Das Hospital. Benno von Bormann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benno von Bormann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738094824
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vor ihrem Wagen. Er machte ihr die Tür auf und ein verzweifeltes Gefühl, eine Mischung aus Traurigkeit und Sehnsucht übermannte ihn für einen kurzen Moment.

      „Gute Nacht, fahr vorsichtig“, sagte er fest und schlug die Tür zu.

      Sein Wagen stand im Parkhaus für Klinikangehörige, das sich auf der anderen Seite des Gebäudekomplexes befand. Bekker musste ohnehin noch einmal zurück in das Hauptgebäude, um sich umzuziehen. Als er sein Zimmer abschloss, war es bereits kurz nach Mitternacht. Seine Frau Birte wusste, dass er ein Fanatiker war und einen Patienten nicht gerne mittendrin an andere abgab. Dass der Patient diesmal einer ihrer besten Freunde war, wusste sie noch gar nicht. Das würde sie in jedem Fall milde stimmen.

      Birte Bekker hatte sich mit der Arbeitswut ihres Mannes arrangiert und auch mit seinen gelegentlichen manischen Phasen, wenn er sich in die Schicksale von Patienten verstrickte. Wirklich abgefunden hatte sie sich damit nicht. ‘Wohltäter der Menschheit‘, nannte sie ihn manchmal und meinte das nicht ausschließlich freundlich. Wenn er Rufbereitschaftsdienst hatte, konnte es passieren, dass sie ihn mehrere Tage überhaupt nicht sah, jedenfalls nicht bewusst. Er kam mitten in der Nacht nach Hause, fiel todmüde ins Bett und war lange vor dem Frühstück schon wieder verschwunden.

      Andererseits war morgen Samstag und am frühen Nachmittag ging ihr Flieger nach Sardinien in den lang ersehnten Urlaub. Sie hatten weit im Voraus geplant. Schließlich hielt Bekker sich für unersetzlich.

      „Zweieinhalb Wochen“, hatte er ausgerufen, als sprächen sie vom Rest seines Lebens, „hoffentlich lässt der Alte“, gemeint war Fritsche, „mich überhaupt so lange gehen. Er ist bei den Oberärzten sehr heikel.“ Birte hatte ihm die Pistole auf die Brust gesetzt. Von Arbeitskollegen aus der Klinik, mit denen man sich gelegentlich traf, wusste sie, dass die Räder sich dort auch ohne Herrn Dr. Bekker drehten und dass es Fritsche herzlich egal war, ob ein Oberarzt zwei oder vier Wochen verreiste, solange alles rechtzeitig geplant war. Letztendlich hatten sie sich geeinigt und gebucht. Bekker schien sich tatsächlich zu freuen, ja er war plötzlich regelrecht euphorisch. Seiner Frau schwor er hoch und heilig, dass diesmal nichts dazwischen kommen würde, ‚und wenn die ganze Uni in Flammen aufgeht.’

      Bekker wollte gerade das Gebäude über den Seiteneingang, der direkt mit dem Parkhaus verbunden war, verlassen, als er einer plötzlichen Eingebung folgte und noch einmal in das Treppenhaus zurückkehrte. Er hastete in den ersten Stock hinauf, indem er mehrere Stufen gleichzeitig nahm.

      Tanaka stand auf dem Flur der Intensivstation und besprach etwas mit einer der Nachtschwestern. Offenbar hatten sie einen Neuzugang bekommen, denn Bekker sah Licht in einer Patientenbox, die vorhin noch dunkel gewesen war. Tanaka schien überrascht, nickte ihm dann aber zu, was hieß, ‚alles in Ordnung‘.

      Bekker betrat das Zimmer von Jürgen Menzel. Der Patient war weiterhin beatmet. Die Maschine seufzte und schlurfte in dem typischen, vertrauten Rhythmus eines adaptierten Respirators. Bekker war beruhigt und wollte gerade kehrtmachen, um sich endgültig zu verabschieden, als er innehielt. Der Patient hatte seine Arme, die seitlich dicht am Körper fixiert waren, bewegt. Bekker trat ans Bett. Auf dem Nachttisch lag neben den üblichen Pflegeutensilien eine kleine Taschenlampe. Bekker zögerte einen Moment, setzte sich dann auf die Bettkante und untersuchte erneut die Pupillen des Kranken. Die rechte war weiterhin eng mit träger Reaktion auf Licht.

      ‚Ein bisschen lang als Opiatreaktion‘, dachte er und war irritiert. Er zog das linke Augenlid zurück und erschrak. Die Pupille war mittelweit und starr. Das sah man auch ohne Lampe. Trotzdem machte er den üblichen Test, schloss das Lid, richtete den Lichtstrahl auf das Auge und zog dann das Lid schnell zurück. Es blieb dabei, keinerlei Reaktion auf Licht. Das konnte unmöglich ein erhöhter Hirndruck sein, oder doch? Eigentlich blieb gar keine Alternative. Die Operation war wenige Stunden her und die Redondrainage hatte lediglich einige Milliliter seröse Flüssigkeit gefördert. Das Operationsfeld war vor dem Wundverschluss staubtrocken gewesen; das hatte er selbst gesehen. Und vor kaum zwanzig Minuten war alles vollkommen unauffällig gewesen. Bekker rief durch die offene Tür,

      „Herr Tanaka, würden sie wohl einmal kommen?“

      Als der Gerufene in der Tür erschien, begann der Patient zu krampfen. Er tat dies in unverwechselbarer Weise, indem er die Arme überstreckte und nach innen drehte. Die beiden Ärzte wechselten einen entsetzten, vielsagenden Blick. Bekker spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Es gab kein Vertun, das waren die klassischen Zeichen eines erhöhten Hirndrucks. Offensichtlich förderte die Redondrainage nicht. Entweder war sie verstopft oder abgeknickt. Möglicherweise lag sie auch nicht an der richtigen Stelle im Wundgebiet. Weiss hatte die Operation zu Ende geführt. Der war zwar alles andere als ein Genie, aber hier war nichts falsch zu machen. Die Einlage der Drainage, gut, das konnte im letzten Moment verrutschen.

      Bekker und Tanaka dachten das Gleiche. Natürlich kam auch ein generalisiertes Hirnödem in Frage, war aber nach einem solchen Eingriff eher unwahrscheinlich. Auch sprach der einseitige Pupillenbefund dagegen. Dann doch eher eine Blutung. Das Gehirn war unter zunehmendem Druck, soviel stand fest. Die andere Pupille würde nachziehen. Es gab nur eine Therapie: die operative Entlastung, um irreversible Schäden zu verhindern. Keine große Angelegenheit, verglichen mit der ersten Operation. Aber es musste sofort sein.

      Bekker versuchte sich zu sortieren. Verdammt, ausgerechnet Jürgen! Warum er? Die Chirurgen mussten schnellstmöglich das Blutgerinnsel entfernen und eine akribische Blutstillung durchführen. Die Diagnostik! Ohne die ging’s nicht. Ein Computertomogramm. Die Radiologen würden zwar stöhnen, aber eine dringlichere Indikation gab es in der ganzen Medizin nicht. Nur so war die Diagnose zu sichern.

      Bekker wollte gerade die entsprechenden Anweisungen geben, als er innehielt. Dies war nicht seine Station. Er hatte hier nichts zu sagen, war streng gesehen nicht einmal geduldet, sondern bestenfalls inoffizieller Gast. Okay, Interessenvertreter der Familie, das musste akzeptiert werden. Der Ärger war dennoch vorprogrammiert. Brücher würde ausrasten und einen Riesenwirbel bis hin zum Dekan oder sogar bis zum Universitätspräsidenten veranstalten, wenn er mitbekäme, dass ein anästhesiologischer Oberarzt, auch wenn es der für seine Klinik zuständige war, auf seiner Station Anweisungen gab. Seiner Station. Da konnte die Sachlage noch so eindeutig sein, das war Politik, und vor der schwieg ohnehin jede Vernunft.

      Brücher schätzte Bekker. Er schätzte ihn sogar sehr, soweit er dazu in der Lage war, ein Fachgebiet zu respektieren, das für ihn in die Kategorie der medizinischen Hilfsdisziplinen gehörte. Bekker besuchte selbstverständlich ganz offiziell die frischoperierten neurochirurgischen Patienten, dagegen gab es keine Einwände. Ansonsten aber hatte auch er sich an die strikte Anweisung zu halten, keinerlei therapeutische oder diagnostische Maßnahmen anzuordnen, seien sie im Einzelfall auch sinnvoll und indiziert.

      „Herr Tanaka, den Patienten muss man revidieren. Wir brauchen sofort ein CT!“

      „Natürlich, Herr Bekker, sehe ich genau so. Ich verständige eben Dr. Weiss. Der hat Oberarztdienst. Sagen Sie doch bitte schon mal der Leitstelle Bescheid, wegen des Notarztwagens für den Transport.“

      Bekker stutzte. Der Notarztwagen? Transport? Herr im Himmel, das hatte er vollkommen vergessen. Das CT des Klinikums war derzeit nicht in Betrieb, da ein neues hochmodernes Gerät angeschafft wurde. Ein Spiral-CT. Das alte Gerät war ausgebaut und die Räume waren eine Baustelle. Man kooperierte vorübergehend mit einer radiologischen Großpraxis in der Nähe. Dort war eine Vierundzwanzigstundenbereitschaft eingerichtet, um den Notwendigkeiten einer Universitätsklinik einigermaßen gerecht zu werden. Die Patienten mussten allerdings transportiert werden, etwa vier Kilometer. Und wenn sie beatmet waren, machte das der Notarztwagen.

      Bekker hängte sich sofort ans Telefon im Bereitschaftszimmer, während Tanaka das Flurtelefon abnahm und sich über die Zentrale der Klinik mit seinem Oberarzt verbinden ließ. Bekker musste mehrmals wählen, da permanent das Besetztzeichen ertönte. ‚Typisch‘, dachte er genervt, ‚immer trommeln, aber wenn man sie braucht, führen sie Privatgespräche‘. Das war natürlich Unsinn. Die zentrale Leitstelle der Feuerwehr, die sämtliche Einsätze der diversen Notarztwagen und des Rettungshubschraubers koordinierte, hatte permanent mehrere Leitungen geschaltet. Aber manchmal brannte es halt überall. Schließlich