sogar weitere Opata-Dörfer und auch Siedlungen benachbarter Stämme wie die der Cucupá, der Seris und der Yaquis.
So vergrößerte sich allmählich das von Frauen beherrschte Territorium in Sonora. In all diesen Jahrzehnten kamen auch immer mal größere und kleinere Frauengruppen und auch einzelne Frauen in dieses Gebiet, um sich hier niederzulassen und der Frauengesellschaft anzuschließen. Die Informationen und Gerüchte über diese Amazonen verbreitete sich über die spanischen Kolonisatoren und ihre Söldner bis nach Europa, sodass sogar direkt von dort Zuzug kam.
Es entstanden erste staatliche Strukturen, die Gemeinden gründeten einen sogenannten feminatischen Bund unter Führung der Familien von Scheyde und Rittenhouse, den Nachfahren der Anführerinnen des Auszugs aus Nordamerika. In diese Zeit fielen auch die ersten Stadtgründungen in dieser Region: Grandame, Frauenstein, Mammaville und Montegrad wuchsen aus ehemaligen Opata-Dörfern. Unter der Führung von Amante von Scheyde wurden bewaffnete Einheiten zum Schutz der feminatischen Städte und Dörfer aufgestellt. Den Feminaten gelang es, im 19. Jahrhundert sowohl während des Mexikanischen Unabhängigkeitskrieges als auch während des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges geschickt zu lavieren, indem sie abwechselnde Bündnisse eingingen.
Sowohl die Opata-Krieger und die spanischen Söldner als auch die mexikanischen Unabhängigkeitskämpfer, später die amerikanischen Soldaten, die in Kämpfe mit den bewaffneten feminatischen Kräften verwickelt wurden, berichteten meist von der Unerschrockenkeit und dem unbedingten Siegeswillen der Kriegerinnen. Die Gerüchte über die Kampfeslust und die angebliche Grausamkeit der sogenannten Amazonenkriegerinnen verbreitete sich in ganz Mexiko und Nordamerika, sodass bald jede Armeeeinheit einen großen Bogen um dieses von den Frauen beherrschte Territorium machte.
Die Bevölkerungszahl wuchs, obwohl nur sehr wenige Knaben geboren oder aufgezogen wurden.
Etwas distanziert erzählte die Vortragende von bösen Gerüchten und Verleumdungen, die angeblich niemals bestätigt worden seien. Der feminatischen Gesellschaft wurde in dieser Zeit vorgeworfen, ihre neugeborenen Knaben getötet zu haben. Auch von Massenübergaben männlicher Säuglinge an mexikanische Großgrundbesitzer und katholische Missionsstationen liest man in manchen Berichten.
Bekannt ist, dass Gefangenen aus kriegerischen Auseinandersetzungen vor ihrer Hinrichtung oft die Gnade zuteil wurde, noch einmal sexuelle Lust empfinden und einer oder mehreren Frauen beiwohnen zu dürfen.
In friedlicheren Zeiten drangen feminatische Kriegerinnen auch in benachbarte Siedlungen ein und holten sich junge Männer, die an tagelangen Orgien teilnehmen konnten, dann aber wieder nach Hause geschickt wurden.
So etwas ähnliches scheint mir oder besser gesagt uns sieben Männern ja auch passiert zu sein, wenn auch mit anderen Mitteln, überlegte sich Ronald, der aus dem Staunen nicht herauskam.
Die eigentliche Geburtsstunde des Königreiches Femina wird von den Geschichtsschreiberinnen des Landes mit dem Besuch der Bürgermeisterin von Grandame und unangefochtener Präsidentin des Bundes der feminatischen Städte und Dörfer, der Nachfahrin pfälzischer Adliger Frau Fuerta von Scheyde, beim Kaiser von Mexiko gleichgesetzt.
Der Habsburger Erzherzog Maximilian und jüngere Bruder des