Alltagsattraktionen. Jan Lipowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Lipowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634614
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makelloses und kostenloses Hühnerei zum Frühstück! Und morgen ist es auch nicht mehr ganz so frisch.«

      D. L.: »Nein!«

      I.: »Aber du hast doch sonst immer Appetit auf ein Frühstücksei?«

      D. L.: »Ja. Sonst.«

      I.: »Ja?«

      D. L.: »Ja, aber nur auf ein richtiges, eins mit Stempel und so… Und wer weiß wie l-a-a-n-g-e-e dieses Ei hier schon so herumliegt!«

      I.: »!?«

       Ich habe nicht mehr herausbekommen, was an frischen Eiern nicht stimmen sollte, außer dass sie nicht schon ewig in der Sonne gelegen haben konnten. Aber es war mir nun auch irgendwie suspekt und ich legte das Ei wieder ins Gras zurück. Es hatte also doch einen entscheidenden Makel: Es lag einfach so auf der Wiese herum.

      Erst am letzten Urlaubsmorgen wünschte sich die Liebste wieder ein Frühstücksei. Im Gras lag natürlich keins und sonntags hatte der Dorfladen zu. Aber immerhin erfuhr ich vom Nachbarn, der leider keine Eier übrig hatte, weil seine Hühner neuerdings kaum noch legten (zumindest fand er kaum noch Eier im Stall), dass bis vor kurzem ein Marder unter dem Dach unseres Quartiers sein Unwesen getrieben hatte. Vor etwa drei Wochen wurde das Loch entdeckt und sogleich zugemauert.

      Vielleicht hätte man den Marder vorher herauslassen sollen…? Oder wenigstens die Eier entfernen, von denen er scheinbar eine ganze Anzahl unter dem Dach gehortet hatte…? – Von wegen faulendes Reetdach!

      Die wilde Geschichte von Garik

       Garik weilt nicht mehr unter uns. Sein Leben war kurz und wild und international. Er trug einen kaukasischen Namen, stammte aus St. Petersburg und starb in Deutschland. Die Frauen liebten ihn und er liebte die Frauen. Er war kein Kostverächter, immer hungrig und mochte Katzen sehr. Auch Männer hatten bei ihm Chancen, zumindest wenn sie ihn fütterten, denn Garik war eine norwegische Waldkatze, zumindest mehrheitlich. Doch das sah ihm Flink nicht an, als er sich den winzigen Kater für ein paar Rubel in einer dunklen St. Petersburger Seitenstraße aufschwatzen ließ. Ein niedliches Kätzchen, welches Flink letztlich aber aus rein strategischen Gründen erwarb…

      Als deutscher Austauschstudent im 16. Semester, der lieber Frauen als Betriebswirtschaft studierte, hatte er bereits so einige Rückschläge erlebt: Das Arbitrage-Fiasko durch die plötzliche Abwertung des Rubels, welche die 5.000 Kondome quasi unverkäuflich machte, die er vermeintlich günstig in Deutschland beschafft hatte, seine somit klamme Kasse und die davon in Mitleidenschaft gezogenen Erfahrungen mit russischen Frauen, die auch seinen Kondom-Eigenverbrauch auf dem Nullpunkt einfroren. Von den Sprachschwierigkeiten ganz zu schweigen, jedenfalls hatte er ja auch erst in der 11. Klasse verstanden, warum bei den Kosmonauten CCCP statt UdSSR auf dem Helm stand. Und auch sein zweites erhofftes Finanzierungsstandbein gab keinerlei Halt. Dabei fand er die Idee zur Partnervermittlung genial! In Deutschland hatte er eine Annonce aufgegeben: »Für das Geld, was Sie einer deutschen Emanze für ein Abendessen sinnlos in den Rachen werfen, bekommen Sie bei uns eine russische Frau fürs ganze Leben!« Und umgekehrt wollte er nun in einer russischen Gazette inserieren: »Wohlsituierte deutsche Männer mit ehrbaren Absichten suchen liebevolle russische Partnerinnen. Bildzuschriften bitte an die Partneragentur Garik.« – Hatte er die erste Anzeige etwa nicht peppig genug formuliert oder hat sie die EMMA vielleicht nur noch nicht abgedruckt? Bisher traf jedenfalls keine einzige Zuschrift ein.

      Nun besaß Flink also einen kleinen Kater, den er ersatzweise Garik taufte. Wie erwähnt, leitete ihn ein von niederen Instinkten getriebenes Kalkül, welches stark gekürzt auf Folgendes hinauslief: Zum Tee eingeladene Frauen streicheln Garik und er, Flink, darf dann die von seiner Tierliebe tief gerührten und vertrauensseligen Frauen streicheln, worauf die St. Petersburgerinnen ihre Heiligkeit nebst Kleidung ablegen sollten… So viel zur Theorie. Doch in praxi ließ Garik immer nur den ersten Teil zu! Die Frauen durften ihn streicheln, aber Garik beanspruchte sie ganz für sich allein. Denn schon halbwüchsig war er ein Prachtkerl mit wachen Augen, dichtem seidigen Haar, langem buschigen Schwanz und auch sonst Flink in jeder Hinsicht überlegen. Gariks ausgeprägte und mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom gepaarte Eifersucht machte es Flink schlicht unmöglich, sich zwischen Damenbesuch und Kater zu drängen. Die Frauen hatten ohnehin bloß Augen und Liebkosungen für Garik und Garik zeigte Flink bei sämtlichen Annäherungsversuchen nur die Krallen, welche er täglich an rostigen Lada-Stoßstangen schärfte.

      Als sich Auslandssemester und Mindesthaltbarkeitsdauer der Kondome dem Ende zuneigten (aha, daher damals relativ günstig) wurde es Flink zu viel. Frauenliebling Garik hatte nicht nur sein Ego arg angekratzt, sondern nun auch noch mit Zähnen und Krallen in der Kondomkiste gewütet! Nur weil überraschend Besuch aus der Heimat kam, legte Flink das Küchenmesser wieder zur Seite, verzichtete auf Gariks Kastration und verschenkte ihn kurzerhand. – Tobias nahm ihn gern mit nach Deutschland, obwohl er dazu noch 500 Kondome in zweifelhaftem Zustand bekam, welche er jedoch beim Zoll in Reisepapiere für Garik »umtauschte«.

      Garik landete mitten im kalten Erzgebirgswinter. Die Menschen hier waren aus ganz anderem Holz geschnitzt. Er vermisste die Streicheleinheiten der parfümierten Frauen und streunte oft entlang der Fernverkehrsstraße Richtung tschechische Grenze. Gleich dem russischen Recken, der jahrelang auf der Ofenbank lag, Kräfte sammelte und dann auszog den Drachen zu töten, entwickelte auch Garik eine Vorliebe für warme Plätze und machte es sich gern stundenlang am Ofen oder neben dem Herd bequem. Danach zog er los, schlug alle Kater im Umkreis von sieben Werst in die Flucht und schwelgte im polygamen Liebesleben mit sächsischen und tschechischen Katzen bis ein Auto seinem Leben ein jähes Ende setzte.

      Doch Garik hatte so einiges hinterlassen! Zum einen den traurigen Tobias, zum anderen dutzende, regelrecht sexverwöhnte Katzen und bald würden auch die jungen Kätzchen der Umgebung durch ihre buschigen Schwänze auffallen. Doch bereits am Folgetag fiel Tobias die Überweisung von 456,23 Euro an die Deutsche AIDS-Stiftung auf, die er nie getätigt hatte!

      Wie war das möglich? – Nun…, manchmal hatte es sich Garik auf Tobias’ Notebook bequem gemacht, von dem er stets energisch verjagt wurde! Aber das Gerät blieb nach Gebrauch immer so schön lange warm und Verbotenes zieht wohl auch Tiere magisch an. Jedenfalls fand Garik den Laptop eines Tages aufgeklappt, angeschaltet und online vor. Flink sprang er auf die Tastatur und das mit wohliger Wärme gepaarte sonore Lüftergeräusch ließ ihn schnell einschlafen. Garik träumte wild von rassigen Frauen und Rassekatzen und drückte so manche Taste im unruhigen Schlaf. – So viel zur Sicherheit des Online-Banking und Gariks kurzem aber erfülltem Leben.

       Epilog

       Tobias nahm das Vermächtnis seines Katers übrigens an. In seinem Hinterkopf waren die Kondome nebst russischen Abenteuern noch sehr präsent, denn er war nicht gleich nach Deutschland zurückgefahren.

      Ljudmila, Marija, Galina, Natascha, Tatjana… – irgendwie hatte er mit dem kleinen Kater plötzlich unheimlich Erfolg bei Frauen und an der Grenze auch keine 450 Kondome mehr (wohl aber ein schlechtes Gewissen). Zudem war er sehr froh, dass Garik beim Schlummer auf der Tastatur nicht zufällig einschlägige Mittel zur Behandlung erektiler Dysfunktion in Großhandelsmengen bestellt und womöglich noch die Festplatte formatiert oder per E-Mail mit seiner Fernbeziehung Nadjeschda Schluss gemacht hatte. Denn diesmal war es endlich Liebe…

      Kastrationsrituale

       Der Gefahren lauern viele im Büroalltag, beispielsweise die alljährliche Weiberfastnacht. Vor zwei Jahren hatte es mich kalt erwischt – schnipp, schnapp und ein Großteil meiner ehemaligen Lieblingskrawatte hing namentlich gekennzeichnet neben anderen Opfern am schwarzen Brett, welches schwer Trophäen beladen am Feierabend von den bestens gelaunten Kolleginnen sogar noch abfotografiert wurde.

      Letztes Jahr war ich besser vorbereitet und hatte mir ein besonders scheußliches Exemplar umgebunden, welches vermutlich noch von meiner Jugendweihe stammte. Dabei hoffte ich regelrecht, dass mich eine unserer Sekretärinnen möglichst bald von diesem mit violetten Blumenmustern verunzierten Seidenlatz befreit, doch es war wie im wahren Leben: Hässliche Beute ist nicht