„Gut.“
„Non, Monsieur, Sie müssen eine lange intensive Antwort geben mit Zweifeln und hohen Emotionen! Etwa so: Isch bin überglücklich, unter Tausenden von Kandidaten auserwählt worden zu sein und bedanke mich herzlichst bei der Kommission und bei Ihnen, Frau Professor Ming, dass Sie meine Person trotz aller meiner persönlichen Zweifel auserwählt haben. Ich fühle mich höchst geehrt, kann nachts kaum schlafen vor Erwartung und Begeisterung und freue mich, bald meinen eigenen Clown neben mir sehen zu können! Herzlichen Dank!“
„Sie sind selbst ein Clown!“
„Pastis befreit die Gedanken, … okay, Klon.“
„Weiter geht’s! Es ist unvorstellbar schön, in die Weltgeschichte eingehen zu können; noch in tausend Jahren wird man von mir, sorry, von uns sprechen dank Ihnen, Frau Professor Ming!“
„Arschkriecher!“
„Oui, muss man können, um weiter zu kommen.“
„Willst du nicht das Interview für mich machen?“
„Non jamais, dann würde nachher noch ich geklont.“
„Merci, ich habe mir die Stichpunkte notiert.“
„Soll ich morgen eine Flasche Pastis mitbringen?“
„Hinter die Kulissen, für alle Fälle.“
„Oh, serr schön, Sie machen Fortschritte in der positiven Art, das Leben zu genießen. Und nun Frage 2: *Welches waren Ihre Beweggründe, sich bei uns zu bewerben?* Soll ich gleich selbst antworten? Also: Ich habe es im Leben sehr weit gebracht, muss mir keine Sorgen um die Zukunft machen und möchte diese Fähigkeiten weitergeben, zuerst an meinen Klon und dann an weitere Klone, – wenn ich das schon mal so sagen darf – damit die Menschheit etwas erfolgreicher wird. Ihr Institut ist das einzige seiner Art, dem ich zutraue, dieses extrem hohe Risiko meistern zu können. Und so hat das eine das andere maximal gefunden.“
„Edouard, ich bin sprachlos.“
Ich bin verunsichert über diesen Edouard. Ich sehe ihn noch, wie ich ihm mehr aus Mitleid als mit Hoffnung im damals vergammelten Pförtnerhaus ein Bett und eine Dusche angeboten habe. Wochenlang ist nichts passiert, er war einfach da und hat sich ruhig verhalten. Langsam hat er angefangen, seine Wohnung zu restaurieren, erst mit eigenen Mitteln, von denen ich nicht weiß, ob sie aus sauberen Quellen stammten, dann habe ich ihm unter die Arme gegriffen. Und siehe da, er hat seine Chance gepackt, hat von sich aus die Gartenarbeit übernommen, dann den Postdienst und schließlich ist er eine Art rechte Hand von mir geworden. Ich habe mich so an ihn gewöhnt, dass ich das Gefühl habe, er sei schon ewig hier. Und nun seine Steigerung heute, an diesem historischen Tag. Ohne ihn würde ich das Interview nie schaffen, er muss in sei nem Vorleben irgendetwas gemacht haben, was in diese Richtung geht. Ich habe ihn nie über seine Vergangenheit gefragt. Wenn die Polizei gekommen wäre, hätte ich ihn sofort rausgeworfen, er hat sich aber in unserer gemeinsamen Zeit nie etwas zu Schulden kommen lassen. Nach so vielen Jahren habe ich sogar Vertrauen in ihn - nur nicht an manchen Abenden, wenn um Mitternacht noch eine kleine Lampe bei ihm brennt und er zwei leere Flaschen neben sich stehen hat. Ich bin jetzt ganz unverschämt und frage ihn, woher er das Wissen um solche Interviews hat, der besondere Moment erlaubt es.
„Monsieur Edouard …“
„Monsieur haben zum ersten Mal ‚Monsieur‘ zu mir gesagt, is was?“
„Ja, Monsieur, ich staune über ihre Fähigkeiten, solch professionelle Antworten auf die Interviewfragen zu formulieren. Sie sind ganz gewaltig in meinem Ansehen gestiegen …“
„Und jetzt sagen Sie schon ‚Sie‘ zu mir, wirkt der Pastis?“ „Non, es ist die Achtung vor deinen, äh Ihren Fähigkeiten.“
Oh là là, jetzt ist er verlegen; das ist das erste Mal, dass ich ihn so erlebe, also ist in seiner Vergangenheit vielleicht mehr schiefgelaufen, als er sagen kann oder will. Ich verzichte auf die Antwort.
„Sie müssen nicht antworten, es hat mich nur interessiert.“
„Kein Problem, Monsieur Paul, ich schlage vor, dass wir Frage 3 noch machen, dann brate ich die Steaks und dabei erzähle ich Ihnen etwas. Und davor killen wir noch eine Flasche Madiran. Okay?
Madame Professeur Ming will wissen, wie Sie sich auf diese Aufgabe vorbereiten. Also werden Sie sagen: Sehr geehrte Frau Professor, ich habe mein Leben total umgekrempelt in der Hoffnung, der Auserwählte werden zu können. Früher war ich faul, bewegungsarm und fett, nun habe ich etliche Kilo abgespeckt, habe eine gute Kondition und bemühe mich, gesund zu leben, schließlich soll ja mein zweites Ich eine perfekte Hülle bekommen. Dadurch bin ich positiver geworden, freue mich auf jeden neuen Tag und hoffe, auch diese so wichtigen Eigenschaften weiter multiplizieren zu können.“
„Edouard, Sie machen mir Angst! Das ist doch alles Lug und Trug! Ich bin ein Faulsack, bewege mich nur, wenn es sein muss und könnte an manchen Tagen vor mir selbst weglaufen. Und nur, weil ich ein guter Kostverwerter bin, wurde ich nicht besonders übergewichtig, aber einen Tausendmeterlauf würde ich wahrscheinlich nicht mehr überleben.“
„Dann sollten wir sofort mit dem Training anfangen!“
„Edouard als mein Personal-Trainer?“
„Bien sûr, nach dem Essen gehen wir eine halbe Stunde zügig im Park spazieren, dann können wir in Ruhe und ohne, dass jemand es hört, über meine neuen Aufgaben reden. Und über den Lohn für diese neuen Dinge.“
„Das muss ja wohl sein?“
„Sie ahnen es, aber vorweg gibt es ein Entrecôte de cheval à la moutarde de Dijon cuite à la braise avec des haricots verts préparés dans la graisse de canard.“
„Oui, oui, ich lasse mich überraschen, ich habe nur ‚Dijon‘ verstanden.“
„Bevor ich koche, müssen wir erst einmal eine Flasche Wein köpfen. Plopp. Mein Lieblings-Cru aus dem Süden, sehr heiß im Sommer, wenig Wasser und tiefe, lange Wurzeln, so könnte ich mich auch wohlfühlen. Meine Wurzeln sind im Elsass, daher auch das etwas andere Deutsch, nur meine Mutter hat es gesprochen, viel zu selten, daher auch meine Fehler, die immer weniger werden, je länger ich spreche. Beruf auf Wunsch meines Vaters: Elektriker, aber sehr schnell steile Karriere in der Politik, deswegen Umzug in den Süden, dort Maire, also Bürgermeister in einer großen Stadt, sechs glückliche Jahre mit einer tollen Frau. Dann haben mich der Neid und die Missgunst der Einheimischen ruiniert, denn ich habe mich gegen alle Bestechungen gewehrt und etliche Korruptionsversuche vereitelt. Irgendwer hat mir Papiere untergeschoben, die genau das Gegenteil in Millionenhöhe nachgewiesen haben. Aufsehenerregender Schuldspruch bestochener Richter, Ächtung durch alle, Morddrohungen, Brandanschlag, bei dem meine geliebte Suzanne umgekommen ist. Das letzte, was die Partei für mich getan hat: Eine neue Identität mit wasserdichten Papieren, die so gut sind, dass bei der Passverlängerung niemand etwas beanstandet hat. Ich bin anonym untergetaucht. Als Clochard war ich erst einmal ganz alleine in Paris, - da fällt man in der Masse nicht auf -, dann wollte ich ein besseres Leben anfangen und bin nach Irgendwohin getrampt, bis Sie mich aufgelesen haben. Ich bin sehr, sehr glücklich hier. Ich habe meine Wohnung, einen Garten, einen Park, ein unbedrohtes Leben, mein gewohntes Essen und Trinken und nun schon wieder einen gesellschaftlichen Aufstieg. Nach so vielen Jahren werden sie mich nicht mehr so intensiv suchen, aber einen Bart lasse ich mir trotzdem wachsen. Sicher ist sicher. Fragen Sie mich bitte nie, wo dies alles war und wie ich wirklich heiße, ich bin einfach Edouard. Ein untergetauchter Immigrant. Basta. Santé! Der Madiran ist gut wie immer. Und jetzt schlage ich vor, dass wir schweigend essen, so können sich die Aromen besser