Die Dame hakte nicht mehr nach und vermittelte sofort. Nach einer Weile klackte es.
„Scholtysek, was kann ich für sie tun? „tönte es mit einer tiefen Stimme aus dem Hörer.
„Degoth, Michel Degoth.“
„Ja, weiß, meine Sekretärin unterrichtet mich bereits. Was gibt es dringendes?“ Er berichtete, dass er gerade mit seiner Frau auf Urlaub sei und heute das schöne Seebad Sellin besuchte.
„Schön für sie“, reagierte er KOR genervt.
„Nun hören sie doch! Vor wenigen Minuten waren wir auf der Seebrücke und es schien alles in bester Ordnung. Es war still, gar friedlich. Wir gingen kurz zum Strand und dort entdeckte ich unter der Holzbrücke, es war reiner Zufall müssen sie wissen, in der hintersten Ecke einen auffällig zurecht gemachten Gegenstand.“
„Gut ..., gut, aber was hat das mit.... .“ Degoth hakte sofort ein:
„Ja, das ist ja das Verrückte, als meine Neugierde mich packte kletterte ich unter die Brücke und sah, oh Schreck, in einem weißen Paket, gar ordentlich verpackt, ein Skelett. Das heißt ich fühlte, weil ich aus kriminaltechnischen Gründen das Corpus Delicti nicht berühren wollte.“
„Sauber, sauber, der Herr. Da denkt jemand mit.“ Dabei hörte er durchs Telefon das Lachen des Polizeichefs.
„Mit Verlaub, das ist nicht zum Lachen.“
„Entschuldigung, so war das nicht gemeint. Wollte sie nicht auslachen. Aber was glauben sie, was täglich an kuriosen Meldungen bei uns eingeht.“
„Natürlich, denke ich mir. Doch das ist was Ernstes.“
„Also ein Skelett?“, wiederholte Scholtysek. Nun ruhiger und ohne Lächeln. Zumindest sah es Degoth ja nicht.
„Ja eben eine Leiche, die schon ewig irgendwo, nicht unbedingt an dieser Stelle, gelegen haben muss. Wissen sie, als wir kurz davor, meine Frau und ich, vom Strand kommend die selbe Treppe nach oben benutzen, lag es noch nicht an der besagten Stelle.“
„Nun mal halblang, vielleicht ist es ein Scherz, kein echtes Skelett!“
„Nein, nein, da kenne ich mich aus, bin selbst Hobbykriminologe, müssen sie wissen.“
„Aber Herr Degoth, ihre Meldung in Ehren. Wer will denn damit was bezwecken? Geht da nicht ihr Hobby kriminalistisches Gemüt etwas arg durch? Bitte verzeihen sie mir, aber da laufen, wie zuvor erwähnt, oft Meldungen ein, die ähnlichen Charakter haben, da muss ich kritisch hinterfragen, sie verstehen? Ja!“
„Selbstverständlich, das begreife ich natürlich, es ist aber so. Habe schon mehrfach mit Kollegen der Polizei ermittelt – als Kriminalist, versteht sich und ohne Honorar, möchte ich betonen! Da habe ich das nötige Gespür. Glauben sie mir. Stellen sie mich auf die Probe.“
Degoth hatte ihn wohl überzeugt. Ohne mehr hörte er: „Wo und wann können wir uns treffen?“ Scholtysek konnte hierbei das leicht genervte Seufzen nicht unterdrücken.
„Von mir aus sofort. Stehe am Stand, eben an der besagten Stelle“, war Degoths kurze Antwort.
„Was passiert, während sie hier mit mir vom Hotel aus telefonieren, mit dem Paket?“
„Keine Bange, dass ist geregelt. Meine Frau, sie ist eine couragierte Dame, steht davor und schirmt
es ab. Und der Hotelchefin hier in Sellin habe ich natürlich kein Wörtchen erzählt. Obwohl, das können sie sich sicher vorstellen, ihre Neugierde mächtig groß war.“
„Alle Achtung Herr Degoth. Sie fordern mich wirklich heraus!“ Diesmal sagte er es mit Respekt und ohne Unterton.
„Sagen wir in einer halben Stunde an meinem Strandkorb, der mit der Nummer 1375. Er gehört unserer Familie, ist in der Regel abgeschlossen, wenn wir nicht anwesend sind. Alles klar?“
„Ja, in Ordnung Herr Kriminaloberrat, ich mache mich auf den Weg und warte zunächst unter der Holztreppe vor der Seebrücke.“
Auch er sagte es diesmal ruhiger und mit dem nötigen Respekt gegenüber dem Polizeichef Rügens.
„Einverstanden, bis später“, hörte er noch, dann war jeder sich selbst überlassen. Degoth ging
zurück zu Chantal und berichtete.
„Mir ist während deiner fünfzehnminütigen Abwesenheit nichts aufgefallen“, antwortete sie, so als hätte Ihr Mann schon danach gefragt! „Keiner wollte unter die Brücke und niemand schaute, zumindest gezielt, hierher. Ein Glück, dass von der anderen Seite der Treppe kein Zugang möglich ist, wie?“
„Bleibt uns nichts anderes übrig, als auf den Chef der Rügener Polizei zu warten. Ein gewisser Kriminaloberrat Scholtysek. In zwanzig Minuten gehe ich zu dem besagten Strandkorb. Dann, so denke ich, werden wir gemeinsam hier erscheinen und alles Weitere besprechen. Chantal fiel auf, dass er immer so redete, wenn sein kriminalistisches Gespür einsetzte. Ihr wurde deutlich, dass er es darauf anlegte, die Polizei hier oben zu unterstützen. Da blendet er immer alles aus, sagte sie sich. Traurig war sie in dem Augenblick, wenn sie daran dachte, dass er sich mal wieder ausklinken würde und sie alleine sei.
Sie hatten das Gefühl, als würde es ewig dauern. Dann war es soweit! Degoth machte sich auf den Weg zu der verabredeten Stelle. Schließlich musste er ja noch den besagten Strandkorb finden. Schnell entdeckte er ihn. Er war noch abgeschlossen, wie Scholtysek es zuvor erwähnte und stand in der Nähe des Ufers. Na prima, dachte er, „bin wie immer zu früh beim Termin!“
Kurz danach nahm er einen Schatten wahr, der, so sah es aus, immer näher kam. Er war aufgeregt und konnte sich nicht verkneifen, sich umzudrehen. Wenige Meter vor ihm stand ein kräftiger, jüngerer Mann, der, so schätze er, mindestens 1,95 Meter groß war.
„Ob das der Kriminaloberrat ist?“, ging es ihm durch den Kopf!
Der Mann steuerte schnurstracks auf ihn zu und fragte forsch: „Was machen sie hier?“
Degoth lächelte und sagte: „Degoth, sind sie es, Kriminaloberrat Scholtysek? Wir haben doch vor etwa einer dreiviertel Stunde telefoniert. Sie erinnern sich sicher? Wegen des Fundes unter der Holzbrücke.“
„Entschuldigung“, presste er heraus. „War nicht bei der Sache!“
„Ja, mein Name ist Scholtysek, und ich bin auf Rügen der Polizeichef oder, wenn sie so wollen, der
Chefermittler der Insel.“
„Erfreut sie zu sehen! Meine Frau hält noch immer Stellung vor der Brücke. „Für alle Fälle!“
Scholtysek lachte laut, sein Berliner Dialekt war ansteckend. „Dann können wir uns ja austauschen
und loslegen, wie?“
„Genau“, so Degoth, der angetan war von der zielstrebigen Art des Chefermittlers. Sie liefen zur Holzbrücke. Degoth stellte seine Frau vor und der KOR bedankte sich, ganz Kavalier, für die Unterstützung in der Sache. Jetzt ging er wortlos unter die Brücke und nahm wahr, dass ein helles Paket, bei dem ein Teil eines Skeletts zu sehen war, in der von Degoth beschriebenen Ecke lag. Er stutze, war nun ebenfalls erstaunt. Doch nach außen vermied er es durchdringen zu lassen. In Gedanken grübelte er bereits, was da dahinter stecken könnte. Seine Erinnerungen führten ihn in den Mordfall der letzten Tage und die schon seit etwa fünfzehn Jahren zurückliegenden ungeklärten Fälle. Das ging ihm noch gestern spät am Abend in den Sinn.
Gerade wieder zurück in dem hellen Sandstrand, blinzelte er verlegen zu Degoth und dessen Frau. „Da muss ja in der Tat was furchtbares geschehen sein! Zunächst, es ist mir ein Rätsel, was soll ich sagen....?“
Von den Gedanken, die ihn gerade beschäftigten, erwähnte er keine Wörtchen. Aber Degoth nahm den Faden wieder auf. „Wohl wahr, aber das hilft nicht weiter. Wir müssen umgehend, Verzeihung, wenn ich sage