Der raumlose Raum. Peter Mussbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Mussbach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737537735
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und das Leben bleibt lustiger, denn die Bösen verraten sich selbst und das Gute siegt, dagegen können selbst der Professor oder der Polizist nichts ausrichten, wenn sie glauben, das Kasperle malträtieren oder verhaften zu müssen.“

      Ein Gremlin ist das pure Gegenteil einer Marionette, die nur das macht, was ihre Strippenzieher wollen, die sich übers schlechte Wetter freuen, weil man sie oben in den Wolken nicht erkennen kann. Das ist gut so, vor allem für die Marionette, die ja nicht wissen darf, dass sie an Fäden gezogen wird, sonst würde sie sich umbringen – einfach die Fäden zerschneiden und leblos zu Boden sinken.

      Der Sonntag ohne Ende

      Wie gesagt, der Sonntag geht beschissen los. Er wird kein Ende nehmen. Nichts ist los. Unendliche Langeweile. Er erinnert sich genau und sieht alles vor sich, wie im Film. Jetzt aber hat ihn die Erinnerung gefangen, unversehens ist sie Gegenwart geworden. – „So, jetzt stehen wir auf, dann Frühstück“, fordert ihn seine Mutter auf, die statt des Zweiten Dienstmädchens heute am heiligen Sonntagvormittag an seinem Bett steht: „Erst die Zähne putzen und wenigstens das Gesicht waschen, dann die Sonntagssachen anziehen, die schon bereit liegen, wie immer, wenn es Sonntag ist, dann ein ausgedehntes Frühstück, dafür haben wir sonntags ja Zeit, und nach dem Mittagessen und dem verdienten Mittagsschlaf gehen wir wie immer am Sonntag im Stadtpark spazieren, dann Kuchen und schnell aufs Zimmer, da kannst du dann spielen, wenn du nicht noch Hausaufgaben machen musst, aber bitte nicht wieder im Wohnzimmer wie vorletzten Sonntag, wo du so einen Dreck hinterlassen hast, dass unsere Mädchen montags Stunden brauchten, um es uns wieder gemütlich zu machen, und nach dem Abendbrot noch etwas Frankenfeld, dann ab ins Bett.“ „Frankenfeld, bitte bis zu Ende“, ruft er. „Nein, sicher nicht!“, antwortet seine Mutter trocken, „Frankenfeld überzieht immer!“

      Beim Frühstück sitzt er wie immer seinem Vater gegenüber, der die Frühstückseier wie riesige Smarties in seinen Mund stopft, bis es nur so tropft und er die Serviette zu Hilfe nehmen muss. Mutter rastet aus: Ohne Punkt und Komma!

       Sie droht damit künftig keine Stoffservietten mehr auflegen zu lassen denn dem Ersten Dienstmädchen das für die Wäsche zuständig sei könne man das nicht mehr zumuten jeden Tag nur Stoffservietten waschen und bügeln zu müssen denn alle auch das Zweite Dienstmädchen seien mittlerweile total überfordert und sie vor allem sie wüsste langsam nicht mehr ein noch aus wie sie den sie zunehmend überfordernden Aufgaben überhaupt noch gerecht werden solle wobei sein Vater auch noch wie selbstverständlich davon ausgehe wie bei einem Wunderwunder jeden Morgen automatisch frisch gewaschene Stoffservietten vor sich auf dem Frühstückstisch liegen zu haben und auch noch glaube täglich vollkommen sinnlos und unachtsam eine frische Stoffserviette nach der anderen verbrauchen zu können das könne er vergessen und dürfe nicht sein das gehe zu weit wirklich zu weit sie wäre am Ende mit ihren Nerven und selbst die neuen Waschmaschinen und Trockner aus Amerika könnten nicht mehr mithalten sie würden im Keller schon glühen vor Überarbeitung da bräuchte man schon kein Heizung mehr für den Swimmingpool die könne man sich sparen.

      Wie immer in solchen Augenblicken wird es seinem Vater schnell zu bunt: Dann wirkt er plötzlich ruhig und ausgeglichen, was aber nie stimmt. Er erhebt sich mit gelbgelbem Gesicht, wobei er sich eindrucksvoll auf der Tischplatte abstützt und sich demonstrativ die letzten Eierreste mit seiner Stoffserviette vom Munde abwischt: Kurz und bündig teilt er der Kleinfamilie mit, dass er sich jetzt zurückziehen werde, um am Nachmittag mit Mutter und ihm, wie immer, heute am Sonntagnachmittag, im Stadtpark spazieren zu gehen.

      Eine überraschende Begegnung

      Ich stolpere also an diesem verdammten Sonntag, der kein Ende nehmen will, zwischen meinen Eltern durch den Stadtpark: „Flieg Teddy, flieg, und immer wieder, flieg du Teddy!“ Plötzlich fliege ich in einem hohen Bogen auf die Wiese, wo ich mich am liebsten sofort in den frisch aufgeworfenen Grasbergen verkriechen würde. In jedem Fall aber bleibe ich liegen, bis die Luft rein ist, und als ich mich endlich vorsichtig aufrichte, bin ich allein.

      Meine Eltern bin ich erst mal los! Die haben ihren Teddybär heute weggeworfen und ich den meinen Gott sei Dank schon gestern. Damit haben sie sich ein Kasperle eingehandelt, aber das wissen sie noch nicht, die werden schon sehen, die denken immer noch, ein niedlicher Teddybär läge im Gras und nicht Kasperle. Nach Hause will ich erst mal nicht. Wohin ich aber sonst soll, weiß ich nicht. Also bleibe ich sitzen und schaue mich um, vielleicht tut sich etwas Interessantes: Ich lasse einfach meine Blicke schweifen und atme auf!

      Zum ersten Mal in meinem Leben sitze ich alleine in einer grüngrünen Landschaft und keiner stört: Zwischen den Bäumen geht warm die Sonne unter, und in mir erblühen viele bunte Farben, die ich im Prisma rundum auf den Blättern glitzernd wieder erkenne. Ab und zu fliegt mir eine Schwalbe am Ohr vorbei und ins Weite davon. „Schwalben haben gut reden“, denke ich mir, während ich der einen oder anderen nachsehe, „die fliegen, und unsereins kann noch nicht einmal richtig laufen!“

      Einige wenige Spaziergänger sind noch unterwegs, die sich nicht davon abhalten lassen, sich um mich Sorgen zu machen.

      Warum sitzt du denn da, mein Kleiner?

       Weil ich sitze!

       Wohin gehörst du denn?

       Weiß ich doch nicht!

       Na so was! – Hast du keine Eltern?

       Nein!

       Aber du musst doch Eltern haben!

       Ich bin verwechselt worden.

       Was soll das denn heißen?

       Ich hab eben keine!

       Willst du dich über uns lustig machen?

       Ja!

       Was soll das nun heißen, du bist uns ja der Rechte!

       Ich bin nicht der Rechte!

       Nein, aber siebenmalgescheit!

       Ja, wie das Kasperle!

      Als mir die Fragerei auf den Keks geht, kürze ich die Sache ab, weil ich mich nicht in Gespräche verwickeln lassen möchte. Denn insgeheim habe ich das Gefühl, dass mich jemand sprechen will und unerkannt bleiben möchte. Also werfe ich den Leuten, die sich mir nähern wollen, schon von weitem entgegen … „Sitze da! Eltern um die Ecke! Kommen gleich wieder! Muss warten! Wiedersehen!“

      Ein lustiges, etwas naseweises Mädchen springt plötzlich hinter ihm übers Gras auf ihn zu und lacht auf.

      Na, schau mal her, da sitzt ja das Kasperle im Park und erholt sich von der Vorstellung!

       Wie kommst du denn da drauf?

       Na, dumme Frage, das ist doch klar, das sieht man doch!

       Was sieht man?

       Dass da das Kasperle sitzt!

       Wer denn – wer sitzt wo?

       Na du, hier, das Kasperle!

       Ich soll ein Kasperle sein? – Woran siehst du das?

       Na, eben so!

       Was heiß: Eben so?

       Nun ja, wie soll ich sagen, eben das Ganze!

       Was heißt: das Ganze?

       Na, du eben – das Kasperle!

       Ich soll ein Kasperle sein?

       Na klar; das sieht doch jeder! – Tschüs Kasperle!

      Als ich deutlich werden will, ist sie auch schon weggelaufen. Bestimmt warten ihre Eltern um die Ecke, weil sie wieder zu spät ist – Mädchen sind immer zu spät! „Dumm ist es nur, dass sie mich als Kasperle erkannt hat. Das ist ja schnell gegangen“, denke ich mir, „man will ein Kasperle sein und schon sieht es jeder!“ Hat er etwa das Teddybärkostüm schon abgestreift? – Wann denn? – Er versucht sich zu erinnern.

      Es ist dunkel und kalt geworden. Einige Straßenlaternen flackern aufgeregt durch die Bäume herüber, so dass er Angst bekommt, weil sie ihn wie Blinkeaugen beobachten. Plötzlich schreckt er auf: Ein dicker Käfer krabbelt ihm über den Handrücken; angeekelt rollt er sich zur