Traumziel Kajütboot. Thomas Stange. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Stange
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847628439
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war die Verproviantierung, wobei sich meine Mutter wieder einmal als Einkaufsgenie erwiesen hatte. Es ist merkwürdig, wie sich bei mir bestimmte Nahrungsmittel untrennbar mit den Erinnerungen an unser Schiff verbunden haben. Corned Beef aus der Büchse liebe ich heute immer noch, zu Kartoffelpuffern habe ich ein gespaltenes Verhältnis, bei Eier-Ravioli mit Tomatensoße wird mir schon vom Geruch schlecht.

      Jedenfalls kamen an diesem Morgen die letzten Ausrüstungsgegenstände und die Crewmitglieder an Bord. Dann sollte es losgehen. Ging es aber nicht.

      Vater hatte die Maschine warmlaufen lassen und dann Mutter und mich auf unsere „Manöverstationen“ beordert, sozusagen als Leinen- und Fenderkommando. Mein Bruder hatte sich unterdessen an einem seitens der Schiffsführung vorher festgelegten Platz unter Deck einzufinden und diesen unter Androhung härtester Zwangsmaßnahmen bis auf Widerruf nicht zu verlassen. Zumindest solange er noch kein zweistelliges Lebensalter erreicht hatte.

      Ich begab mich also zum Bug, Mutter stand achtern bereit. Nun muss man wissen, dass unser Anleger an der Schlagd im Wesentlichen aus zwei Schwimmpontons bestand. Der eine diente zum Einsetzen der Kajaks, Paddelboote und Ondos, an dem anderen lag unsere Calypso, gegen die Strömung, festgemacht mit zwei Spring- und einer Achterleine. Die Vorleine hingegen war an einem Schwimmbalken belegt, der ungefähr sechs Meter vor unserem Bug an der Kaimauer festgesetzt war und im rechten Winkel in den Fluss hineinragte. Fünf Meter weit und nur dreißig Zentimeter breit. Wie geschaffen dafür, so ziemlich allen Unrat, der die Fulda hinabtrieb, wie ein Rechen aufzufangen.

      „Vor- und Achterspring loswerfen“ leitete mein Vater das Ablegemanöver ein. Mutter tat, wie ihr befohlen. „Achterleine los...“ kam als nächstes. Auch kein Problem. „......und Vorleine los“ befahl mein Vater mit Blick zu mir und der Hand am Schalthebel.

      Leine von der Klampe los, wickel, wickel, und jetzt am anderen Ende ziehen und ...verflixt, warum kam denn das blöde Ding nicht? Zog ich denn am falschen Ende? Die Leine war doch einfach durch einen Ring am Balken gezogen, die musste doch da durchslippen. Tat sie aber nicht. Als ich probeweise am anderen Ende zog, kam der Balken auf mich zu.

      „Leine sitzt fest“, meldete ich in Richtung Steuerstand; mein Vater bestand auf klaren Kommandos und Meldungen.

      „Halt das Schiff am Anleger“ wurde meine Mutter angebrüllt, die bereits krampfhaft nach dem Bootshaken angelte, während mein Vater wie ein Kastenteufel hinter seinem Steuerrad hervorgeschossen kam.

      „Irgendwie verklemmt“ konstatierte er, nachdem er die Prozedur des „erst-am-einen-Ende-dann-am-anderen-Ende-Ziehens“ ebenfalls hinter sich gebracht hatte.

      „Einer muss auf den Balken“, entschied er. Mir schwante Ungutes.

      „Mutter hält das Schiff am Steg, ich muss am Steuer bleiben, Axel kann das noch nicht.“ Vater sah mich auffordernd an.

      Was soll man tun, wenn man so freundlich gebeten wird? „Schon gut, ich gehe.“ Jetzt konnte ich sehen, wie ich auf diesen blöden schmalen Balken kam. Ganz nach vorne musste ich, auf dieses ekelige, glitschige, verschmierte Ding...

      „Zieh´ die Schuhe aus. Barfuß findest du besser Halt. Und wenn´s wackelig wird, streck´ einfach die Arme seitlich aus.“ Mein Vater sparte nicht an guten Ratschlägen.

      Äääääää.......auch noch barfuß ! Die ersten zwei Meter gingen noch ganz gut. Das war der leichtere Teil. Aber dann wurde es lustig. Die Konturen des Balkens waren vor Dreck nur noch zu erahnen. „Gar nicht darüber nachdenken, wo du da hintrittst“ versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Mein Fuß stieß gegen etwas Festes, Weiches. Iiiiiiiigitt, ´ne tote Ratte. Na Mahlzeit. Alles in mir setzte zu einem Sprung zur Seite an. Ich konnte mich gerade noch bremsen, denn sonst hätte ich in der braunen Brühe gelegen, die rings um den Balken herum schwappte.

      Bis ich das Ende meines Balanceaktes erreicht hatte, dürfte mein bekannterweise niedriger Blutdruck wohl astronomische Höhen erreicht haben. Zumindest fühlte ich mich so. Ich drehte den Rundtörn auf, der sich lustigerweise um den Ringfuß gelegt hatte und machte mich auf den Rückweg. Den Rattenkadaver überstieg ich diesmal mit einem weiten Schritt. Das brachte mich zwar vorübergehend in bedenkliche Schräglage, aber in der Zwischenzeit war für mich ein plötzlicher Abgang in die Fulda nur noch das Zweitschlimmste, was mir passieren konnte.

      Als ich wieder an Bord war, schickte mich mein Vater zuerst aufs Vorschiff, um die Leine „endlich loszuwerfen“, wie er sagte, und verbot mir ausdrücklich das Betreten der Kajüte „mit d e n Füßen“.

      Allerdings wäre ich sowieso nicht dazu gekommen, unter Deck zu gehen, denn als nächstes mussten die Fender eingeholt werden, kaum dass wir in die Strömung hineingedreht hatten. Fahren mit herumhängenden Fendern war für meinen Vater ein Unding, auch wenn in diesem Augenblick die Kasseler Stadtschleuse bereits in Sichtweite war. Auf Yachtetikette hielt Vater große Stücke.

      Nachdem die Fender also eingeholt und gleich darauf wieder ausgebracht worden waren, nachdem mein Vater, wie damals üblich, mittels Schallsignal seine Schleusungsabsicht kundgetan hatte, öffneten sich tatsächlich die Tore und gaben die Einfahrt in die Schleusenkammer frei.

      Nun ist es so, dass Schleusen bei mir immer ein gewisses Unwohlsein auslösen. Ich neige ein wenig zu Platzangst. Egal, wie groß die Kammer und der Hub ist. Besonders beim Abschleusen, wenn die Mauern immer höher zu wachsen scheinen, bin ich jedes Mal froh, wenn die Sache vorüber ist.

      Deswegen sah ich auch diesem ersten Fahrtabschnitt auf der Fulda von Kassel bis Hannoversch Münden mit einiger Sorge entgegen. Heute, wo es die Staustufe bei Wahnhausen gibt, sind da ‘nur’ noch die Schleusen Kassel, Wahnhausen, Wilhelmshausen, Bonaforth und Hann.-Münden, bis man dann auf der Weser erst einmal 135 schleusenfreie Flusskilometer vor sich hat. Damit hat man auf der Fulda aber immer noch fünf Schleusen auf achtundzwanzig Kilometern. Früher kamen allerdings noch Wolfsanger, Spiekershausen und Speele als Zwangsaufenthalte hinzu. War man erst einmal auf der Weser, fühlte man sich entsprechend ‘total abgeschleust’.

      Jedenfalls brachten wir das Schleusenmanöver in Kassel gut hinter uns. Wir waren ja geübt. Auch Wolfsanger, Spiekershausen, Wahnhausen und Speele hatten keine Probleme ergeben. Fünfmal hatte ich die in mir aufsteigende Panik niedergekämpft. Jetzt lagen wir zusammen mit einem Ausflugsschiff in der Schleuse Wilhelmshausen und warteten darauf, dass sich die Obertore schlossen.

      Der Ausflügler lag vor uns quer in der Schleuse und ließ seine Maschine langsam mitlaufen. Wir hatten unseren Dampfer steuerbords mit drei Fendern bestückt, Mutter hielt das Schiff am Bug, ich am Heck, Vater war am Steuerstand geblieben. Soweit alles wie sonst.

      Während wir dann aber kurze Zeit später langsam in die Schleusenkammer hinab sanken, ging irgendetwas schief. Ich selbst habe das gar nicht gleich mitbekommen. Ich wunderte mich nur, dass sich unser Heck plötzlich unaufhaltsam von der Schleusenwand entfernte.

      „Gegenstrom ! Hol’ die Leine durch!“ Mein Vater hatte die Sache entweder kommen gesehen oder aber zumindest doch schnell reagiert. Doch : Können vor Lachen! Der Kahn war vielleicht schweeeer...! Man stelle sich vor: ein urlaubsbeladenes Kajütboot gegen eine leicht unterentwickelte Dreizehnjährige. Der Sieger stand also von vornherein fest. „Das halt’ ich nicht mehr!“ brüllte ich über meine Schulter Richtung Steuerstand. „Halt gefälligst fest“ kam die prompte Antwort, „ich komme mit dem Bootshaken“.

      Man tut ja, was man kann, dachte ich mir noch, als ich, die Beine fest gegen das Schanzkleid gepresst feststellte, dass mein Oberkörper, nun schräg seitlich-aufwärts über die Bordwand gebeugt, einen verflixt ungünstigen Winkel zu meinen Beinen eingenommen hatte.

      „Blöder Anfängerfehler“ traf mich die Erkenntnis, als meine Füße blitzartig und ohne Vorwarnung den Halt verloren und ich in das schwarze Wasser zwischen Bord- und Schleusenwand stürzte.

      Was in dem Moment an Deck passierte, weiß ich nicht. Mein Vater war wohl gerade dabei, den angekündigten Bootshaken klar zu bekommen, als sich mein Abflug ankündigte. Trotz seiner Gehbehinderung muss er wohl mit einem Riesensatz hinter mir gewesen sein, denn ich spürte plötzlich einen festen Griff am Hosenbund. Mein Fall stoppte wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche abrupt. Ich wurde ruckartig