Der Anblick dieser Männer erfüllte Hauptmann Jacot mit dem beruhigenden Bewusstsein, seine Pflicht erfüllt zu haben. Fast einen ganzen Monat lang hatte er mit seinen Leuten die Wüste nach einer Schar von Banditen durchsucht, die außer zahlreichen Viehdiebstählen mehrere Morde auf dem Gewissen hatten, so dass ihnen die Guillotine sicher war.
Vor einer Woche hatte er sie endlich stellen können. Bei dem Kampf waren zwar zwei seiner Leute gefallen, aber die Verluste der Banditen kamen fast einer völligen Vernichtung gleich; nur ein halbes Dutzend hatte fliehen können. Dass sich der Führer der Banditen, Achmet ben Houdin, unter den Gefangenen befand, erfüllte Jacot mit besonderer Genugtuung.
Von den Gefangenen ließ der Hauptmann seine Gedanken die letzten Meilen in die Garnison schweifen. Im Geiste sah er sich schon von seiner schönen Frau und der kleinen Tochter willkommen geheißen, deren weiche Wangen er an seiner rauen Lederhaut zu spüren glaubte.
Plötzlich wurde er durch laute Rufe aus seiner Träumerei gerissen. Hauptmann Jacot hob den Blick. Die Sonne war noch nicht untergegangen, ließ aber schon die Schatten der kümmerlichen Bäume, der Männer und Pferde weit in die Wüste reichen. Jacots Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Postens, der den Alarm ausgelöst hatte. Er erkannte Reiter in der Wüste, die sich schnell dem Lager näherten. Jacot schickte den Ankömmlingen einen Sergeanten und ein Dutzend seiner Soldaten entgegen. Etwa zweihundert Meter vor dem Lager trafen die beiden Gruppen aufeinander. Jacot sah den Sergeanten in Unterhaltung mit einem hochgewachsenen, weißgekleideten Mann - offensichtlich dem Führer der Gruppe. Der Sergeant und der Araber wandten sich um und ritten Seite an Seite zum Lager. Jacot erwartete sie. Die beiden zügelten ihre Pferde vor ihm und stiegen ab.
»Scheich Amor ben Kathour«, sagte der Sergeant mit einer vorstellenden Geste.
Jacot musterte den Mann. Er kannte fast jeden Scheich im Umkreis von mehreren hundert Meilen. Diesen Mann hatte er noch nie gesehen. Er war hochgewachsen, sein Gesicht war von Wind und Sonne zerfurcht, sein Alter schätzte Jacot auf sechzig oder mehr. Die Augen des Mannes verrieten List und Verschlagenheit.
»Nun?«, fragte der Hauptmann.
Der Araber kam sofort zur Sache. »Achmet ben Houdi ist der Sohn meiner Schwester. Wenn du ihn mir übergibst, werde ich dafür sorgen, dass er sich nicht mehr gegen das französische Gesetz vergeht.«
Jacot schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein«, erwiderte er. »Ich muss ihn mitnehmen. Ein Zivilgericht wird in fairem Verfahren das Urteil über ihn sprechen. Ist er unschuldig, kann er entlassen werden.«
»Und wenn er nicht unschuldig ist?«, fragte der Araber.
»Er ist vieler Morde angeklagt. Gelingt es, ihm nur einen dieser Morde nachzuweisen, muss er sterben.«
Die linke Hand des Arabers war unterm Burnus verborgen gewesen. Jetzt zog er sie mit einem Geldbeutel aus Ziegenleder hervor. Der Beutel war prall gefüllt. Der Scheich öffnete den Beutel und ließ einen Teil des Inhalts auf seine rechte Hand rinnen - alle Münzen waren französische Goldstücke. Aus der Größe des Beutels schloss Jacot, dass sein Inhalt ein kleines Vermögen darstellte. Langsam ließ Scheich Amor ben Kathour die Goldstücke wieder in den Beutel gleiten und verschloss ihn. Während der ganzen Zeit blieb er stumm. Jacot beobachtete ihn genau. Sie waren allein. Der Sergeant, von dem der Besucher ins Lager geleitet worden war, hatte sich zurückgezogen. Plötzlich hielt der Scheich dem Hauptmann den Beutel auf der flachen Hand entgegen.
»Achmet ben Houdin, der Sohn meiner Schwester, könnte heute Nacht entfliehen, nicht wahr?«
Hauptmann Jacots ohnehin dunkles Gesicht färbte sich noch dunkler.
»Sergeant!«, rief er.
Der Sergeant kam herbei und salutierte.
»Bringen Sie diesen Sohn einer Hündin wieder zu seinen Leuten zurück«, befahl Jacot. »Sorgen Sie dafür, dass alle sofort verschwinden. Und schießen Sie heute Nacht auf jeden, der sich dem Lager nähert.«
Scheich Amor ben Kathour richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Seine verschlagenen Augen verengten sich. Er hob den Geldbeutel, bis er sich auf gleicher Höhe wie die Augen des französischen Offiziers befand.
»Du wirst mehr als dieses hier für das Leben Achmet ben Houdins, meiner Schwester Sohn, zahlen«, sagte er. »Und noch einmal so viel für das Wort, mit dem du mich beleidigt hast.«
»Scher dich fort!«, knurrte Jacot. »Verschwinde, bevor mein Fußtritt dich wegbefördert.«
All dies ereignete sich etwa drei Jahre vor dem Einsetzen unserer Geschichte. Die Spuren Achmet ben Houdins und seiner Komplizen lassen sich noch heute verfolgen. Er nahm das Ende, das er verdient hatte, und starb mit dem Stoizismus der Araber.
Einen Monat später verschwand Jeanne Jacot, die siebenjährige Tochter Hauptmann Armand Jacots, auf geheimnisvolle Weise. Weder Geld noch die Macht der großen Republik vermochten das Rätsel um Jeannes Verschwinden zu lösen. Die ausgesetzte Belohnung war so hoch, dass sich immer wieder Abenteurer davon angezogen fühlten. Selbst moderne Detektive beteiligten sich an der Suche; die Gebeine vieler von ihnen bleichen heute im stummen Sand der Sahara.
Zwei Schweden, Carl Jenssen und Sven Malbihn, gaben ihre Versuche nach drei Jahren auf. Sie waren bis weit in den Süden der Sahara vorgedrungen und hatten das profitablere Geschäft des Elfenbeinhandels entdeckt. In weiten Bezirken waren sie bereits wegen ihrer Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit bekannt. Die Eingeborenen fürchteten und hassten sie, die Regierungen der Länder, in denen sie ihre Tätigkeit entfalteten, suchten ihrer vergeblich habhaft zu werden. Die Überfälle der Schweden waren meist erfolgreich. Sie ergriffen das gehortete Elfenbein und zogen sich mit ihrer Beute in die unzugängliche nördliche Einsamkeit zurück. Rücksichtslos töteten sie auch jeden Elefanten, der ihren Weg kreuzte. Ihr Gefolge bestand aus hundert oder mehr Arabern und Negersklaven, die eine rücksichtslose Bande von Halsabschneidern gebildet hatten. Merken wir uns die Namen, denn wir werden ihnen später wieder begegnen - Carl Jenssen und Sven Malbihn, zwei schwedische Riesen mit goldblonden Bärten.
Im Herzen des Dschungels, verborgen am Ufer des unentdeckten Nebenflusses eines großen Stromes, der sich in den Atlantik ergießt, lag ein kleines, von schweren Palisadenzäunen umgebenes Dorf. Zwanzig mit Palmblättern bedeckte Hütten beherbergten die schwarzen Bewohner, während das halbe Dutzend zeltähnlicher Hutten aus Ziegenleder den Arabern Unterschlupf bot, die hier ihre Ladungen für den Markt in Timbuktu zusammenstellten.
Vor einem der Araberzelte spielte ein kleines Mädchen von zehn Jahren. Mit seinen schwarzen Augen, dem schwarzen Haar und der grazilen Haltung war jeder Zoll des Mädchens der einer geborenen Wüstentochter. Ihre kleinen Finger waren damit beschäftigt, der Puppe Geeka aus Gras ein neues Kleid zu fertigen. Der Kopf der Puppe war roh aus Elfenbein geschnitzt, während der Körper aus Rattenfell bestand. Die Arme und Beine waren Stücke Holz, an einem Ende durchbohrt und mit dem Körper verbunden. Die Puppe, alles andere als schön, stellte für Meriem das einzige Wesen dar, dem sie ihren Kummer und ihre Sorgen anvertrauen konnte, und darum war sie die schönste Puppe auf der Welt.
Fast alle Menschen, mit denen Meriem zusammenkam, waren entweder gleichgültig oder grausam zu ihr. So zum Beispiel die alte Hexe Mabunu - ein zahnloses, schmutziges Geschöpf von unberechenbarem Temperament. Sie ließ keine Gelegenheit vorübergehen, das Mädchen zu quälen; einmal hatte sie die kleine Meriem sogar mit glühenden Kohlen verbrannt. Dann war noch der Scheich da, ihr Vater. Ihn fürchtete Meriem mehr als selbst Mabunu, denn er schalt sie oft und beendete seine Tiraden meist mit schmerzhaften körperlichen Züchtigungen.
Als sie an diesem Tag vor dem väterlichen Zelt aus Ziegenfell saß, tauchte der Scheich unerwartet auf. Sofort erlosch der glückliche Ausdruck auf Meriems Gesicht. Sie kauerte sich zusammen, rückte auch zur Seite. Aber sie war nicht schnell