Alltagsattraktionen. Jan Lipowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Lipowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634614
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Bier, Weiß- und Rotwein aber auch Wiener Würstchen bekommt. Da Erwärmung und Toast ein Weilchen dauern, sucht man nach der Bestellung gewöhnlich seinen Platz auf, muss allerdings darauf gefasst sein, dass nach wenigen Minuten der Ruf: „Abendbrot is fertsch!“ oder „Das Wiener Würstchen bitte … zu mir!“ durch den Saal schallt und man selbst einen Moment im Rampenlicht steht.

      Doch heute bin ich nicht hungrig, eher durstig. Vor mir steht eine Frau an der Kasse, vielleicht Anfang vierzig. Sie verlangt: „Einmal »Liebesleben« bitte.“ – „Ja, hamm‘se denn kein eigenes…?“ – „Waaas? Bitte?!“ – „Macht 4 Euro.“ – „Na, das nenn ich günstig dafür!“

      Also ich finde dies auch in jeder Beziehung günstig und den Dialog amüsant. In der Schlange hinter mir stehen etliche Frauen (ohne Liebesleben?) und lächeln. Hoppla, ich stehe hier falsch. »Liebesleben« habe ich schon gesehen und möchte in den großen Saal, wo »Sie sind ein schöner Mann« auf dem Programm steht. Und ich müsste überhaupt nicht anstehen, denn »wer hängt, muss nicht zahlen« und da ich eine Fotoausstellung im Foyer des Kinos hängen habe, komme ich ja umsonst rein. So passiere ich lächelnd die Kasse und höre noch: „Sonst sieht man den monatelang nicht – und jetzt, wo er so rein kann, kommt der jeeede Woche!“

      Ich gehe gleich zur Bar, bestelle ein Landbier und nicht wie traditionell »einen trockenen Dornfelder und ’ne Cola«, was den Barmann sichtlich verunsichert: „Was denn? Macht’s der Magen nicht mehr mit?“ – Also ich finde die Kombination überhaupt nicht schlimm, zuerst die Cola gegen Durst und Müdigkeit dann den Rotwein zum Genuss.

      Ich sitze mit dem Bier entspannt an meinem Tisch, stöbere im Programmheft und bekomme unfreiwillig das hochinteressante Gespräch zweier Frauen vor mir mit: „Also wenn man sich auf die Waage stellt und bissel zurückbeugt, dann zeigt die 500 Gramm weniger an.“ – „Na, ich weeß ni.“ – „Doch, doch und hier, die Dingsda hat nach der Heirat ja och ganz schön zugelegt!“ – „Schwanger?“ – „Ach!“ – „Nu aber aus Liebe hat die ni geheiratet! Bestimmt … weil se keen annern kriegt.“ – „Nee, weil sie ihn keiner anderen gönnt!“ – „Oder weil sie ihm keene annere gönnt!“ – „Ha-ha-haha…“ – „Hi-hihi…“

      Ich versuche mich vergeblich auf das Programmheft zu konzentrieren. „… nu globstes, Nasendrobben sollen nu och noch süchtsch machen.“ – „Was? Niemals!! Das müsst’sch wissen, die nehmsch nämlich täglich!“ – Ich kann mir das Lachen nicht mehr verkneifen und pruste los.

      Die Damen drehen sich um, doch sie werden zum Glück abgelenkt, denn von der Bar tönt vernehmlich die Frage: „Ist eine Claudia Stäntzel im Saal!?“ Schlagartig verebbt das Murmeln. Mit einem Mal vollkommene Ruhe im großen Kinosaal, auch keinerlei Hintergrundgeräusche mehr, nicht einmal ein Sessel knarrt… – „Ja“, piepst zögernd eine dünne Stimme.

      „Schön!“, dröhnt der Bass aus dem Hintergrund. Dann wieder Schweigen. Es folgt nichts, keine Erklärung, weder Kontext noch überhaupt irgendein Text. Weiterhin gespannte Stille. Jeder wartet darauf, dass der Dialog endlich weitergeht – und auf die Erklärung, warum es so schön ist, dass Claudia Stäntzel im Saal ist. Es knistert förmlich, doch weder Bonbonpapiere noch Chipstüten sind dafür verantwortlich. Hochspannung. Dann ertönt der Gong und verhallt. Das Licht wird gedimmt. Im Schutze der Dunkelheit beginnt jemand zu lachen und alle stimmen befreit ein. Die Spannung löst sich, das Lachen steigert sich. Was für eine Einstimmung auf den Film! Vergnügen, Heiterkeit sowie die ungelöste Frage bleiben für die nächsten 99 Minuten zu Gast im großen Saal des Clubkinos Siegmar.

       Epilog

       Kurz nach der sehenswerten und von feiner Melancholie durchwehten Komödie, es war noch dunkel, der Abspann lief, sah ich – mich halb umwendend – aus den Augenwinkeln und nur schemenhaft wie eine Frau, vermutlich jene Claudia Stäntzel, an der Theke … ein Portemonnaie entgegennimmt.

      Doppelnull

       Komischerweise werde ich beim Besuch von Programmkinos sehr häufig mit dem unangenehmen Phänomen des dringend-auf-Toilette-Müssens im letzten Filmdrittel konfrontiert, obwohl ich meist nur ein Glas Rotwein oder eine Flasche Bier trinke.

      So auch kürzlich. Und obgleich das Doppelte von null immer noch null ergibt, sind dem Eiligen zwei Nullen erfahrungsgemäß viel lieber als eine. Ich hatte es wirklich eilig und hoffte, nach Verlassen des Hauptgebäudes über eine schmale, schier endlos lange Treppe endlich den Weg zur Toilette gefunden zu haben. Ein halb zu gewucherter Trampelpfad führte mich in ein recht finsteres Randareal des SOXXX, an dessen Ende ich einen wenig vertrauenerweckenden Bau erblickte, welcher aber vermutlich die sanitäre Einrichtung darstellte. Zum Eingang führte eine verwitterte Betontreppe hinauf, auf welcher ein Typ mit unförmig-voluminösen Turnschuhen stand, der sich verzweifelt sein nasses Hosenbein abwischte und in mir den spontanen Gedanken: »Na prima, erst zu viel trinken und dann nicht mehr richtig zielen können!« aufblitzen ließ.

      Mit dem ahnungsvollen Gefühl einer unbestimmten Vorwarnung öffnete ich die verzogene Tür und hastete Bedürfnis beladen hindurch. Eine gewisse Verzögerung resultierte allein daraus, dass meine Schuhsohlen nun bei jedem Schritt an den dunkelschmutzgrauen Fliesen kleben blieben. Mein flüchtiger Orientierungsblick bestätigte: Ja, hier ist für Männer – es waren Becken an der Wand. Aber das eine war bis zum Rand gefüllt (sattgelb), dass nächste von einem transparenten Müllsack verhüllt (Christo was here?) und alle anderen besetzt. Also ging ich in eine graffitiverkleisterte Toilettenbox. Drinnen stellte ich sogleich fest, dass a) ich mich da nicht hinsetzen werde und b) sich die Klotür nicht verriegeln lässt. Okay, da sie ja nach innen öffnet, bleibe ich eben so stehen, dass ich sie mit einem leichten Ausfallschritt blockieren kann.

      Gut erzogen wie ich bin, klappte ich die Klobrille hoch, wobei sich herausstellte, dass selbige so blöd ausbalanciert war, dass sie stets wieder zuzuklappen drohte. Nun, dann beuge ich mich eben etwas weiter vor und halte sie mit der einen Hand – also eigentlich mit der anderen Hand – auf. Gleichzeitig versuchte ich, wie erwähnt, die Klotür mit der rechten Ferse zu blockieren, damit niemand hereinkommen kann, was auch sinnvoll war, da bereits jemand an der Klinke rüttelte. Von wegen leichter Ausfallschritt! Überdies war der Spalt unter der Tür so breit, dass ich schon Sorge hatte, ein Limbotänzer könnte unter der Tür hindurch tanzen.

      Leise fluchend setzte ich meine Geschäftstätigkeit fort und hatte quasi alle Hände voll zu tun, um das zu vermeiden, was zu verhindern meinem Vorgänger, der vermutlich noch mit peinlich durchnässtem Beinkleid auf der Außentreppe im Luftzug stand, augenscheinlich nicht gelungen war – und konnte es glücklicherweise auch vermeiden!

      Geschafft! Händewaschen war nun mehr als Pflicht, doch auch alle Waschbecken waren besetzt. Warten? – Nein, bei der schlechten Luft wollte ich keine Sekunde länger als unbedingt notwendig bleiben. Im Gehen streifte mein Blick flüchtig die Reihe der Gestalten, die mir alle mit sich selbst beschäftigt ihre Rücken zukehrten. Das Licht im Raum wurde durch Schichten toter Motten und Fliegen in den trüben Lampenschalen gedämpft, doch in der Ecke entdeckte ich am Ende eines rostigen Rohres einen einzelnen Wasserhahn, vor dem ein zerbeulter Emailletrog stand. Schnell noch die Hände waschen! Ich eilte hin und da der Boden hier ziemlich feucht wurde, klebten meine Schuhsohlen auch nicht mehr an den Fliesen. Stolz auf mein eben bewiesenes und mit vortrefflicher Feinmotorik gepaartes Balancevermögen trat ich überlegen lächelnd an den Waschbeckenersatz. Ich drehte den Wasserhahn auf – und … Mist!!

      Das nahezu waagerecht herausspritzende Wasser traf meine Hose zentral unterhalb der Gürtelschnalle! – Ich fluchte kräftig und rehabilitierte auf der Stelle den Typen auf der Treppe.

      Frauentag

       Ja, wer kennt es nicht, das unangenehme Gefühl, wenn einem plötzlich einfällt, dass man seine Liebste/seinen Liebsten eigentlich phantasievoll überraschen wollte, die Vorbereitungen aber vollkommen vergessen hat und nun improvisieren muss. Kennenlerntag, Erster-Kuss-Tag, Valentinstag, Frauentag, Verlobungs- oder Hochzeitstag – Anlässe gibt es genug.

      Jedenfalls