Das Paradies ist zu Ende. Louis Lautr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louis Lautr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742724182
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zu dem Bauer Gernervater, i han denkt dein Vater wär tot?“ Linde sagte: „Erhard, wenn i zu dir sage dät, du wärsch ein Ochs, dann hät ich den beleidigt, weil mein Ochs gescheiter ist als du. Deshalb kann i dir des nit erkläre.“ Erhard lachte hämisch und sagte: „Ihr Baure un dr Louis hän halt a weng ein Vogel, euch gfällt des, wenn so ein Bauer mit seim Baum schpricht, wenn er ihn fällt. Da lachet sich ja eure Hühner z' dot.“ Unsere Lehrerin hatte das Gespräch gehört und sagte: „Weißt du Erhard, es gibt Menschen, die lieben ihre Tiere, ihre Bäume und die Natur. Mich hat es beeindruckt wie der Bauer mit seinem Baum sprach. Hast du mal gesehen, wie sich Sonnenblumen der Sonne zuwenden und sich dabei drehen, weil sie ihre Wärme und ihr Licht brauchen. Pflanzen und besonders Bäume sind Lebewesen. Ich weiß, dass die schöne Fichte, den Seiler Bauer gehört und verstanden hat. Wahrscheinlich versteht ein Ochse oder eine Kuh wenn Linde mit ihnen spricht. Erhard, wenn du manches nicht verstehst, solltest du tolerant sein und dich nicht über Dinge lustig machen, die du nicht verstehst. Linde, du kannst natürlich zu Hause bleiben.“ Ich sagte leise: „Linde, was du zum Erhard gesagt hast, war klasse, ich würde dich am liebsten in Arm nehmen, aber das sieht doof aus, wenn alle uns zusehen. „Louis, komm schnell mit“, sagte sie, „ich muss dir noch was zeigen.“ Hinter der Tür küsste sie mich zum Abschied. Auf dem Rückweg sah ich an einem Haselnussstrauch eine perfekte Astgabel. Ich sagte: „Rosa, bitte warte auf mich, ich klettere schnell hoch, die Astgabel gibt eine perfekte Schleuder für dich.“ „Bitte“, sagte Rosanna, „gib mir dein Messer, ich möchte gerne die Astgabel selbst holen.“ Rosa bewunderte mein Taschenmesser, sie schnitt die Astgabel ab und gab sie mir. Ich zeigte ihr, wie lang die einzelnen Enden sein müssten, um eine perfekte Schleuder zu fertigen und wie in die Gabelenden eine Kerbe geschnitten wird. Ich sagte: „Rosa, jetzt brauche ich nur noch die Gummis und das Leder. Ich werde für dich die gleichen Gummis nehmen, wie bei meiner Schleuder. Sie fragte: „Woher hast du die Gummistreifen?“ Ich erklärte es ihr leise. Als Erhard mein Taschenmesser sah, sagte er: „Da sagt man, so Witwen hätten wenig Geld und dann sehe ich, dass ihr Sohn s' teuerschte Taschenmesser hat.“ Ich sagte: „Erhard, du bisch so ein blöder Sack, das Messer hat mir meine Patin geschenkt. Aber eigentlich geht es dich wirklich nichts an. Du hast auch ein Messer und kannst dir eine Astgabel schnitzen.“ Erhard sagte: „Aber i han keine solche Gummis.“ Ich antwortete: „Wenn du nit immer so bösartig wärsch, no könntsch mi frage, ob i dir zwei schenken könnt,.“ Erhard war leise geworden und sagte: „Weisch, manchmal bin ich neidisch und bösartig, aber ich versuch, dass wir vor den Ferien gut miteinander auskommen. Kasch du mir wirklich zwei solche Gummis besorgen.“ Als wir in der Schule waren, wartete Rosa bis wir alleine waren. Sie sagte zu Frau Kofer: „Ich hab mit Louis so lange nicht geschmust, kann ich mit ihm zu ihnen kommen, sonst müssen wir wieder in die Kirche gehen.“ Frau Kofer lachte: „Rosa das ist Erpressung, du kannst mit Louis natürlich zu mir kommen, ich verstehe dich, denn die letzten Male ist unser Förderkurs ausgefallen.“ Als wir bei Esther in der Wohnung waren, sagte Rosa: „Louis, zieh dich bitte aus, ich muss mit dir kuscheln, weil ich süchtig wurde.“ Madame sagte: „Ich will euch nicht beeinflussen, aber Rosa, lass dir Zeit, dann du bist viel länger im Paradies.“ Wir kuschelten und schmusten über eine Stunde. Dann nahm ich mir von den Schleudergummis welche mit. Ich steckte die Gummilösung ein, wickelte ein Stück Draht auf und schnitt etwas von dem Leder ab. Wir bedankten uns bei Madame und verabschiedeten und küssten uns auf der Treppe. Ich sagte: „Rosanna, wenn ich dich heute nicht begleite, kann ich dir morgen deine Schleuder mitbringen.“ Dann rannte ich nach Hause und erzählte meiner Mutter, was wir heute in der Schule gemacht hätten und was Frau Kofer zum Seiler sagte. Ich fertigte die Schleuder für Rosanna an und schnitzte in die dunkelbraune Rinde Verzierungen. Ich freute mich, dass ich einen Wunsch frei hatte. Für die zwei Gummis die ich Erhard versprochen hatte, nahm ich Schläuche von PKW-Reifen, damit er nicht so weit schießen konnte. Linde konnte inzwischen mit der Schleuder sehr gut schießen und stärkere Gummis von LKW-Schläuchen spannen. Meiner Mutter sagte ich, dass ich mit Hartmut noch etwas im Sägewerk aufräumen müsste und rannte in Wald, um nach einer schönen Astgabel zu suchen. Ich fand eine passende und fertigte für Linde eine zweite Schleuder an, in die dunkelbraune Rinde schnitzte ich ihren Namen und Sterne ein. Meine Mutter meinte, es wäre Zeit ins Bett zu gehen.

      Am Mittwochvormittag sagte Frau Kofer, in der Schule: „Ich habe eure Zeugnisse fast fertig, und werde heute einige Schüler und Schülerinnen, mündlich prüfen, ob ich ihre Noten verbessern kann. In unserer Klasse waren einige Schüler, die älter waren, als dies unserem Klassendurchschnitt entsprach. Wir waren am Ende der fünften Klasse und schrieben das Jahr 1952, normalerweise waren wir im Alter zwischen elf und zwölf. Einige Flüchtlingskinder, hatten durch Flucht und Vertreibung längere Zeit die Schule versäumt. Wir hatten einen Schüler, er hieß Reiner Matuski und war bereits vierzehn. Im Diktat hatte er oft 30 Fehler, er war ein ruhiger und zurückhaltender Schüler, der selten seine körperliche Überlegenheit ausspielte. Er hatte einen eigenartigen Dialekt und sprach grammatikalisch oft falsches Deutsch, genauso falsch schrieb er Aufsätze. Rechnen konnte er gut. Er sagte er wäre aus dem heutigen Polen. Sein Vater und sein großer Bruder starben im Krieg oder auf der Flucht. Er war größer als wir, hatte einen leichten Bart und wohnte mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung im Unterdorf. Ein Mädchen, Katharina Warlau war ebenfalls vierzehn. Sie sagte: „Ich bin Donauschwäbin aus Ungarn, sie glich eher einer Zigeunerinn, wie sie manchmal durch unser Dorf zogen. Damals waren „Zigeuner“ keine Schimpfworte. Katharina sah erwachsen aus, hatte dunkle Augen, schwarze, lange Haare, die fast ihren Rücken bedeckten, manchmal hatte sie einen Zopf. Am besten gefiel sie mir, wenn sie ihre Haare zu einem Knoten geflochten hatte. Sie war größer als wir und sprach gut Deutsch ihr Dialekt klang nicht schwäbisch. Rechnen konnte sie sehr gut. Sie hatte Lücken in Biologie, sowie in Natur- und Heimatkunde. Katharina hatte keine Mutter mehr, aber eine kleine Schwester. Ihr Vater kam nach der Pause, ohne anzuklopfen ins Klassenzimmer, er meinte, Frau Kofer hätte seine Tochter ungerecht behandelt und fing Streit mit unserer Lehrerein an. Frau Kofer redete sachlich mit ihm, er wurde immer aggressiver, bis er ausflippte und sie am rechten Arm festhalten wollte. Sie gab ihm mit der linken Hand eine schallende Ohrfeige und trat ihn mit ihrem rechten Fuß gegen sein Schienbein. Er schaute sie fassungslos und verdattert an. Sie sagte ruhig: „Herr Warlau, wollen sie dass ich sie anzeige, sie haben jeglichen Respekt vor der Lehrerin ihrer Tochter verloren, sie kommen ohne anzuklopfen in mein Klassenzimmer. Sie wollten mich vor meiner Klasse verprügeln. Geht man in dem Land aus dem sie geflohen sind, so mit Frauen um? Wie wollen sie, mit ihrem Verhalten, ihren Töchtern ein Vorbild sein?“ Herr Warlau war verstört und entschuldigte sich. Frau Kofer sagte: „Herr Warlau, ich habe immer am ersten Dienstag eines Monats in diesem Klassenzimmer um 14:00 Sprechstunde. Sie können sich mit mir in meiner Sprechstunde unterhalten und wenn sie sie sich wie ein höflicher Mann benehmen, kann ihre Tochter gerne dabei sein. Wenn sie sich allerdings, so wie heute, wie ein Fellache benehmen, dann lassen sie ihre Tochter zu Hause, damit sie nicht den Respekt vor ihrem Vater verliert. Wenn sie möchten, kommen sie nächsten Dienstag in meine Sprechstunde. Bitte verlassen sie jetzt mein Klassenzimmer.“ Herr Warlau verließ leise das Klassenzimmer. Katharina meldete sich und fragte: „Frau Kofer, kann ich nachher alleine mit ihnen sprechen?“ Frau Kofer sagte: „Katharina, natürlich kannst du mit mir reden. Alle meine Schüler können jederzeit mit mir reden.“ Mir tat Katharina leid, ich hatte keinen Vater mehr und konnte mir vorstellen, wie schwierig es ist, wenn man keine Mutter hat. Als ich Herrn Warlau sah, dachte ich, er wäre noch sehr jung, Katharina war zwei Jahre älter als ich. Ich wusste, dass ich das Alter von Menschen schätzen konnte und fragte: „Katharina, wie alt ist dein Vater?“ Sie fragte: „Warum interessieren es dich?“ Ich antwortete: „Ich glaube, dein Vater ist noch nicht mal dreißig.“ Ich bemerkte, dass Katharina unsicher wurde. Sie sagte: „Louis, mein Papa ist 32 als ich geboren wurde, war er achtzehn. Bist du jetzt zufrieden?“ Als Herr Warlau ging, sagte Frau Kofer: „Ich bedaure, dass ihr die Szene erlebt habt. Katharina hat sich wohl über mich geärgert und hat mit ihrem Papa gesprochen. Sicher war er zornig und wollte seiner Tochter helfen. Man muss bei Menschen, die schreckliche Erlebnisse im Krieg und auf der Flucht hatten, manches entschuldigen. Vor allem kann unsere Katharina nichts dafür, bitte seid unverändert nett zu ihr. Wenn ihr euch von mir, oder in unsrer Schule, ungerecht behandelt fühlt, dann redet bitte mit mir. Wir wollen mit unserem Unterricht fortfahren.“ Sie stellte an Schüler, die auf schlechten Noten standen einige mündliche Fragen und schrieb sich