«Kein Problem.»
«Wenn ich für dich die einzige Frau bin, mit der du schläfst, dann fühle ich mich auch rein medizinisch gesehen wohler. Man kann ja nie wissen. Eine gute Infektionsprophylaxe. Safety first. Das verstehst du doch, oder?»
«Natürlich.»
«Ich eigne mich nicht zur Geliebten, beziehungsweise Nummer eins. Dazu habe ich kein Talent. Ich will keine fremden Weiber neben mir haben. Da gibt es noch etwas, Richard», sagt sie mit mildem Lächeln.
«Oh je! Wenn das so weitergeht, fühle ich mich noch wie im Kreuzverhör», scherzt er.
«So schlimm ist es schon?», fragt sie, steht vom Stuhl auf, legt einen Arm um ihn, küsst ihn mehrmals auf den Mund.
«Ja. Zur Geliebten hast zu kein Talent, dafür aber zur Staatsanwältin.»
«Ach, Richard. Liebster, ich verhöre dich doch nicht», sagt sie und setzt sich wieder. «Wie käme ich denn dazu? Ich sage dir nur, was ich auf dem Herzen habe. Also, am Dienstagabend bin ich wieder bei dir vorbeigefahren. Ganz langsam. Es war mir ein Bedürfnis.»
«Warum hast du mir nichts gesagt. Du hättest anrufen können oder einfach –»
«Klingeln sollen?», unterbricht sie ihn.
«Ja. Anrufen oder einfach klingeln. Ich war ja zu Hause. Ich hätte damit kein Problem gehabt. Aber du. Du möchtest ja nicht zu mir kommen, so lange mein Noch-Eheweib dort herumspukt.»
«Stimmt. Schade, dass deine Thusnelda noch nicht ausgezogen ist. Dann wäre alles noch schöner.»
«Finde ich auch.»
«Wir sind auf der Überholspur. Aber deine Frau bremst uns, weil sie mit dir noch unter einem Dach wohnt. In deiner wunderschönen Villa.»
«Das werde ich so schnell wie möglich ändern. Ich gehe nächste Woche zum Anwalt, werde alles beschleunigen, die Trennung schon mal einläuten. Es wird Zeit. Iris will sich ja auch scheiden lassen.»
«Dann dürfte es keine großen Probleme geben.»
«Eigentlich nicht.»
«Als ich gestern vom Auto aus den Park und die Villa betrachtete, kam ich mir wie eine Voyeurin vor. Und wie deine Geliebte, die aus deinem Privatleben ausgegrenzt ist. Es war schon ein eigenartiges Gefühl. Irgendwie befremdend.»
«Nur, weil ich nicht bei dir war. Dann wäre alles anders gewesen.»
«Bestimmt.» Sie streckt sich mit einem behaglichen Aufseufzen, lässt einige Sekunden verstreichen. «Schon was ich dort in der kurzen Zeit gesehen habe, war für mich faszinierend. Eine einzige Augenweide.»
«Demnächst wirst du dir alles ganz genau ansehen können. Außen und innen», sagt Richard, ihre Hand streichelnd.
«Ich kann’s kaum erwarten. Zusammen mit dir in deinem Prachtbau und deinem Park.»
«Wird Zeit. Ich freue mich auch schon darauf.»
«Ich lerne dich so besser kennen. Ich weiß dann, wie du dort lebst. Und was du aufgeben musst.» Sie trinkt einen Schluck Orangensaft, nickt nachdenklich. «Dass du auf diese Braunkohle-Connection wütend bist, kann ich gut verstehen.»
«Das werde ich auch bleiben. Es ist ein Angriff auf mein Privatleben, auf mein Eigentum, gegen den ich mich nicht mehr wehren kann. Ich fühle mich so machtlos. Als würde ich in einer Diktatur leben.»
«Riecht auch nach Diktatur. Du gehörst zu den vielen, die gehorchen müssen. Alles wird scheinbar legal entschieden. Was dir gehört, musst du gezwungenermaßen abgeben.»
«An Raubritter des Kapitalismus», sagt Richard grimmig.
«Das könnte von einem Kommunisten sein», sagt Birgit lächelnd.
«Wer weiß, vielleicht werde ich noch einer wegen dieser Braunkohlen-Clique, die schon lange gegen Menschenrechte verstößt.»
«Du und Kommunist? Das wirst du bestimmt nicht. Dafür bist du zu individuell gestrickt.» Sie sieht nachdenklich aus dem Wohnzimmerfenster in ihren klein, gepflegten Garten. «Es ist dein Eigentum und man vergreift sich daran.»
«Skrupellos», sagt Richard. «Etwas Vergleichbares werde ich nicht finden. Und selbst wenn, dann könnte ich es nicht mehr finanzieren. Damals passte wirklich alles. Der Super-Preis und die Großzügigkeit meines Vaters waren entscheidend.»
«Und du als Architekt hast ja einiges dazu beigetragen, dass aus dem alten Gemäuer ein Prachtbau geworden ist.»
«Dazu hätte ich heute keine Zeit mehr. Und auch keine Lust.»
«Ich weiß nicht, wie ich mich an deiner Stelle verhalten würde. Ich würde wohl auf die Barrikaden gehen. Oder sogar ausrasten.»
«Ausrasten? Du?», fragt Richard verwundert.
«Könnte doch sein», antwortet sie, die Augenbrauen zusammenziehend. «Nicht nur dann, wenn ich so eine Villa wie du hätte, sondern auch schon wegen meines bescheidenen Häuschens hier», sagt sie und unterstreicht das mit einer weit ausholenden Geste. «Es gehört mir, nur mir. Ich bin stolz darauf. Ich habe mir das alles selbst erarbeitet und musste recht sparsam leben, um es finanzieren zu können. Daraus lasse ich mich von niemandem vertreiben. Wenn es mir jemand wegnehmen wollte, würde ich zur Furie», sagt sie und hebt ihre geballte Faust, die zierlich aussieht.
«So etwas wie mir kann dir hier in Neuss ja nicht passieren. Birgit, sag doch nicht Häuschen. Mir gefällt dein Haus. Es ist auf dich maßgeschneidert. Gute Bausubstanz, gekonnte Raumaufteilung. Du kannst wirklich stolz darauf sein. Ich fühle mich hier wohl. Sehr wohl.»
«Das höre ich gern, Richard.»
«Hoffentlich wird’s dir auch bei mir gefallen.»
«Wird es. Da bin ich mir ganz sicher.»
«Dann fühle ich mich dort wieder wohler», meint Richard.
«Ich finde, du bleibst in dieser für dich verflixt schwierigen Zeit erstaunlich gelassen. Wie jemand, der einfach lässt, was nicht mehr zu ändern ist. Eine gewisse Resignation ist mit dabei. Oder?», fragt sie.
«Klar», antwortet er. «Gegen diesen Braunkohle-Irrsinn hat man ja sowieso keine Chance. Warum sollte ich mich noch wehren? Diese gemeine Bande hat gewonnen, ich und viele andere haben verloren. Damit muss ich mich abfinden. So schwer es mir fällt.»
Der über Schlaglöcher rumpelnde Bus nähert sich Anfelden. Ellen Schmitz, die missmutig aus dem Fenster blickt, wird auf ihrem Sitz durchgerüttelt, stößt dabei mit ihrer Schulter gegen die dösende Frau neben ihr. Die Berührung ist ihr unangenehm, sie rückt näher an das Fenster heran, schenkt der Frau keinen Blick, eine ungepflegte, klapperdürre Alte mit Sauerkrauthaaren.
Wie sie das alles anwidert! Der voll besetzte, müffelnde Bus, der alte Knochen dicht neben ihr, die stinklangweilige Gegend. Nicht schade drum, dass das alles verschwinden wird. So eine grässliche Pampa. Alles sieht kleinkariert aus und scheißordentlich. Anfelden ist doch nur ein Spießernest. Ein Glück, dass sie bald von hier wegzieht. Ist doch Horror. Nix wie weg.
Der Bus hält am Marktplatz. Ellen windet sich an Körpern vorbei, von denen sie sich bedrängt fühlt, steigt aufatmend aus. In der Linken hält sie eine Plastiktüte. In Erkelenz hat sie mit ihrer Freundin Beate erst für die sauschwere Mathearbeit morgen gelernt, sich dann ein paar stark herabgesetzte Sandalen gekauft. Ein Schnäppchen, mit dem sie zufrieden sein kann, wenigstens damit. Wie sie hier alles anödet! Sie geht an dem taubenbedreckten Denkmal vor dem Rathaus vorbei, aus dem zwei laut schwatzende und herumfuchtelnde Frauen, zwei richtige Bauerntrampel, kommen. Eine kleine Gruppe älterer Menschen schlendert gemächlich über den Bürgersteig, bewegt sich auf das efeubewachsene Dorfgemeinschaftshaus zu, das in der Nähe der schmucklosen evangelischen Kirche steht. Der Friedhof hat Ausgang. Gruftis können sich in diesem Nest wohlfühlen. Sie nicht. Die Schaufenster der Geschäfte mustert sie abfällig. Nichts als Kram. Was kann man denn hier schon kaufen! Die Nachmittagssonne