Lazarus. Christian Otte. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Otte
Издательство: Bookwire
Серия: Die Zentrale
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742741233
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des Rates die Augen und Ohren der Clans und ermöglichten so eine gegenseitige Kontrolle. Bei Unstimmigkeiten im Clan konnte der Helfer diese an seinen Meister im Rat berichten, bei Problemen im Rat berichtete er an seinen Meister im Clan. Dieses System aus Transparenz und gegenseitiger Kontrolle führte zu einem stabilen Machtverhältnis zwischen den Clans und ermöglichte so eine Ära der friedlichen Koexistenz. Auch mit den Menschen, die nichts von diesem Treiben mitbekamen.

      Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Rat zu einer Art Behörde und übernahm damit immer weitreichende Aufgaben. Eine dieser Aufgaben war die Aufklärung von Straftaten einzelner Yonin. Da in solchen Fällen die Spuren für menschliche Strafverfolgungsbehörden häufig nicht zu verwerten waren, oder im schlimmsten Fall Menschen von der Existenz der Yonin erfuhren, hatte sich diese Aufgabe zwangsweise ausgebildet. Dieser Abteilung gehörte Wolk an.

      Dass er die Ausnahme in der Struktur der Ratsbehörde, die sich 1888 den etwas sperrigen Namen „Zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für trans- und metamenschliche Aktivitäten“ gegeben hatte, war, behielt Wolk für sich. Da er ohne Rudel aufgewachsen war, war er der einzige in der Bruderschaft, dessen beide Meister im Rat saßen. Meister Aeolus gehörte zur Spitze der Strafverfolgungsabteilung. Wolks Vorgesetzter Schulz war Meister Aeolus unterstellt und Wolk seinerseits Schulz. Meister Claudius hatte ihn damals aufgefunden und sich seiner angenommen. Claudius gehörte den acht Unsterblichen an, und verdiente den Namen, im Gegensatz zu vielen aus dem Clan, auch zu recht. Trotz des Widerstandes, der ihm von allen Seiten entgegenwirkte, hatte er Wolk großgezogen und schließlich als Mitarbeiter in die Zentrale bringen dürfen.

      In den folgenden Nächten hatte Wolk keine Tests mehr vorgesehen und kam auch nicht mehr selber vorbei. Da er nun, abgesehen von seiner kleinen Vorstellung für seine Besucher, nichts mehr zu tun hatte, durchforstete er mit seinem neuen Wissen bis spät in die Nacht das Internet nach Berichten über Vampire, Werwölfe und alles Paranormale. Hauptsächlich fand er Sagen und Märchen. Aber was, wenn die alle einem wahren Kern entsprangen? Berichte über Vampire im weitesten Sinne gab es aus fast allen Kulturen. Auch ohne Teil einer Geschichte zu sein. Was, wenn die Geschichten nur Testläufe waren, um zu schauen ob die Menschheit reif genug für die Wahrheit war. Wollten die Yonin sich überhaupt den übrigen Menschen zu erkennen geben? Wenn sie schon so lange im Verborgenen lebten, nahmen sie von dort Einfluss auf die Geschicke der übrigen Menschheit, und wenn ja welcher Art? So musste sich Herkules im Kampf mit der Hydra gefühlt haben: Für jeden Kopf den er der Bestie abschlug, wuchsen zwei neue nach. Für jede Antwort die Alex fand, tauchten zwei neue Fragen auf. Wolk hatte ihm einen Schnellkurs zum Thema metamenschliche Gesellschaft gegeben. Viel Information in kurzer Zeit. Aber es steckte noch so viel mehr dahinter. Das wusste Alex. Um die Details zu verstehen, musste er das Gesamtbild betrachten.

      In der Nacht auf Dienstag der folgenden Woche, führte Wolk ihn aus dem Krankenhaus heraus, wieder zu den Backsteingebäuden. „Wo gehen wir hin?“, fragte Alex.

      „Jetzt“, antwortete Wolk emotionslos, „kommen die richtigen Tests.“

      10

      Sie gingen in Richtung des Restaurants, also südlich. Dann bogen sie in einen Hinterhof ab, der offensichtlich als Lieferzone diente.

      Wolk zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss damit eine Tür auf. Sie gingen einige Schritte hinein und blieben vor einem Fahrstuhl stehen.

      „Zugänge wie diesen gibt es über die ganze Stadt verteilt“, erklärte Wolk als er den Aufzug rief.

      „Fahrstühle kenne ich, bereits. Das ist keine Neuigkeit für mich“, gab Alex zurück.

      „Wenn du das sagst.“

      Die Fahrstuhltüren glitten auf und die beiden stiegen ein. Wolk steckte einen Schlüssel in das Schloss am Tastenfeld, drehte um und drückte mit dem Daumen auf den Knopf für das Erdgeschoss.

      Die Türen schlossen sich und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Offensichtlich nach unten. Die Fahrt dauerte erheblich länger, als Alex es für eine Etage erwartet hatte. Eigentlich hatte er gar keine Fahrt erwartet, da sie im Erdgeschoss starteten und Wolk nur auf die Taste für dasselbe gedrückt hatte. Aber durch den Schlüssel hätte eine Prioritätsfahrt ausgelöst werden können, wie er sie aus Krankenhäusern kannte. Das erklärte aber nicht, dass die Fahrt immer noch andauerte. Wenn er es korrekt abschätzte, waren sie bereits 5 bis 6 Etagen nach unten gefahren, bevor die Tür sich wieder öffnete und den Blick auf einen kurzen, hell erleuchteten Tunnel freigab, der vom Fahrstuhl zu einer Doppeltür führte. Wolk trat aus dem Aufzug und Alex folgte ihm im kurzen Abstand. Die Tür schwang auf. „Willkommen im ersten Kreis der Hölle“, verkündete Wolk.

      „Ich hoffe du meinst das metaphorisch“, konnte Alex noch sagen, bevor es ihm die Sprache wieder verschlug. Sie standen am Rand eines gewaltigen Lichthofs. In der gewölbten Kuppel konnte Alex den Himmel sehen. Durch die verglaste Wand vor ihm konnte er einen Blick in die Tiefe werfen. Die Wände aus Glas und Metall waren schräg, und bildeten miteinander eine glatte Oberfläche. Jede Etage hatte einen kleineren Durchmesser, so dass ein riesiger Glastrichter entstand, der unten in einem kleinen Hof mit etwa 10 Meter Durchmesser endete. Entlang des Randes führten Flure im Kreis um den gesamten Trichter herum. Rechts und links von der Tür, durch die sie gerade gekommen waren, befanden sich weitere ähnliche Doppeltüren. Die Türen der anderen Ebenen waren anders. Sie verschwanden seitwärts in den Wänden. Das konnte man sehen, wenn jemand aus einer Tür heraustrat oder den Raum dahinter betrat. Auf allen Ebenen konnte er in jeder Himmelsrichtung eine Sofa-Garnitur erkennen. Offenbar Wartebereiche oder Zonen für Besprechungen. Auf jeder Ebene waren vereinzelt Menschen. Teilweise liefen sie schnell über die Flure, teilweise schlenderten sie, drei von ihnen hatten sich auf eine der Garnituren gesetzt. Hätte er nicht gewusst, dass er sich gerade tief unter der Erde befand, hätte es ich auch für einen architektonisch ansprechenden Firmensitz eines Weltkonzerns in futuristischem Design handeln können.

      „Komm“, sagte Wolk, „gehen wir in mein Büro.“

      Wolks Büro lag auf der fünften Ebene von oben gesehen. Sie nahmen diesmal keinen Aufzug, sondern eine von drei Treppen, die, gleichmäßig auf den Ringen verteilt, alle Etagen miteinander verbanden. Man hätte so, auf einer Treppe bleibend, den Trichter beim herabsteigen aller 10 Etagen einmal komplett umrundet. Auf dem Weg dorthin erklärte Wolk noch ein wenig die Abteilungen an denen sie vorbeikamen und die darunterliegenden. Auf der obersten Ebene mit der Bezeichnung 0 befanden sich ausschließlich Zugänge zum Spinnennetz. Das Spinnennetz war ein unterirdisches Tunnelsystem das die gesamte Stadt verband. In der Vergangenheit dienten die über die Stadt verteilten Eingänge registrierten Yonin als Zuflucht, sollten sie in eine brenzlige Situation geraten. Flucht oder Kampf, die grundlegenden Instinkte in Gefahrensituationen, waren auch Yonin nicht fremd, aber zum Wohle der Geheimhaltung war Flucht vorzuziehen. Mittlerweile hatten sich die Yonin aber so gut in die Gesellschaft integriert, oder die Gesellschaft kümmerte sich einen Dreck darum, ob sich unter ihnen Yonin befanden, dass das Spinnennetz nur noch von Mitarbeitern der Zentrale genutzt wurde um sich schnell und ohne auf den Verkehr Rücksicht nehmen zu müssen, durch die Stadt bewegen zu können.

      Die Ebenen 1 und 2 gehörte den Putzkolonnen. Diese Teams waren darauf spezialisiert, Spuren zu beseitigen, die Yonin hinterließen. Nichts sollte übrigbleiben, das auf deren Existenz hinwies. Yonin hatten im Laufe der Geschichte verschiedene Methoden dafür entwickelt. Welche dies waren erklärte Wolk jedoch nicht.

      Auf Ebene 3 befand sich die Schlichtungsstelle. Probleme der Clans untereinander oder einzelner Personen miteinander konnten so unbürokratisch und, in Anbetracht der Geschichte dieser Gemeinschaft besonders wichtig, meist unblutig geregelt werden. Dafür standen den Streitern Mentoren und Schlichter zur Verfügung. Sollte, besonders bei Streitigkeiten in die ein Werwolf involviert war, eine friedliche Lösung nicht in Sicht sein, gab es dort auch Zugang zu Räumen, in dem Rivalitäten auf ursprünglichere Weise geregelt wurden. Alex hielt dies für einen Scherz, aber nichts an Wolk wies darauf hin, dass er scherzte.

      Auf den Ebenen 4 bis 6 befanden sich die Büros der Mitarbeiter, die sich um die Ermittlung kümmern, sollte ein Yonin in eine Straftat verwickelt sein. Bei einer so gewaltigen Gruppe