»Wolltest du nicht zum Dorf der Kesselrührer gehen?«, erinnerte er seinen Begleiter verstimmt an dessen Vorhaben, doch der verzog keine Miene.
»Ich gehe durch die Stadt.«
»Aber wenn du an der Stadtmauer außen entlanggehst, anstatt dich durch die Straßen zu drängen, bist du viel schneller dort.«
»Ich habe es nicht eilig. Viel lieber mache ich zuvor noch einen kleinen Abstecher und hole mir meine Belohnung ab.« Er zwinkerte Luves schelmisch zu.
»Was für eine Belohnung?«
»Das wirst du dir denken können, wenn wir dort sind.«
Rasch überholten sie die Wagenschlange und näherten sich den gewaltigen, grauen Mauern, die die Hauptstadt Cimala umschlossen. Auf den Zinnen thronten gleichmäßig verteilt riesige, von Wind und Wetter gezeichnete Statuen. Der bloße Anblick dieser befremdlich wirkenden Gestalten, mit ihren deformierten Körpern, die sowohl einem Menschen als auch einer Echse glichen, jagte Luves noch heute einen Schauer über den Rücken. Bedrohlich reckten sie den Ankömmlingen ihre Klauen entgegen und riesige Hauer ragten aus den weit aufgerissenen Mäulern. Der größte dieser stillen Wächter prangte über dem Haupttor. Mit weit ausgebreiteten Schwingen erhob er sich auf seinen Hinterläufen, den massigen Kopf zum Himmel gerichtet, das Maul wie zu einem stummen Schrei geöffnet. Diese Statuen hatte man derart detailliert gearbeitet, dass Luves glaubte, ihr kampflustiges Brüllen zu hören.
Die vor den Toren postierten Wachen kontrollierten jedes Gefährt und jeden Korb. Die mitgeführten Waren wurden von einem Zahlmeister aufgelistet, der die zu entrichtenden Steuern erhob, noch bevor die Händler in das Innere der Stadt eintreten durften. Ein Händler beschwerte sich lautstark, als die Wache, die wortlos durch das Tor trat, die jungen Männer vorbeiwinkte. Die meisten der Magier lebten nicht innerhalb der Stadtmauern, sondern außerhalb auf dem Gelände ihrer Gilden und sie waren den Soldaten vom Sehen her bekannt. Zudem konnten sie sich, wenn es erforderlich war, mittels des in die Haut eingebrannten Siegels ausweisen. Hinter der Mauer lag die Straße im Schatten und es kühlte merklich ab. Grobe Pflastersteine lösten die Landstraße aus festgefahrener Erde ab, verschmutzt vom Dung der Zugtiere und anderem Unrat. Dumpfer Gestank lag zwischen den Häusern, die sich dicht aneinanderdrängten.
Menschen und Karren schoben sich lärmend durch die enge Gasse in die Richtung des Marktplatzes. Toge riet Luves dazu, lieber einen Umweg zu nehmen, um an sein Ziel zu gelangen. Dafür mussten sie zwar einen längeren Fußweg in Kauf nehmen, aber so konnten sie das Gedränge umgehen. Sie scherten aus dem Pulk aus und wechselten in eine schmale Seitengasse. Dieses Viertel zählte zu den ärmsten und zwielichtigsten der Hauptstadt. Kein anständiger Bürger wagte sich in die Kneipen, die nicht mehr als billige, heruntergekommene Kaschemmen waren. Erst recht nicht in die Hurenhäuser, die von der Obrigkeit nur solange geduldet wurden, wie sie horrende Abgaben entrichteten. Vor einer Hauswand lag ein regloser Mann, den Luves erst für einen Haufen Lumpen hielt, so fest, wie er in seinen Mantel eingewickelt war. Erleichtert bemerkte er, dass die Gestalt sich leicht regte, als er sie passierte. Zwar hatten die Soldaten der Stadtwache ein Auge auf das Treiben in diesem Bezirk. Dennoch fand man immer wieder einen nächtlichen Zecher tot und ausgeraubt in einer Nische zwischen den Häusern. Der Mann gab ein paar unverständliche Laute von sich und versuchte unbeholfen, sich aufzusetzen. Über so viel Dummheit konnte Luves nur den Kopf schütteln. Immerhin war es kein Geheimnis, dass man diese Gegend besonders nach Einbruch der Dämmerung mied, wenn einem Leib und Leben lieb war.
Aus einem Hauseingang trat eine junge Frau, die schwungvoll einen Eimer voll schmutzigem Wasser auf der Straße ausleerte. Die jungen Magier konnten ihr gerade noch rechtzeitig ausweichen, bevor der Wasserschwall sie traf. Aus dem Haus hinter ihr schallte lautes Gelächter und Gesang heraus.
»So früh schon auf den Beinen?«, rief sie ihnen lächelnd zu. »Oder sucht ihr nur ein warmes Bett, um eure Nachtruhe fortzusetzen?«
»Da sage ich nicht nein«, entgegnete Toge heiter und klopfte Luves auf die Schulter. »Viel Glück bei den Veteres.«
Der packte ihn am Ärmel und versuchte ihn zurückzuhalten.
»Du weißt genau, dass es uns verboten ist, die Hurenhäuser aufzusuchen. Was ist, wenn man dich erwischt?«
»Wer soll mich denn dabei ertappen?«, lachte Toge. »Du hast doch selbst gesagt, den Magiern sei der Kontakt zu den Dirnen untersagt. Selbst wenn mich einer der Meister drinnen sehen sollte, schweigt er, damit er sich nicht selbst verrät.«
»Bleib hier!«
Doch der junge Mann machte sich von ihm frei und ging auf die Tür zu.
»Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!«, rief er seinem Begleiter über die Schulter zu, dann war er im Inneren des Hauses verschwunden.
Die Dirne winkte Luves zu, es ihm gleichzutun, doch er schüttelte verlegen den Kopf.
»Für Anwärter der Gilde haben wir besonders weiche Lager. Wenn du etwas Hilfe für deine Studien benötigst, dann findest du hier geduldige Lehrerinnen, die dich gerne in ihren Künsten unterweisen, die nicht weniger zauberhaft sind als deine Fertigkeiten.«
Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und zog ihre Bluse ein Stück herunter, so dass der Ansatz ihrer Brüste zu sehen war.
»Ein andermal vielleicht«, murmelte Luves und wich ihrem Blick aus.
Sie zog einen Schmollmund und wiegte aufreizend ihre Hüften. Der Kopf eines kleinen Mädchens lugte hinter ihren Röcken hervor und es musterte ihn neugierig. Die Kleine wischte sich mit dem Handrücken über ihre verschmierte Nase und schob ihr langes, strähniges Haar zurück.
»Schade. Dabei seid ihr alle solche hübsche Burschen und ich würde gerne eines deiner Kunststückchen sehen«, sagte die Frau. »Ihr Magier zeigt doch gerne, wie geschickt ihr mit den Fingern seid.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich von ihm ab und verschwand hinter Toge in dem Haus. Nur das kleine Mädchen in den zerlumpten Kleidern sah ihn erwartungsvoll an.
»Oh, bitte! Zeig mir ein kleines Kunststück«, bettelte sie.
In ihren Augen leuchtete es hoffnungsvoll und Luves schluckte schwer. Voller Unschuld sahen die Kinderaugen zu ihm auf und er brachte es nicht über sein Herz, die Kleine zu enttäuschen. Mit einem theatralischen Seufzen streckte er seine Rechte aus und ballte die Hand zur Faust.
»Mulego«, murmelte er und streckte seine Finger.
Auf seiner Handfläche tanzte eine kleine Flamme, die sich sanft windend in die Höhe schraubte, bevor sie erlosch. Entzückt schrie das Kind auf und klatschte ihm Beifall.
»Mylady, ich hoffe, Euch hat meine Vorführung zugesagt.« Luves verbeugte sich leicht vor ihr.
»Das war wundervoll! Du bist ein großer Magier.«
Kichernd deutete sie einen Knicks an.
Er ließ das Mädchen ohne ein weiteres Wort zurück. Seine Hand brannte, große Blasen bildeten sich auf der Haut. Luves zog sich die Kapuze seines Umhanges tiefer über das Gesicht, damit niemand sehen konnte, wie er vor Schmerzen die Miene verzog. Ein Ziehen und Kribbeln zog sich durch seinen ganzen Arm, als seine Kräfte die Brandwunde heilten. Die Blasen zerplatzten und die Haut schälte sich, um neue zu bilden. Als er das Ende der Gasse erreichte, bewegte er vorsichtig die Finger. Erleichtert atmete er auf, als er feststellte, dass der Schmerz verging und frische, weiche Haut seine Handfläche