Die Annalen von Naschfuhd; aus den Chroniken von Biglund. Prince Mario Munibert Gulbrand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Prince Mario Munibert Gulbrand
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016062
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      Albin wusste nicht so recht, was er dazu noch sagen sollte.

      „Aber ich gewähre dir diesen einen Wunsch, denn ich bin gütig“, ergänzte der König mit einer weit ausschweifenden Geste, die den Eindruck erzeugte, als hätte er Albin soeben sein halbes Königreich vermocht. Mein Diener soll sie dir geben. „Nomox!“

      Der speichelleckende Begleiter des Königs, der während des ganzen Gespräches zwischen ihm und Albin aufgrund des latenten Stuhlmangels in den königlichen Audienzräumlichkeiten stehen musste, gab ihm die Landkarte, welche er dem König gerade gezeigt hatte, um ihm zu verdeutlichen, dass sich sein Königreich in Biglund befand. Der königliche Obermagier stand daneben und schüttelte dabei leicht den Kopf und verdrehte dabei die Augen, da er wusste, dass dies die einzige Landkarte in königlichem Besitz war. Er war jedoch nicht dumm genug, offen zu widersprechen. Albin nahm die Landkarte dankbar an.

      „So und jetzt scher dich weg! Mein Friseur kommt gleich. Wache!“, bellte der König.

      Albin zögerte nicht lange, seinem Wunsch Folge zu leisten und verließ die Audienzräumlichkeiten, begleitet von einer stämmigen Wache, die sich während des Gespräches hinter einem alten Vorhang im Raum versteckte, um in einem Notfall dem König augenblicklich zur Seite stehen zu können. Die Wache begleitete Albin zurück durch die vielen Gänge hinaus bis an den Empfangsschalter. Die Dame am Empfangsschalter würdigte die beiden keines Blickes, denn sie war soeben während ihrer Arbeitszeit in eine seichte Lektüre namens „Trockenzonen“ vertieft, in der es unter anderem um eine Frau ging, die für ihr Leben gerne Toilettenschüsseln in öffentlichen Bedürfnisanstalten ableckte. Albin ging wortlos an ihr vorbei aus dem Gebäude.

      „Wenigstens habe ich jetzt eine Landkarte“, dachte Albin. Er sah sich ein wenig auf dem Marktplatz um und überlegte sich, was er in der Stadt Braksop unternehmen könnte, wo er schon mal da war. Allmählich hatte er großen Durst. Zu seinem Glück befand sich ein Wirtshaus direkt gegenüber. Besonders einladend sah es zwar von außen nicht aus, doch Albin hatte keine Wahl, wenn er vor der Fortsetzung seiner Reise noch einen Schluck zu sich nehmen wollte. Über der breiten, glaseingefassten Tür des Wirtshauses stand der Name des Wirtshauses: „Zum betrunkenen Kobold“. Die Schrift hing in Form von provisorisch aneinander genagelten Holzbrettern vom Dach des Gebäudes herab. Es wirkte schäbig. Albin betrat das Wirtshaus.

      Schon der erste Eindruck verdeutlichte: Es war das schmutzigste, verwahrloseste, schmuddeligste und verlumpteste Wirtshaus, das Albin je gesehen hatte. Doch es gab wenigstens Malzbier. Albin ging direkt an den Tresen, an denen sich bereits ein paar wild aussehende Männer und darunter sogar ein Zwerg mit seiner Axt breit gemacht hatten und gerade damit beschäftigt waren, sehr betrunken zu sein und sich gegenseitig regelmäßig in unbestimmten Zeitabständen wüste Blicke zuzuwerfen. Der Zwerg hielt dabei seine Axt fest umklammert, denn als rassische Minderheit hatte er in diesem Laden im Streitfalle die schlechtesten Karten. So war das nun mal in Biglund.

      Vielleicht war es schlicht die unbescholtene Naivität eines Dorfbewohners, die Albin trotz seiner Feigheit Raum dafür ließ, sich in diesem düsteren Wirtshaus nicht nur länger als zwei Sekunden lang aufzuhalten, sondern tatsächlich sogar noch ein Getränk zu bestellen. Denn vollkommen unbeirrt von der überaus heiklen Situation ging Albin an den Tresen und bestellte bei dem dickbäuchigen Wirt mit der total verschmutzten Schürze hinter dem Tresen einen großen Humpen Malzbier zu einem Preis, der mit großem Abstand das Anständigste in diesem ganzen Laden zu sein schien. Nachdem Albin mit einem mürrischen Knurren des Wirtes das nichtgespülte Glas vorgesetzt bekam, verringerte sich dieser Abstand jedoch ganz erheblich.

      Die anderen Tresengäste blickten derweil nach und nach immer argwöhnischer zu ihm hinüber. Die Selbstverständlichkeit, mit der jemand, der weder Schläger, noch Säufer oder Zuhälter war und obendrein viel zu anständig aussah, in diesem Laden einfach an den Tresen ging und mitten unter ihnen ein Malzbier bestellte, versetzte sie scheinbar in eine kurze Schockstarre. So langsam merkte aber auch Albin, dass er hier am Tresen zumindest nicht ganz willkommen war und weil er keine Lust auf Streit hatte, setzte er sich sofort weg an einen der schmutzigen Tische in einem der dreckigen Winkel in einer der zwielichtigen Ecken des schäbigen Wirtshauses.

      Sämtliche anwesenden Gäste des Wirtshauses machten es sich mehr und mehr zur Lieblingsbeschäftigung, ihn misstrauisch, schief, böse oder grimmig anzustarren. Sogar der Wirt machte nach einer Weile dabei mit. Dabei hätte eher Albin die Gäste anstarren müssen, so unglaublich seltsam wie diese waren. Einer davon hatte ein Gesicht mit einer Schnauze, zwei halb angebissenen, weit abstehenden Ohren und fünf dunkelrosaroten Hörnern am Kiefer, an denen stellenweise Dreck, Blut oder Speichel klebte. Der Rest sah auch nicht deutlich vertrauenerweckender aus. Albin fragte sich, ob er irgendeinen viel zu deutlichen Flecken an seiner Kleidung oder etwas Dreck im Gesicht hatte, doch das war es nicht. Ihm war nicht gut zumute in der Gesellschaft dieser Gestalten, doch ein Malzbier musste einfach sein und bestellt hatte er es ohnehin schon. Und abgesehen von der Temperatur des Getränkes und dem restlichen Dreck am Glas schmeckte es gar nicht mal so schlecht, dass er es wieder zurück an den Tresen bringen wollte, um dort sein Geld zurückzuverlangen und damit aller Voraussicht nach schneller eine Schlägerei zu riskieren, als er blinzeln konnte. Also versuchte Albin irgendwie, es sich schmecken zu lassen und blickte in irgendeine Richtung des Wirtshauses, aus der ihm noch kein böser Blick zugeworfen wurde, was sich als schwierig herausstellte.

      Auf dem Tisch entdeckte er eine unmittelbar an selbigem klebende Speisekarte. Er mochte sich eigentlich nicht vorstellen, welche Grausamkeiten er hier vorgesetzt bekommen würde, doch es war immerhin eine Stelle, auf die er seinen Blick werfen konnte, ohne jemanden in dieser verfallenen Spielunke zu verärgern und zum Streit aufzufordern. Albin befreite die Speisekarte von den seit Monaten festgesetzten Bierresten und öffnete sie an einer Stelle, die seine Finger am wenigsten verklebte. Dann sah er wieder nach oben und erschrak.

      „Hey, du da! Typen wie dich können wir hier nicht besonders leiden!“ schnauzte ihm jemand entgegen, der beinahe noch hässlicher war als dieser ganze Laden und alle anderen Insassen zusammen und einen Mundgeruch hatte, vor dem sich sogar eine halbverweste Leiche in Acht nehmen sollte. Albin war geschockt. Doch zum Glück verschwand er wieder sofort an ihren Platz, nachdem diese Worte einmal gesagt wurden und die Fronten damit nicht mehr eindeutiger geklärt werden konnten. Der Rest des Wirtshauses betrachtete den Vorfall leicht vergnügt und glotzte Albin anschließend wieder provozierend an. Albin trank so schnell er konnte sein restliches Bier leer und verließ sofort - unter den wüsten Blicken aller dort Anwesenden - das Wirtshaus zum betrunkenen Kobold. „Was haben die nur alle?“

      Albin stand wieder auf dem Marktplatz, direkt vor dem Gasthaus. Jetzt, da sein Durst gestillt und er schon ein wenig angetrunken vom (wahrscheinlich gepanschten) Malzbier war, konnte die lange Reise zur Wassernixe Pluna endlich beginnen. Doch zunächst musste er den genauen Weg ausfindig machen. Albin packte seine Karte aus der Tasche und studierte sie gründlich. Es war eine sehr ausführliche und übersichtliche Landkarte, die ganz Biglund abbildete. Dazu gehörte hauptsächlich das Königreich Splinarsa, das Reich der Elfen und das Niemandsland. Albin wandte seinen Blick auf die Stadt Braksop. Es gab anscheinend einen Pfad, der von dort zum Krötenteich führte. Besonders beruhigend fand er diese Tatsache nicht, denn auf der Karte wurde dieser als „Pfad der Leiden“ bezeichnet. „Hmm, Pfad der Leiden“, dachte Albin und sah sich die Karte genauer an. „Das klingt nicht gerade gemütlich.“ Einen anderen Weg als diesen gab es nach der Landkarte nicht, denn außerhalb des Pfades der Leiden lagen im Norden die unpassierbaren Schwarzberge, welche auch die Gegend nördlich des Nebelwaldes von Braksop versperrten und einen direkten Weg zum Quelldorf verhinderten. Und selbst wenn die Schwarzberge passierbar gewesen wären, hätte Albin es dort mit gefährlichen Riesen und tückischen Gnomen zu tun gehabt, was auch nicht besonders beruhigend gewesen wäre. Östlich der Stadt und südlich vom Krötenteich versperrte ein großer See den Weg, in dem zu allem Überfluss angeblich eine zehnköpfige Wasserschlange wohnte, die auf der Landkarte zwar schlecht gezeichnet, aber mit einem deutlichen Hinweis bezeichnet wurde. Albin hatte allmählich eine ungefähre Ahnung, warum sich die Bewohner des Quelldorfes nicht allzu gerne außerhalb der Heimat aufhielten und konnte dieser Vorliebe immer mehr abgewinnen.

      „Ich habe wohl keine andere Wahl, denn ich muss Biglund retten“,