Just in diesem Moment wurde ihm schlagartig klar, wie recht seine Eltern damals mit dieser Verbotsregel hatten. Jetzt, als Erwachsener verstand er, wie sehr das Ereignis sein kindliches Unterbewusstsein beeinflusste. Denn wie sich gerade herausstellte, wirkte das, was er sah und hörte, bis heute nach. Tief lag es verborgen. Jetzt trat es nach Jahren des Schlummers zum Vorschein.
Der Bericht eignete sich definitiv nicht für ein Kind seines Alters. Verstört bibbernd, schaltete er danach das Gerät aus und verkroch sich in sein Bett. Er zog die Decke über den Kopf und versuchte, das Gesehene und Gehörte zu vergessen. Vergessen! Nur Vergessen! Schluchzend schlief er ein.
Am folgenden Tag war das Erlebnis abgehakt. Wie das häufig so ist bei kleinen Jungs. Aber Shabbadag vergaß das Erlebte nicht, sondern verdrängte es! Die Informationen brannten sich fest in sein Unterbewusstsein, um jetzt erinnert zu werden: Zwei Wissenschaftler waren auf einem Eisplaneten verschollen. Sie unternahmen die Reise dorthin, um Eissorten zu erforschen. Sie versuchten herausfinden, ob das Eis zu Terras Nutzen abgebaut werden konnte. Die Forscher hießen Kurt Sichtig und Doktor Macka Roni.
STRAZZIATELLA, der größte von drei Eisplaneten die um eine erloschene Sonne kreisen, nahm im Laufe der Jahrmillionen die Form einer Eistüte an. Seine beiden Trabanten, RUCKOLA und BROCKOLI, blieben kugelrund. Schaut man durch die weitreichende Optik der „Hans Guck In Die Luft“ Sternwarte, entsteht der Eindruck, eine Eiswaffel mit zwei Kugeln darauf befände sich im All.
Die Forscher flogen zuerst zum Planeten RUCKOLA. Von dort führte die Reise zum BROCKOLI. Einige Tage nach ihrer Landung, ging der Kontakt zu ihnen verloren. Ihre letzte Meldung besagte, dass sie bei der Rückkehr von einer Expedition den FLUGS Raumgleiter wegen heftiger Schneefälle nicht fanden. Sofort schickte man ein Rettungsteam los. Dieses kehrte zwei Wochen später erschöpft erfolglos zurück. Man delegierte ein frisches Team, danach ein weiteres und noch eins. Nach Monaten der Suche verringerte sich die Hoffnung, die Beiden jemals zu entdecken. Dann kam überraschend die nicht mehr für möglich gehaltene Wende! Der letzte ausgesandte Suchtrupp entdeckte einen Forscher lebend: Kurt Sichtig.
Doktor Macka Roni blieb verschwunden. Kurt Sichtig konnte zum Verbleib seines Kollegen (angeblich) keine Angaben machen. Sichtig behauptete, Doktor Macka Roni bei einem Schneegestöber aus den Augen verloren zu haben. Die Gerüchteküche brodelte. Die wilden Spekulationen gipfelten in der Behauptung, Kurt Sichtig habe seinen Partner aufgefressen, um sein eigenes Überleben zu sichern! Eine ungeheuerliche Behauptung! Objektiv besehen, erschien diese Theorie jedoch nicht ganz abwegig. Dafür sprach die Tatsache, dass Kurt Sichtig, trotz seines monatelangen, kräftezehrenden Aufenthalts auf dem Eisplaneten, nicht ein einziges Gramm Gewicht verlor. Im Gegenteil. Er legte zu! Wie konnte das sein? Sichtig argumentierte zu seiner Verteidigung so: „Macka Roni und ich tauschten täglich die Schlitten. Jeder zog einen Tag den leichten, am anderen Tag den schweren Schlitten. Der leichte Schlitten beförderte Nahrungsmittel, Getränke, Kleidung, Schlafsäcke sowie das beheizbare Zelt. Der zweite Schlitten trug das schwere technische Equipment und Werkzeug. Am Unglückstag, als Macka Roni sich im Schneesturm verirrte, zog ich den leichten Schlitten. Mir standen alle Nahrungsmittel und das beheizbare Zelt zur Verfügung. Das sicherte mein Überleben!“ Ob dies der Wahrheit entsprach, wusste allein Kurt Sichtig. Doktor Macka Roni blieb verschollen.
Monate nach seiner Rettung, befeuerte Kurt Sichtig nochmals die bereits erloschene Flamme der Empörung. Er veröffentlichte ein Buch über die Eisplanetenexpedition. Kurt Sichtig gab dem Buch den zweideutigen Titel „Der Forscher in mir!“
All das ging Shabbadag in Sekundenbruchteilen durch den Kopf. Er schaute auf seinen rechten Arm. Alle Haare hatten sich aufgestellt.
„Ich habe Informationen zum Zielgebiet!“, begann Kurt Sichtig seinen Vortrag mit knarzender Stimme. Er startete den Computer. Auf dem Bildschirm erschien die Luftaufnahme einer irdischen Stadt. Die Häuser standen dicht beisammen. Um die Stadt herum gab es enorm viel Wald. Shabbadag erkannte den Ort auf den ersten Blick. Die Stadt Siegen. Dorthin flog er häufig mit Gästen von IDEALL Reisen. Er kannte sich im Siegerland bestens aus. Schließlich handelte es sich um eines seiner Fachgebiete in seiner Eigenschaft als Reiseführer. In Siegen zeigte er den Reisenden die beiden Schlösser, die „Unteres Schloss“ und „Oberes Schloss“ heißen. Er überflog gerne das Wahrzeichen der Stadt, „Das Krönchen“, eine vergoldete Krone auf der Kirchturmspitze der Nikolaikirche. Siegen ist bei Terranern ein sehr beliebtes Ziel. Die Stadt ähnelt topographisch auf verblüffende Weise Terras Hauptstadt Terrarium. Interessanterweise gleichen sich sogar Namen. So ist die Universität der Stadt Siegen auf einem Berg ansässig, der Haardter Berg genannt wird. Die „Kackda Janethin Unität“ in Terrarium steht auf dem Harteberg. Statt eines Griesbergs wie in Terrarium, gibt es in Siegen einen Giersberg. Aber ohne Oberstübchen. Gravierende Unterschiede zwischen den Städten gibt es allerdings gleichermaßen. Während Terrarium ganzjährig ein angenehmes mediterranes Klima hat, ist das Wetter Siegens das glatte Gegenteil. Eingerahmt von Westerwald, Sauerland und am Rande des Rothaargebirges gelegen, regnet es häufig und im langen Winter schneit es oft ausgiebig.
„Das Siegerland, ist euer Ziel!“, sagte Kurt Sichtig kurz und knapp und zeigte einige Fotos. „Wir haben uns unter anderem für das Siegerland entschieden, weil Shabbadag sich dort sehr gut auskennt. Wir möchten speziell in Siegen einige Dinge näher kennenlernen. Ihr werdet Schäden durch Spätfolgen des Bergbaus erforschen und wegen der Probleme die wir mit dem Bumskopf haben, im Siegerland vergleichende Studien in der dortigen Wisent Welt vornehmen. Zu allem erfahrt ihr in den kommenden Tagen mehr.“ Militärisch knapp und ebenso deutlich umriss Kurt Sichtig die Ziele der Expedition. Jetzt machte er mit Details weiter. Es folgten Beschreibungen der Siegerländer Landschaft, die für Shabbadag nicht neu waren. Darum hörte er bloß mit halber Aufmerksamkeit zu. Stattdessen widmete er sich Angenehmerem. Froni! Er schaute sie an. Sie bemerkte seine schmachtenden Blicke nicht, weil ihre Konzentration dem Vortrag galt. Für Froni war alles aufregend und neu. Shabbadag fiel ein, dass er überhaupt nicht exakt wusste, warum Froni zum Expeditionsteam gehört! Sie ist die Nichte des Oberbürgers, doch das reicht, bei aller Sympathie, die er für sie hegt, nicht als Qualifikation für eine solche Unternehmung! Bisher richtete er seine volle Aufmerksamkeit einzig und allein auf ihre wunderschöne Erscheinung, die ihn seit ihrer ersten Begegnung in ihren Bann zog. Allein dieses Stimulans trug Schuld daran, warum er bis jetzt nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendete, welche Rolle sie eigentlich bei der Expedition spielte. Aus welchem Grund sollte sie Mitglied des Expeditionsteams sein? Was qualifizierte diese junge Frau dazu? Shabbadag nahm sich vor, es baldmöglichst in Erfahrung zu bringen. Bis dahin schaute er sie weiter an und nahm mit klopfendem Herzen ihr Bild in sich auf.
Shabbadag langweilte sich fürchterlich beim Vortrag von Kurt Sichtig. Darum widmete er sich seinem Hobby, dem Dennissport. Heimlich aktivierte er unter dem Tisch seinen brandneuen Klapphirn Minicomputer und suchte die Dennisergebnisse vom Wochenende. Dazu kam er bis dato nicht. Die Dennissaison näherte sich dem Ende. Sein Lieblingsverein, Dennisclub Zweitracht Prügel, besaß gute Chancen, die Meisterschaft zu gewinnen. Vorausgesetzt die Neureichen von RB Spreiztsich machten ihnen nicht einen Strich durch die Rechnung.
Vom D. Rex zum Dennis
Dennis ist auf Terra ein sehr populäres Spiel. Damit wir uns nicht missverstehen: Das irdische Tennis und das terranische Dennis haben nichts miteinander zu tun.
„Um Dennis spirituell Vollumfänglich zu realisieren, ist es erforderlich seine Wurzeln nachzuvollziehen!“,
philosophierte einst Waldoof der Namentänzer. Profan ausgedrückt meinte er: Wer Dennis verstehen will, muss wissen, wo es herkommt. Der gute Mann hatte recht! Wer die Vergangenheit nicht