Das kleine Paradies. Ida Uhlich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ida Uhlich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737584524
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      Er war so in seinen Gedanken vertieft, dass er sie ansah, nein er starrte sie an. Julia wurde langsam nervös.

      »Mr. Brown? ...äh, ich meine Kevin, ist alles in Ordnung? Soll ich lieber ein Taxi nehmen? Das macht mir wirklich nichts aus. Ich möchte dich nicht davon abhalten, etwas Wichtigeres zu tun.«

      Tsss, das sind ja mal ganz neue Töne, dachte er. Diese Frau zog ein Taxi ihm vor.

      Schnell sagte er: »Nein, nein, ich habe Jack versprochen dich abzuholen. Ich halte meine Versprechen.«

      Sie nickte und wollte ihren Koffer nehmen. Doch er kam ihr zuvor und griff danach.

      »Danke, aber ich kann das auch alleine.«

      »Ich zweifle nicht daran!«

      Er lief grinsend vor und sie musste sich anstrengen, dass sie Schritt halten konnte.

      Was für ein komischer Mensch, dachte sie. Verdammt gutaussehend, aber eigenartig. Oh Gott, hoffentlich wird das hier nicht die größte Verarsche aller Zeiten. Ich werde Rose gleich anrufen, wenn ich angekommen bin. Sie wird sich bestimmt Gedanken machen, weil ich vorhin so schnell auflegt habe.

      Kaum hatte sie das zu Ende gedacht, klingelte ihr Smartphone. Ein Blick aufs Display bestätigte ihre Vermutung.

      Rose!

      Sie ließ es klingeln und machte große Schritte, da der Abstand zwischen ihnen bereits größer wurde. Kevin drehte sich um.

      »Möchtest du nicht rangehen?«

      »Oh nein, ich rufe später zurück. Rennen und telefonieren geht gar nicht!«

      Erst jetzt bemerkte er, dass sie Schwierigkeiten hatte, hinterher zu kommen.

      »Entschuldige«, sagte er grinsend, »ich laufe zu schnell?«

      »Nein, ist schon okay.«

      Sie log und er sah es ihr an. Er drehte sich zur Seite und zeigte mit der Hand zu einem Auto.

      »Wir sind schon da.«

      Er öffnete ihr die Tür und sie stieg ein. Das war kein Auto, das war eine sündhaft teure Limousine. Er startete und sie hörte nichts. Rein gar nichts. Sie fragte sich, ob es überhaupt einen Motor gab. Sie blickte aus dem Fenster und betrachtete die Häuser und Straßen. Sie spürte, dass er sie beobachtete. Das machte sie nervös.

      Um überhaupt etwas zu sagen, denn die Stille war fast unerträglicher als seine Blicke, fragte sie: »Wie lange müssen wir denn fahren?«

      Er wandte sich wieder dem Verkehr zu und manövrierte das große Schlachtschiff gekonnt durch die Straßen.

      »Ca. 1 Stunde. Wenn wir aus der Stadt heraus sind, fängt der schöne Teil Schottlands an.«

      »Oh, Schönheit findet man auch hier«, sie zeigte mit der Hand zum Fenster, »man muss sie nur erkennen. Sie ist überall.«

      Ihre Antwort gefiel ihm. Das war kein hochnäsiges Geschwafel. Sie hatte ihre eigene Sicht.

      »Warst du schon einmal in Schottland?«

      Sie schüttelte mit dem Kopf. Sie fuhren gerade über eine Brücke und sie schaute fasziniert hinunter zum Fluss. Plötzlich schrie sie: »Kannst du hier anhalten, oder ist es verboten?«

      »Was hast du vor?«

      »Ich möchte fotografieren.«

      Ihre Augen leuchteten und ihre Wangen wurden rot. Wenn sie ein gutes Motiv erkannte, war sie immer sehr aufgeregt. Wie ein kleines Kind, das gerade etwas Neues zum Spielen gefunden hatte.

      »Kein Problem!«

      Er bremste langsam ab. Währenddessen holte sie bereits die Kamera aus dem kleinen Koffer. Sie zappelte herum und er sagte lächelnd: »Lass mich wenigstens anhalten.«

      »Fällt mir schwer, aber ich warte!«

      Der Wagen stand und sie sprang raus. Er schüttelte den Kopf und stieg dann auch aus. Er lief ihr nach und stellte sich hinter sie. Er versuchte krampfhaft ein schönes Motiv zu erkennen. Jedoch sah er nur Wasser und Häuser, die sich kaum im Fluss spiegelten, da die Oberfläche durch den leichten Wind krisselig war.

      »Was fotografierst du in Gottesnamen da nur?«

      Sie ließ sich nicht stören und schoss vier Bilder. Beim ersten Bild legte sie ihren Oberkörper über die Brüstung und fokussierte nur das Wasser an. Er machte einen Schritt nach vorne und hielt sie am Arm fest. Erschrocken fuhr sie herum.

      »Ich dachte schon, du wolltest springen?«, sagte er etwas panisch.

      »Sehr witzig!«

      Sie drehte sich wieder um und schoss das nächste Bild aus der Hocke.

      »Warum durch das Geländer, wenn du oberhalb freie Sicht hast?«

      »Weil ich die reine Schönheit einfangen möchte.«

      Für das dritte Bild musste sie zwei Schritte zurücktreten. Sie stieß an seine Brust und er wich nicht zurück. Sie bemerkte es vor Eifer gar nicht. Er atmete tief ein… sie roch verdammt gut und ihre Haare kitzelten ihm am Hals. Es war für ihn eine eigenartige Situation. Es war schon lange her, dass er eine fremde Frau so dicht hat an sich herankommen lassen. Zu allem Ärger von Jack.

      »Was fotografierst du jetzt?«, fragte er neugierig.

      »Siehst du dort hinten den Baum, wo der Ast leicht das Wasser berührt?«

      Er beugte sich ein wenig hinunter und legte sein Kinn auf ihre rechte Schulter. Nun hatte er die gleiche Sichthöhe wie sie. Leicht berührte er ihre Wange. Sie roch noch immer gut.

      »Ja, jetzt schon!«

      »Der Ast wirft einen Schatten. Da das Wasser aber keine glatte Oberfläche hat, ist der Schatten verzerrt. Dadurch wirkt das Motiv sehr bizarr.«

      Für das vierte Bild, drehte sie sich blitzschnell um und drückte ab. Kevin starrte noch in Richtung Baum. Verwirrt schaute er sie an.

      »Warum mich?«, brummte er.

      »Weil du jetzt das erste Mal ein entspanntes Gesicht hast. Kein Zusammenkneifen der Augen, keine Falten an der Stirn und kein grimmiger Blick.«

      »Ich habe grimmig geschaut?«

      Nun war er doch ein wenig irritiert. Sie lächelte nur.

      »Kann ich sie sehen?«

      »Moment, ich zeig sie dir gleich.«

      Geduldig wartete er.

      »So, fertig!«

      Sie wollte zum Auto marschieren, doch er protestierte.

      »Hey, du wolltest mir doch die Bilder zeigen.«

      »Ja doch, im Auto.«

      Etwas verwirrt, da ihn sonst nie einer warten ließ, lief er ihr hinterher. Kaum saß er, da hielt sie ihm die Kamera hin. Er starrte auf die Bilder und konnte es nicht fassen. Er erkannte die Motive kaum wieder. Bewundernd starrte er sie an.

      »Hey, du hast wirklich ein geschultes Auge für die Schönheit.«

      Sie schüttelte ihren Kopf.

      »Was hast du erwartet? Ich bin Fotografin. Das ist die Voraussetzung für diesen Beruf.«

      Sie packte sorgsam ihre Kamera wieder in den Koffer.

      »Ja schon, aber es gibt auch viele Schauspieler, die nicht schauspielern können.«

      »Wieso den Vergleich mit Schauspielern?«

      »Weil ich mich da auskenne.«

      Wieder hob sie die Braue und er musste grinsen. Er fand das einfach zu süß.

      Vorsichtig fragte sie: »Wieso, bist du auch einer?«

      »Hmhmm.«

      »Ein richtiger? Ich... ich meine