Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm. Johannes Mario Ballweg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Mario Ballweg
Издательство: Bookwire
Серия: Das Leben eben
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742727947
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wir auch schon weiter. Es war mittlerweile 10 pm, zehn Uhr abends und wir hatten es nicht mehr weit bis Palemo Forest. Zwei Meilen bis zum Palemo Forest Camping Platz stand auf dem Schild. Doch kurz nach dem Schild bogen wir vom 81. Highway auf eine Raststätte ab. Henry’s Gas Station hieß es auf einem kleinen, schlecht beleuchteten Schild über dem Gebäude. Die Glühbirnen der Beleuchtung waren teils gesprungen, teils fehlten sie. Das Licht oberhalb des Eingangs flimmerte beängstigend. Grandpa sagte: „Ich werde nochmal tanken und den Luftdruck an den Reifen kontrollieren, wenn wir heute Nacht heimfahren werden, haben alle Tankstellen geschlossen. Geh bitte rein, bezahle die Tankrechnung und bringe mir bitte eine Packung Nikotinkaugummi und eine Stange „MAPLEWOOD-RED“ mit.“ Ich wunderte mich, Alph hatte das Rauchen doch schon vor über einem Jahr eingestellt. Ich fragte etwas zögernd: „Zii…Zigaretten? Ich dachte… du rauchest nicht mehr. Und warum Nikotinkaugummi?“ Grandpa sagte im ersten Moment nichts, dann erwiderte er: „Tu ich auch nicht, deswegen auch die Nikotinkaugummis, aber bitte sei so gut und bringe mir eine Stange mit.“ Ich verstand meinen Grandpa nicht, jedoch tat ich worum er mich bat. Der Verkäufer in der Tankstelle war Henry persönlich. Er war nicht gerade gut gelaunt, naja das wäre ich auch nicht, wenn ich sonntagnachts arbeiten müsste. Ich gab meine Bestellung auf und bezahlte alles. Ich verlies die Tankstelle mit einer Tasche voll Zigaretten, welche ich an die Krücken gebunden hatte und Henry rief nur: „Schönen Abend noch.“ hinterher. Ich erwiderte dies und lächelte ihn an. Er lächelte zurück, obwohl er Momente vorher sehr verärgert wirkte. Ich denke ich kann Menschen beruhigen und bemühe mich immer, sehr nett zu sein. Mom sagte das auch immer zu mir, ich habe so eine gewisse ruhige Ader und ich kann begeistern. Ich stieg in den Mercedes ein und Alph bat mich, die Stange Zigaretten im Rucksack zu verstauen. Wir schauten uns an, nickten gleichzeitig und fuhren weiter. Zurück auf dem 81. Highway waren es noch gute zwei Meilen zum Acer Creek. Die Wegstrecke verging wie im Flug und wir bogen links in einen Waldweg ab. Es war die Einfahrt zum Camping Platz. Links in der Einfahrt entdeckte ich einen kleinen Trampelpfad. Auf einem Wegweiser stand „Palemo Forest Camping Platz – 0,5 Meilen“. Der Weg zum Camping Platz ging aber geradeaus weiter und war kaum beleuchtet. Grandpa schaltete das Fernlicht an, um besser zu sehen. Keine Menschenseele weit und breit, alles dunkel, nur ein paar Rehkitze sprangen über den Weg vor uns. Wir konnten sie gut erkennen, da ihre Augen im Fernlicht reflektierten und Alph langsam fuhr. Parallel zu diesem Trampelpfad verlief eine Eisenbahnschiene, diese zweigte jedoch kurz vor dem Parkplatz, welcher sich hinter einer Lichtung versteckte, nach rechts ab. Opa erklärte mir, dass hier früher viele Güterzüge fuhren und, dass dies eine der ersten Eisenbahnlinien hier in Acer Falls sei. Natürlich habe man die Schienen schon einmal restauriert, jedoch war dies früher der Haupttransportweg um das County herum. Das klang schon sehr spannend! Wir stellten den Mercedes auf dem gekennzeichneten Parkplatz, welche für Camper des Palemo Forest Camping Platzes vorgesehen waren, ab und stiegen aus dem Auto aus. Grandpa schnappte sich noch die Tabletten und das Bild vom Armaturenbrett herunter, verstaute die Tabletten im Rucksack und steckte das alte Foto in seine linke Hosentasche. Vom Regen, der uns vorhin so abrupt auf der Acer Falls Bridge überrascht hatte, war keine Spur zu sehen, er war weg. Gott sei Dank! Doch es roch nach frischem Regen, wie ich diesen Geruch so liebe. Dieser hat etwas Eigenes, etwas ganz Spezielles, für viele Selbstverständlichkeit, doch ich nehme diese Wunder der Natur ganz anders und bewusster wahr. Ich genieße den Duft wahrhaftig sehr.

      „Bubi, hast du auch alles, was du brauchst?“, fragte Grandpa ganz aufgeregt. Ich langte mir an die Hosentaschen, links der Geldbeutel, rechts das Mobiltelefon und am Gürtel befestigt eine Taschenlampe. Auf dem Rücken trug ich einen Rucksack mit Alphs alter Acer Falls County Karte von 1967, den sechs Flaschen „Autumn 4.9“, einem Seil und ein paar Notfallkarabinern, einer kleinen Polaroid-Kamera und dem allerwichtigsten aller Utensilien, dem Memories-Buch. Aber auch die „Maplewood-Zigaretten hatte ich dort verstaut, so wie es Alph wollte. Ich antwortete: „Ja hab alles und wie steht’s bei dir?“ Grandpa sagte nur: Ich habe dich, also habe ich alles.“ Er schmunzelte dabei über das ganze Gesicht. Diese Worte empfing ich als sehr wohltuend und musste daraufhin auch herzlichst lachen. Wir packten die Karte aus und leuchteten diese mit der Taschenlampe an. Der Weg war selbst eingezeichnet, ging aber an allen offiziell erlaubten Wegen vorbei, es war ein geheimer, individueller Weg zum Acer Creek. Grandpa zeigte mir wo wir sind und wo wir hinmüssen. Wir machten uns, so schnell es auch nur mit meinen Gehhilfen ging, auf den Weg. Die Beschaffenheit des Bodens war nicht die beste, auf den offiziellen Wegen teils Rollsplit, und ab dem geheimen selbsteingezeichneten Weg nur noch Rindenmulch oder Waldboden. Wir sahen ein paar Hirsche, die frisches Regenwasser von den Blättern wegsaugten. Wir kamen an eine Lichtung und ich hörte einen Bach rauschen. „Hörst du das? Wir müssen jetzt dem Bach folgen, dieser ist ein Zulauf zum Acer Creek, der Bauchlauf der aus dem kleinsten der sechs Acer Falls entsteht. Es war dunkel, aber die Taschenlampe wies uns den Weg. „Und wenn ich auch wanderte, im finsteren Tal…“ – Psalm 23. Alph lief voraus und hob ein paar Äste zur Seite, die uns im Wege standen. Er sagte zu mir, ich solle seine Hand nehmen und die Augen schließen. Ich nahm die eine Krücke in meine andere Hand und gab Alph die freie Hand, ich vertraue ihm zu 100%. Ich stolperte über ein paar Baumwurzeln, doch mein lieber Grandpa half mir wieder auf, meinem Knie ging es bis jetzt echt erstaunlich gut. Daraufhin hörte ich, wie Grandpa wieder ein paar Äste auf Augenhöhe beiseite hob, sodass wir daran passieren konnten. Dann drückte er meine Hand ganz feste zu. Ich war etwas skeptisch, wusste nicht, was passierte doch er klärte mich im nächsten Moment auf: „Also Bubi, du zählst jetzt bis drei und dann holst du tief Luft und öffnest deine Augen. Ich tat wie mir empfohlen wurde und zählte leise „eeeeins, zweeeeei, drei,“ holte tief Luft und öffnete meine Augen. Es war wie im Paradies. So wundervoll und doch so unscheinbar zugleich. Der sechste der Acer Falls, ein sehr kleiner Wasserfall, rieselte so sanft und leise in einen kleinen See an einer Lichtung im Palemo Forest herunter. Der See war nicht größer als unser Red-Lake zu Hause. Aus ihm entsprang der Acer Creek Bachlauf, der am Pavillon in Richtung Wald weiterfloss. Man hört das Geplätscher kaum, es war so beruhigend. Um den See herum waren Holzpfähle aufgestellt, fünf Stück insgesamt. An ihnen war eine kleine Lichterkette befestigt, sie war aus. An der rechten Seite des Sees war eine Feuerstelle zu erkennen, welche aus einfachen Steinen gebaut wurde. Hinter der Feuerstelle befand sich ein kleiner, weißer Pavillon mit etwas verdreckten Glasfenstern und Glastüren. Wir liefen über den kleinen Bachzulauf, der uns den Weg zum Acer Creek gezeigt hatte, hin zu dem See. Grandpa blieb stehen und genoss den Anblick, ich schloss mich ihm an. „Hach, wie schön das hier ist, das hätte ich mir niemals träumen können.“, meinte ich zu meinem Grandpa. Dieser antwortete: „Haha, das glaube ich dir sofort. Ich habe dir nicht zu viel versprochen, einfach so wunderprächtig hier.“ „Au ja“, erwiderte ich und lief mit den Gehhilfen rüber zum Pavillon. Die Tür war zwar verschlossen, jedoch sehr morsch. Ich rüttelte dreimal an der Klinke und das Schloss brach heraus. Die Tür war nun passierbar, naja Einbrecher sind wir ja keine, wir wollen ja nichts klauen, sondern nur dort drinnen unsere Zeit ein wenig verbringen. Rechts neben der Türe entdeckte ich einen kleinen Sicherungskasten. Ich musste lachen, weil wir auf dem Dachboden ja auch heute schon mal die Sicherungen reinmachen mussten und rief: „Hier ist auch wieder so ein alter Sicherungskasten.“ Grandpa lachte und antwortete: „Na Heimatland, das kann ja was werden. Lass es uns wagen! Also, ich glaube du musst zuerst den Hauptschalter anmachen, dann die zwei kleinen Schalter wo drüber steht P und LS. P für Pavillon und LS für Lichterkette am See.“ Ich dachte mir, dass sich Opa hier aber gut auskennt und machte alle Sicherungen rein, in der Hoffnung, dass diese auch drinnen blieben. Zuerst den Hauptschalter dann die beiden kleinen Schalter. Es funktionierte und ich war total begeistert. Die Lichterkette ging nach und nach an, manche Glühbirnen funktionierten nicht, also war die Lichtung nicht gut beleuchtet, das machte es aber umso idyllischer. Eine kleine, weiße Glühbirne beleuchtete den Pavillon von innen. Im Pavillon befanden sich eine kleine weiße Bank, ein runder Tisch, ein kleiner Steinkamin aus roten Backsteinen und ein paar alte Möbelstücke, man konnte den Staub von den Möbeln wegpusten – ich war mir sicher, hier war schon lange niemand mehr gewesen. Ich stellte den Rucksack auf der Bank im Pavillon ab und breitete das Buch, die Karte und die sechs Flaschen „Autumn 4.9“ auf dem runden Tisch unter der Glühbirne aus. Grandpa stand draußen am See, kam nach kurzer Zeit dann zu mir in den Pavillon rein. Mich beschäftigte die ganze Zeit der Aspekt, dass Alph sich eine Stange Maplewood-Zigaretten mitgenommen hatte. Ich traute mich aber nicht, ihn zu fragen, ich wollte nicht unhöflich sein.