Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm. Johannes Mario Ballweg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Mario Ballweg
Издательство: Bookwire
Серия: Das Leben eben
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742727947
Скачать книгу
Daraufhin meinte er: „Ich kann dir ein paar Tricks beibringen. Lass mich dir helfen.“ Ich freute mich total und wir skateten los. Später fragte ich ihn, ob er noch mit mir nach oben kommen möge. „Wir haben leckeren Eistee und wir könnten ein wenig mit meiner Ritterburg spielen.“ Er lächelte mich an und sagte: „Na auf geht’s. Worauf warten wir?“ Ich wusste, dass er sich immer aus den Angelegenheiten der anderen herausgehalten hatte und er spielte ebenfalls nicht mit den anderen Kindern, die so böse waren. Wir waren also zwei Kinder mit dem gleichen Schicksal. Nicht gesucht, aber gefunden! Voller Freude stürmte ich ins Haus: „Mom, Mom, stell dir vor, ich bringe einen neuen Freund mit nach Hause. Das ist Casper.“ Mom schmunzelte über beide Ohren und freute sich sehr für mich. Sie bat uns herauf. Wir spielten noch ein wenig und tranken kühlen Eistee mit Eiswürfeln und einer Zitronenscheibe darin – Moms Spezialität an heißen Sommertagen. Danach musste er heim. Ich war überglücklich, endlich einen Freund gefunden zu haben. Von dort an war er mein einziger und somit bester Freund. Wir verbrachten sehr viel Zeit miteinander.“ Dies war meine einzige Kindheitserinnerung mit Casper, an die ich mich vollkommen detailliert erinnern kann. Jedoch kann ich nicht mehr dazu sagen, das war es schon, ich habe leider nicht mehr als diese eine Erinnerung. Alph lief eine Träne vom Gesicht. Ja allgemein fällt mir in letzter Zeit oft auf, dass er weint. Vielleicht Altersdepressionen. Ich wollte zu reden beginnen doch Grandpa begann das Gespräch zu diesem Foto: „Es bedeutet dir sehr viel, hab ich Recht?“ Eines war und ist für mich immer noch klar, Freundschaften sind sehr wichtig im Leben. Sie stärken einen von außen und machen aus dir einen besseren Menschen. Ich schaute auf den Boden und nickte, dann drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Alph wusste genau, was mit mir los ist. Er lächelte mich an, legte seine Hand auf meinen Schoß und gab mir das Gefühl, nicht alleine zu sein. Er wusste, wie wichtig mir diese Freundschaft war und er wusste auch, was danach passierte. Im Memories-Buch würden wir mit dem Thema früher oder später noch konfrontiert werden, nur das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Es war wohl einer deiner schönsten Geburtstage, habe ich Recht Bubi?“, fragte Alph. „Ja… Ja das war er, es war eben mein erster Geburtstag, an dem ich einen Freund einladen konnte, vorher hatte ich eben niemand.“ Grandpa wirkte etwas bedrückt. „Bei mir sind Geburtstage nichts mehr Besonderes, man feiert, dass wieder ein Jahr vorbei ist, dass man wieder ein Jahr geschafft hat, dass man im letzten Jahr nicht weggestorben ist. Es ist schwierig… manchmal. Es wäre das Beste, wenn wir jetzt weiterblättern.“, sagte Alph. Er schien sehr bedrückt, ich fand, er machte sich zu viel Gedanken. Um eben ihn nicht weiter zu kränken, nickte ich leicht und schaute meinen Grandpa an, der nickte auch. Ich blätterte auf die nächste Seite um und schnitt mich dabei leicht am Papier. Meine Hand zitterte und Grandpa wusste, dass mich dieses eine Thema noch sehr packte. Seine schlechte Stimmung schwand sofort und er war auf einmal hellwach und sehr bemüht darum, mir zu helfen. Er durchsuchte die Seitentasche meines Rucksackes nach einem Erste-Hilfe-Set, packte dieses aus, schüttete etwas Bier über die Wunde, denn Alkohol desinfiziere die Wunde ein wenig, meinte Alph. Danach klebte er mir ein Pflaster auf den Finger. Er nahm mein Bier und drückte es mir in die Hand. „Auf dich und Casper.“ Ich lachte für einen kurzen Moment. „Ja, auf mich und Capser.“ Ich nahm einen großen Schluck, dieser lief herunter wie Quellwasser. Um weitere Gedanken an meine Kindheit zu verdrängen, konzentrierte ich mich nun auf das Polaroid auf der dritten Seite.

      - SEITE 4 – Balsam für die Seele

      ~ Weihnachten ’86 – Unser kleines Musikgenie ~ „Musik, ja Musik ist eine Möglichkeit, mit Gefühlen, Emotionen und Problemen des normalen Lebens ganz bewusst umzugehen und diese dadurch den Zuhörern, aber am meisten sich, leichter zu machen. Ohne Musik würde in meinem Leben nichts laufen! Man nehme einen erfahrenen Musiker, gebe ihm ein Klavier und eine Gitarre, sperrt ihn in einen Raum mit Unmengen an Bier ein und lässt ihn einfach ausprobieren, einfach improvisieren. Dann kommen da die besten Rocksongs oder Balladen dabei heraus. “ „Jaja, wenn das nur so einfach wäre.“, erwiderte Grandpa darauf. Er setzte fort: „Auf dem Bild hier bist du aber noch ein kleiner Musiker, der damals Marius Gitarre an Weihnachten mit sich herumtrug. Und Bier durftest du damals auch noch nicht trinken.“, ergänzte er mit einem zwinkernden Auge. „Ja das stimmt, Alph, aber ich habe mich meiner Meinung nach zu einem sehr talentierten Musiker weiterentwickelt.“ Grandpa nickte und lächelte mich ganz stolz an. Sekunden später kullerte ihm wieder eine Träne herunter, sabalott. „Ja, Bubi, das hast du, das hast du.“ Ich lachte und begann zu erzählen: „Weißt du noch damals, meine erste Stunde beim Schlagzeugunterricht?“ Alph schloss die Augen, wohlmöglich, um sich besser in die Situation hineindenken zu können. Ich fuhr fort:„ Du hast mich damals in den Nachbarort zur Musikschule gefahren. Ich entschied mich mit fünfeinhalb Jahren dafür, Schlagzeug zu lernen. Dass ihr das so unterstützt habt, ich war immer so laut und die ganze Nachbarschaft hatte mich beim Trommeln hören können, haha. Mein jetziges Schlagzeug ist immer noch das, welches ich zu Beginn bekam. Es war ein sehr teures Schlagzeug, eins von Sonor, Baujahr 1985. Durch gute Pflege und stetiges Fellwechseln konnte ich die Qualität des Schlagzeugs erhalten. Heute ist es schon 14 Jahre alt. Jedes Mal, wenn ich es sehe, muss ich an früher denken. Schöne Gedanken!“ Opa unterbrach mich: „Ja... du und ich, wir leben eben in einer Zeit, in der man kaputte Dinge noch repariert und nicht gleich wegschmeißt. Das ist wichtig!“ Ich nickte ernst, dann drückte ich seine Hand ganz feste. „Anfangs lernte ich Grundlagen des Schlagzeugspielens und dann folgten schon die rhythmischen Feinheiten und ich konnte mit zehn, elf Jahren schon richtig sicher Schlagzeug spielen. Damals kam ich in die Mini-Marching-Band und durfte dort sofort an das Set. Eines Tages kam mein Schlagzeuglehrer Martin zu mir und meinte, ich könne ein Leistungsabzeichen ablegen, das mir den Zugang zur Youth-Marching-Band ermögliche. Dafür müsse man aber auch viele Theoriekenntnisse vorweisen können und eine theoretische, sowie auch praktische Prüfung ablegen. Als Zehnjähriger war das schon eine Herausforderung für mich, jedoch lernte ich sehr viel darauf, denn ich wollte bestehen. Zu den Kenntnissen der Theorie gehörten Töne und Tonleitern, die Unterscheidung zwischen Dur und Moll und Gehörbildung, also Oktavenlehre. Bei der Praxis erweiterte sich mein Instrumentenspektrum vom ehemaligen Schlagzeug hin zum Glockenspiel, dem Xylophon, den Pauken und den Perkussionsinstrumenten. Ich übte die Tonleitern wie ein Wilder und konnte mein Xylophon-Stück auswendig. Die Prüfung bestand ich mit „sehr gutem Erfolg“, hieß es auf der Urkunde. Später bildete ich mich mit 13, 14 noch einmal weiter und erlangte das Leistungsabzeichen zweiter Art, welches viel komplizierter und schwieriger war. Durch die Theorielehre und meiner Begeisterung am Xylophon bildete sich ein enormes Interesse an dem Instrument. Im Alter von 14 Jahren hatte ich die große Ehre, ein Solo auf dem Xylophon in Begleitung der Youth-Marching-Band vorzutragen. Das Spektakel fand damals kurz vor Weihnachten statt und es schauten mir über 2000 Leute dabei zu. Man war ich aufgeregt.“ Grandpa begann stolz zu reden: „Ohja das stimmt und ich war in der ersten Reihe gesessen.“ Ihm liefen wieder zwei, drei Tränen an der Wange herunter. „Und an meinem 68. Geburtstag hast du es nur für mich noch einmal in der Acer Falls Countyhall vorgeführt. Das war das schönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe.“ „Genau, und durch diese Begeisterung an dem Xylophon brachte ich mir selbst das Klavierspiel bei, auf deiner kleinen Orgel, wie du sie immer nennst, die in Marius Wohnzimmer stand.“ „Aaah das gute alte Ding, ja darauf habe ich immer Kirchenlieder geübt und dazu gesungen. Das hat sich aber nie so ganz hasenrein angehört.“, ergänzte Grandpa. Ich setzte lachend meine Gedanken weiter fort: „Ja oh Grandpa, da hast du recht, das war nie ganz richtig, aber es war immer schön, wie du dich darum bemüht hattest, dass es wenigstens einigermaßen nach etwas klingt.

      Bei mir war das Klavierspiel anfangs nur mit zwei Fingern möglich, also wie als würde ich Xylophon spielen. Doch irgendwann habe ich ganz intuitiv Dreiklänge mit der linken Hand gegriffen, habe mir diese Akkordmuster gut eingeprägt und mit der rechten Hand habe ich eine Melodie dazu gespielt. Wenn du mir ein Lied einmal ganz vorspielst, so kann ich es dir nach Gehör nachspielen.“ Grandpa wirkte ganz erstaunt und öffnete die Augen: „Das kannst du echt? Na das probieren wir zu Hause auf meiner Orgel morgen gleich mal aus. Mein Lieblingslied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ kennst du bestimmt.“ „Ja logo“, antwortete ich und schmunzelte. „Diesen Wunsch erfülle ich dir gerne. Und jetzt pass mal auf Grandpa. Vor allem während meiner Zeit an der Middle-School hatte ich oft die Möglichkeit, auf einem richtigen Flügel zu spielen. Wir hatten einmal die Woche Mittagsschule und zwischen dem 3. und dem Nachmittagsblock