Die Expedition. Axel Schade. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Axel Schade
Издательство: Bookwire
Серия: Verrückte Geschichten vom Planeten Terra!
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775887
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Gag, Shabbadag. Schöne Aussicht, nicht wahr?“ Froni war neben ihn getreten. Ihr langes blondes Haar wehte leicht im warmen Sommerwind. Sie trug ein vielfarbiges terranisches Gewand. „Dir ebenfalls einen Tuten Gag, Froni!“, wünschte Shabbadag und sagte ein wenig verträumt: „Ja, schöne Aussicht! Sehr schön sogar!“ Dass er nicht bloß die schöne Aussicht auf Terrarium meinte, sagte er nicht. Ein verschmitztes Grinsen huschte durch Fronis Gesicht. Scheinbar dachte sie sich ihren Teil.

      Das erste Treffen

      „Können wir anfangen? Auch wenn´s schwer fällt an einem so schönen Tag?“, rief Strausselbert lachend aus einem Fenster des Arbeitszimmers zu ihnen hinaus. „Ja, sofort!“, antwortete Froni gut gelaunt, griff nach Shabbadags linker Hand, schaute ihm tief in die Augen und fragte: „Kommst du?“ Dann drehte sie sich um und zog den überrumpelten Piloten einfach hinter sich her. Im Arbeitszimmer warteten Strausselbert Eng, Sigrid Sörvis, Professor Verwagen und Kurt Sichtig auf Shabbadag und Froni. Sie saßen an einen runden Konferenztisch. Die Beiden setzten sich dazu. Shabbadags Gesicht leuchtete knallrot. Er wirkte etwas abwesend und verwirrt. Froni strahlte über das ganze Gesicht und konnte die Augen kaum von Shabbadag abwenden. Sigrid Sörvis, die den beiden gegenübersaß, musste grinsen. Damit es niemandem auffiel, hielt sie sich eine Mappe vors Gesicht und tat, als würde sie lesen. Sie wusste genau, was mit den Beiden los war. Und das freute sie wirklich sehr. Professor Verwagen und Kurt Sichtig bekamen von der Liebelei nichts mit. Sie bereiteten Vorträge vor, denen ihre ganze Aufmerksamkeit galt. Shabbadag, der bis jetzt nicht in großem Umfang über Details der Expedition informiert war, sollte auf den derzeitigen Planungsstand gebracht werden. Als sie ihn persönlich ansprachen, musste er sich mächtig zusammenreißen, um sich auf das Thema zu konzentrieren.

      Die Fenster wurden verdunkelt. Professor Verwagen begann seinen Vortrag und betätigte zuerst einen Schalter des Computers. Ein Film über die Erde begann. Der Professor sprach dazu. „Seit Jahrhunderten besuchen wir Terraner die Erde in unserem Paralleluniversum. Anfangs taten wir dies, um uns über die Erde aus botanischer und geologischer Sicht zu informieren und die Entwicklung der irdischen Menschen zu studieren. Später schlossen sich weitere wissenschaftliche Disziplinen an.“ Der Professor trank einen Schluck Perlenwasser, dann erklärte er: „Kontakt zu Menschen der Erde vermieden wir bewusst. Außerdem unterließen wir es, uns in irgendwelche Belange der Erde einzumischen. Stattdessen blieben wir heimliche Beobachter. Wir studierten das Verhalten und die Entwicklung der irdischen Menschen und ihres Planeten und mischten uns nicht ein. Selbst dann nicht, wenn wussten, wie sie in ihr eigenes Unglück rannten. Etwa durch Krieg und Umweltzerstörung. Ihr wisst, dass es aufgrund unserer technischen Überlegenheit ein Leichtes wäre, Probleme der Erde zu korrigieren. Ich denke als Beispiel an Naturkatastrophen. Doch fragen wir Wissenschaftler uns seit jeher: Dürfen wir das? Sollen wir in die Entwicklung der Erde eingreifen? Solche Fragen diskutieren unsere Gelehrten seit vielen Jahren. Und immer wieder kamen sie zur gleichen Antwort. Nein! Keine terranische Einmischung in irdische Angelegenheiten.“ Professor Verwagen unterbrach für einen Moment seine Ansprache, um noch einen Schluck zu trinken. Dann fuhr er fort: „Kontakt zwischen Menschen von Erde und Terra gab es im Lauf der Zeit in einigen Fällen. Eine Entwicklung die ich und nicht wenige meiner Kollegen, für ausgesprochen bedenklich hielten. Vom moralischen Defizit der Angelegenheiten mal ganz abgesehen. Ich spreche von den sogenannten „Künschtlern“, die die Naivität von Erdlingen ausnutzten, um sie zu verulken, und mit solchen Scherzen im Teleguck bessere Quoten zu erzielen.“

      Shabbadag musste unweigerlich an Horst Emscher denken, der beim Absturz in Ostfriesland dabei war und einer dieser „Künschtler“ ist, die der Professor soeben kritisierte. Horst manipulierte mittels einer von ihm entwickelten „Rübenhaube“ Menschen auf der Erde. Shabbadag amüsierte sich prächtig darüber, als er die Sendungen im Teleguck verfolgte. An ein moralisch grenzwertiges Verhalten dachte er in dem Zusammenhang gar nicht. Er fand es lustig.

      „Aber ich schweife ab!“, sinnierte der Professor und setzte den Vortrag fort. „Seit einigen Jahren ist es reisenden Terranern gestattet, die Erde zu betreten. Unter strengsten Auflagen selbstredend und nur für maximal eine Stunde an einem Ort. Die Aufhebung des Kontaktverbots machten erst einige Erfindungen möglich, ich will stellvertretend dafür Quasseline nennen. Durch den Absturz in Ostfriesland lernten wir, dass es möglich ist sich länger als eine Stunde unter Erdlingen zu bewegen, ohne als Mensch eines anderen Planeten erkannt zu werden. Das hat Wissenschaftler zum Nachdenken angeregt. Wir stellen uns jetzt die Frage: Wie lange ist es Terranern möglich, unauffällig unter Erde Menschen zu leben? Das wollen wir wissen. Wenn wir die Frage positiv beantworten, bauen wir den Tourismus zur Erde schrittweise aus.“ Der Professor trank wieder einen Schluck, bevor er weitersprach. „Wir wollen mehr entdecken. Wir wollen Erkenntnisse sammeln. Wir wollen Erfahrungen machen. Erfahrungen die man erlebt, fühlt, schmeckt, riecht, hört, anfasst, mit allen Sinnen wahrnimmt! Welche Erfahrungen eignen sich besser, als die Erfahrungen, die man selbst macht?“ Er schaute sich im Raum um und erwartete scheinbar eine Antwort. Shabbadag versuchte sein Glück und antwortete: „Keine!“ „Richtig!“, rief der Professor begeistert.

      Den zweiten Vortrag hielt Kurt Sichtig. Kurt ist ein kleiner drahtiger Typ. Trotz seines Alters von bestimmt 75 Jahren wirkt er gesund und stark. In seiner Jugend war er ständig in der Natur unterwegs. Das entsprach zu damaliger Zeit in keiner Weise den Gepflogenheiten der terranischen Gesellschaft. Man beäugte sein Waldläufertum äußerst kritisch. Nicht wenige Stimmen forderten, dass diesem Unfug ein Ende bereitet würde. Man glaubt es heutzutage kaum, doch damals waren Aktivitäten in der Natur vollkommen verpönt. Sie galten als unschicklich. Konservative Kreise gingen sogar soweit, dem Naturburschen Unsittlichkeit zu unterstellen. Besorgte Bürger befürchteten, Kurt verderbe durch sein schlechtes Beispiel die Jugend! Kurt Sichtig verfasste in jenen Tagen mehrere Artikel über das Leben in der Wildnis. Er wünschte, sie zu veröffentlichen und sprach bei Verlagen vor. Anfangs fanden sich keine Verleger für diesen „heiklen Stoff“. Bis schließlich ein Monatsmagazin für die Jugend, den Mut fand, Artikel zu drucken. Bravo, riefen die Konservativen. Jetzt bekommt der Verderber der Jugend auch noch ein Forum, um seine kruden Theorien zu verbreiten. Na, das ist ja toll! Gut, dass sich der Chefredakteur der Zeitschrift „APPLAUS“ nicht in sein Geschäft hineinreden ließ. Er veröffentlichte die Naturbeschreibungen und Geschichten gegen alle Widerstände. Dennoch brauchte es ein paar Jahre bis sich in Folge der „Wandalismus Bewegung“, einiges änderte. Inzwischen ist der Aufenthalt in der Natur auf Terra gesellschaftsfähig. Manch älterer Mitbürger fragt sich inzwischen, warum er überhaupt einmal dagegen war.

      Das Waldläufertum seiner Jugend führte Kurt Sichtig beruflich weiter. Er wurde Forscher. Man sah ihm seinen Beruf an, wie er so dastand. Braungebrannt. Sportliche Figur. Khakifarbene Allzweckhose. Dunkelgrünes Hemd, Ärmel hochgekrempelt. Darüber eine Tarnweste mit verwirrend vielen Taschen, Schnallen, Reißverschlüssen. Seine Füße stecken in stabilen Schuhen mit groben Sohlen. Mit den Tretern hätte er leicht bei der Bekämpfung von Flächenbränden helfen können. Shabbadag musste grinsen. Der Kerl hat riesige Füße! Solche mega Latschen sah Shabbadag noch nie! Von der Seite betrachtet, schaute der Mann aus wie der Buchstabe „L“! Im Teleguck fiel das nicht auf. Shabbadag schaute die Sendungen von Kurt Sichtig regelmäßig. Sie waren spannend, lehrreich und interessant. Herrn Sichtigs überdimensionierte Latschen bemerkte er in keiner Sendung. Die hielt der Kameramann geschickt aus dem Bild. Eine ziemlich meisterliche Leistung von ihm, kicherte Shabbadag in Gedanken vor sich hin. Dann fiel ihm der labberige feuchtkalte Händedruck ein, den er im Büro des Oberbürgers von Kurt Sichtig erhielt. Die großen Galoschen und diese gummiartige Pranke wirkten seltsam. Ansonsten hielt er Kurt Sichtig durchaus für sympathisch. Für den Rest kann er ja nichts, dachte Shabbadag und hatte das Thema eigentlich abgehakt. Doch im Schneckentempo kroch eine fiese Erinnerung aus der hintersten Ecke seines Gehirns. Tastete sich lautlos aus ihrem dunklen Versteck. Eigentlich mausetot und begraben, stieg sie wie ein Zombie aus ihrem feuchten Grab und kam Shabbadag von Neuem in den Sinn. Diese böse Erinnerung! Vor Langem gab es doch mal einen Skandal wegen Kurt Sichtig? Worum ging es da gleich? Blitzartig schossen Shabbadag Gedanken durch den Kopf, deren er sich nicht erwehren konnte. Eine längst vergessen geglaubte Kindheitserinnerung krabbelte spinnenartig durch sein Gedächtnis. Die Erinnerung ließ ihn erschaudern und rieselte seinen Rücken hinab. Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen.