Mit tränenerstickter Stimme flüsterte sie: »Geeka liebt Meriem. Warum liebt der Scheich, mein Vater, mich nicht auch? Bin ich so unnütz? Ich versuche gut zu sein, weiß aber nie, warum er mich schlägt, so dass ich nicht sagen kann, was ich getan habe, um seinen Zorn zu erregen. Warum ist er so hässlich zu mir, Geeka? Ich weiß es nicht, und ich wünschte, ich wäre tot. Gestern brachten die Jäger den toten Körper El adreas. Nie wieder wird El adrea sich seiner ahnungslosen Beute nähern. Nie wieder wird sein mächtiger Schädel und sein gelber Rücken die Herzen der Grasfresser vor Furcht schneller pochen lassen, wenn sie nachts ihre Wasserstelle aufsuchen. Nie mehr wird sein donnerndes Brüllen den Erdboden erschüttern. El adrea ist tot. Sie schlugen seinen Körper fürchterlich, als sie ihn gestern brachten, aber die Schläge machten El adrea nichts aus, denn er war tot. Wenn ich tot bin, Geeka, werde ich auch nicht mehr die Schläge meines Vaters und Mabunus spüren. Dann werde ich glücklich sein. O Geeka, wie wünschte ich, tot zu sein!«
Plötzlich wurden Meriems Gedanken durch eine Bewegung am anderen Ende des Dorfes abgelenkt. Sie war neugierig wie alle Kinder und wäre gern hingeeilt, um zu sehen, was es gab, aber die Gefahr, dabei ihrem Vater zu begegnen, hielt sie zurück.
Sie hörte, wie eine Menge sich über die Straße dem Zelt des Scheiches näherte, und sah zwei Fremde - weiße Männer. Sie waren allein, aber aus den Gesprächen der anderen Dorfbewohner entnahm Meriem, dass die beiden ein großes Gefolge hatten, das außerhalb des Dorfes lagerte. Die Fremden waren gekommen, um mit dem Scheich zu palavern.
Der alte Araber kam ihnen aus seinem Zelt entgegen. Seine verschlagenen Augen verengten sich, als er die Ankömmlinge musterte. Die Fremden blieben stehen und begrüßten den Scheich. Sie seien gekommen, um Elfenbein zu kaufen oder einzuhandeln. Der Scheich knurrte, er habe kein Elfenbein. Meriem entfuhr ein unterdrückter Ausruf. Sie wusste genau, dass in einer nahegelegenen Hütte die großen Stoßzähne bis unter das Dach lagerten. Sie schob sich ein wenig weiter vor, um einen besseren Blick auf die Fremden zu bekommen. Wie weiß sie waren! Wie gelb ihre starken Bärte!
Plötzlich wandte der eine der beiden seinen Blick in Meriems Richtung. Sie wollte sich noch schnell verstecken, denn sie fürchtete alle Männer, aber er hatte sie schon gesehen. Meriem beobachtete das Erschrecken des Mannes. Auch der Scheich sah es und erriet den Grund.
»Ich habe kein Elfenbein«, wiederholte er. »Ich will keinen Handel. Gehen Sie. Gehen Sie sofort!«
Er drängte die Fremden in Richtung des Palisadentores. Sie erhoben Einwendungen, aber der Scheich drohte nur. Es wäre Selbstmord gewesen, dem Befehl nicht zu gehorchen, also verließen die beiden Männer das Dorf, um zu ihrem lagernden Gefolge zurückzukehren.
Der Scheich ging zu seinem Zelt, betrat es aber nicht. Er wandte sich Meriem zu, die angsterfüllt an der Seitenwand des Zeltes lag. Der Scheich bückte sich und packte ihren Arm. Mit einem Ruck riss er sie auf die Füße, zerrte sie zum Eingang des Zeltes und stieß sie hinein. Er folgte ihr und begann wütend auf das Mädchen einzuschlagen.
»Du bleibst drin, hast du verstanden?« herrschte er sie an. »Ich warne dich, Fremde dein Gesicht sehen zu lassen. Wenn du dich noch einmal Fremden zeigst, werde ich dich töten.« Ein wütender Schlag beförderte Meriem in die hinterste Ecke des Zeltes, wo sie schluchzend liegenblieb. Der Scheich stampfte ärgerlich in seinem Zelt auf und ab.
In ihrem Lager unterhielten sich die beiden Fremden erregt. »Es besteht kein Zweifel«, sagte der eine, der sich Malbihn nannte, »nicht der geringste Zweifel. Aber was mich verblüfft ist die Tatsache, dass der alte Gauner nie Anspruch auf die Belohnung erhoben hat.«
»Es gibt Dinge für einen Araber, die ihm mehr bedeuten als Geld, Jenssen«, erwiderte der andere. »Rache zum Beispiel.«
»Sei dem, wie ihm wolle, es kann nicht schaden, es mit Gold zu versuchen«, sagte Jenssen.
Malbihn zuckte die Achseln. »Nicht beim Scheich«, entgegnete er. »Wir könnten es bei einem seiner Leute versuchen. Der Scheich verzichtet für alles Gold der Welt nicht auf seine Rache. Ihm ein Angebot machen, hieße bestätigen, dass wir vor seinem Zelt gesehen haben, was wir nicht sehen sollten. Wenn wir dann noch mit dem Leben davonkommen, können wir froh sein.«
»Nun, versuche es also mit Bestechung«, sagte Jenssen.
Aber die Bestechung misslang - sie forderte einen hohen Preis. Der Mann, den sie als Werkzeug ausersehen hatten, war ein großer, alter Häuptling aus der Heimat des Scheichs. Er ließ sich von dem Glanz des Goldes blenden, denn er hatte an der Küste gewohnt und kannte die Macht des glänzenden Metalls. Er versprach, ihnen in später Nacht zu bringen, wonach sie verlangten.
Sofort nach Einbruch der Dunkelheit begannen die beiden weißen Männer das Lager abzubrechen. Um Mitternacht waren alle Vorbereitungen beendet. Die Träger lagen neben ihren Lasten, bereit, sie auf einen Ruf hin auf ihre Köpfe zu schwingen. Die bewaffneten Askaris warteten zwischen dem Lager und dem Dorf, denn sie sollten die Nachhut bilden, sobald der Marsch begann.
Minuten später wurden Schritte laut, die sich auf dem Dorfpfad näherten. Die Askaris und die Weißen nahmen ihre Positionen ein. Es kam nicht nur ein Mann. Jenssen trat vor und rief den Ankömmlingen gedämpft zu: »Wer kommt?«
»Mbeeda«, kam die Antwort.
Mbeeda war der Name des verräterischen Häuptlings. Jenssen gab sich zufrieden, obwohl ihm auffiel, dass Mbeeda nicht allein kam. Plötzlich begriff er. Was da reglos auf einer schmalen Bahre ruhte, wurde von zwei Männern getragen. Jenssen stieß eine leise Verwünschung aus. War es möglich, dass der Narr ihnen eine Tote brachte? Sie hatten für eine Lebende den Preis gezahlt.
Die Träger hielten vor den weißen Männern an. »Hier ist, was euer Gold gekauft hat«, sagte der eine der beiden. Sie setzten die Tragbahre ab, wandten sich um und verschwanden im Dschungel.
Malbihn musterte Jenssen mit einem verzerrten Lächeln. Der Körper, der auf der Trage lag, war mit einem Stück Stoff bedeckt.
»Nun?« stieß Malbihn hervor. »Heb' die Decke und sieh dir an, was du gekauft hast. Was glaubst du, was man uns für eine Leiche zahlen wird, bei der wir allein sechs Monate brauchen, um sie an ihren Bestimmungsort zu bringen?«
»Der Narr hätte wissen müssen, dass sie nur lebend für uns von Wert war«, sagte Jenssen finster. Er bückte sich, ergriff eine Ecke des Stoffes und riss ihn von dem Ding, das auf der Trage lag.
Beim Anblick dessen, was sie sahen, traten beide Männer zurück und stießen wüste Verwünschungen aus. Denn vor ihnen lag - die Leiche Mbeedas, des ungetreuen Häuptlings.
Fünf Minuten später befand sich die Safari Jenssens und Malbihns auf schnellem Marsch nach Westen. Nervöse Askaris schirmten sie gegen den Angriff ab, der jede Sekunde erwartet wurde.
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