Vater und Klon. Wolf Buchinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Buchinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742780416
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an den Tisch! Die Lerchen fliegen sonst weg!“

      „Oh, das sind die besten Vögel, die ich je gegessen habe. Michael, könnte ich dasselbe Menü für den Tag meiner Wiedergeburt in drei Woche reservieren - nur für den Käse lassen Sie sich bitte etwas Anderes einfallen. Und mein Lieblingswein heisst ‚Madiran‘.“

      „Ihr Wunsch sei mir Befehl!“

      Paul versucht, nach diesem sächsischen Menü einzuschlafen

      Das wird eine unruhige Nacht. Ich fühle mich erschlagen, überfordert und irgendwie hilflos beim Gedanken an die nun beginnende Maschinerie von Aktionen. Bisher hatte ich immer alles in meinem Leben im Griff, stand sozusagen über den Dingen und konnte sie immer und überall in meinem Sinne beeinflussen, doch nun bin ich nur das mickrige Rädchen im Getriebe. So muss es Kolumbus gegangen sein, als er wochenlang in seiner Kajüte auf Land hoffte. Vielleicht bin ich zu verwöhnt, gab es doch in meinem Leben nur ganz wenige Krisen. Vielleicht bin ich aber auch ein Weichei geworden, ich weiß ja gar nicht, was mein Körper aushalten kann und will, ich habe mich stets um Belastungen aller Art gedrückt. Vielleicht muss ein Mensch erst ganz unten durch, um dann das Besondere intensiv erleben zu können. Hoffnungen über Hoffnungen. Für einen Realo ganz schön gefährlich, weil er nirgendwo einen Halt finden kann. Ich habe Schiss vor dem, was nun kommt, sehne es herbei - und möchte es doch gleichzeitig hinauszögern.

      Tja, du zartes Paulchen, da sind sie wieder, deine neuen Gefühle und das auch wieder in nie gekannten Dimensionen. Morgen früh schreibe ich Edouard noch eine Mail. Mehr weiß ich im Moment nicht zu tun, das gab es noch nie. Ich darf ja auch nichts tun, sonst kommt noch der ganze Betrieb durcheinander. Ich hätte Lust auf einen Spaziergang unten durchs Dorf, alles schläft und niemand würde mich sehen. Ich könnte mich in Ruhe überall umsehen, das unbekannte China in allen Dimensionen erfahren, - hier oben bin ich vollklimatisiert und rieche nur meine stinkenden Schuhe. Jetzt bleibt mir nur die Hoff nung, dass ich möglichst bald einschlafe, doch dazu bin ich viel zu aufgeregt. Schäfchen zählen bringt bei mir gar nichts; oder doch, ich versuche es mal mit Chinesen. Ein Chinese mit dem - was war das noch - ja, ein Chinese mit dem Kontrabass, zwei Chinesen mit dem Cello, drei Chinesen mit der Geige, vier Chinesen mit dem … wie heißt noch das große goldene Instrument? ... Waldhorn, nein … Saxophon, … nein Trompete, ... nein, grösser ...

      Fiona macht Paul langzeitschlafbereit

      „Guten Morgen! Aufwachen! Achtung, ich ziehe die Vorhänge auf und lasse die Sonne herein, etwas versmogt, aber trotzdem schön. Lieber alter Paul, jetzt beginnt für dich die Stunde der Wahrheit! Wir schreiten zur Zeugung von Raoul.“

      „Guten Morgen, Fiona, welch eine Überraschung!“

      „Ja, ich werde Sie gleich überraschen. Machen Sie bitte zügig Ihre Morgentoilette, schön duschen, Zähne putzen oder das Gebiss rausnehmen, vielleicht sprayen Sie heute etwas mehr Deodorant, es wird länger dauern.“

      Jetzt werde ich lügen wie gedruckt. Ich will nicht nochmals hinauszögern, es soll endlich losgehen: „Ich habe bereits alles gemacht. Ich bin bereit für die Reise!“

      „Na gut. Wie Sie wollen. Ich mache die Vorhänge zu. Legen Sie sich bitte locker und entspannt aufs Bett! Nein, nicht auf den Bauch! Auf den Rücken. Okay. Sehen Sie meine Unterarme?“

      „Leider.“

      „Sie sehen links die untergehende Sonne …“

      „Das ist bei mir rechts …“

      „Sorry. Die untergehende Sonne auf der einen Seite, gegenüber schwebende Gestalten, die sich nach oben bewegen …“

      „Die sehen aus wie vergrößertes Sperma …“

      „Schauen Sie mir tief in die Augen und folgen Sie meinen Gedanken …“

      „Meine Gedanken sind ziemlich schweinisch. Wenn Sie so aufreizend mit gespreizten Oberschenkeln über mir knien, denke ich an etwas ganz Anderes als an Ihre Augen, … ich möchte alle Ihre Tattoos sehen, … auch die auf dem Rücken … und mir vorstellen, wie…“

      „Verdammt noch mal, Sie sind ein alter geiler Bock. So kann ich Sie auf keinen Fall hypnotisieren und Sie ohne Schmerzen auf die Inklonisierung vorbereiten! Drehen Sie sich auf die Seite. Hose runter! Das wollten Sie doch! Und jetzt ganz stark sein …“

      „Aua! Was machen Sie da? Das tut ja richtig weh.“

      „Soll es auch! Sie nerven und nehmen mich nicht ernst. Die Spritze wird Sie in zwölf Sekunden für lange Zeit inklusiv Ihrer schrägen Gedankenwelt lahmlegen. Acht - neun - zehn - na also.“

      Es dauert – und es dauert

       Wachkoma:

      528 Stunden = 22 Tage

      Edouard in Panik

      *Lieber Paul, seit vielen Tagen hast Du nichts mehr von Dir hören lassen. Was gibt es Neues und vor allem: Wie geht es Dir? Gibt es schon Termine? Hier geht alles seinen gewohnten Gang, selbst die Anfragen der Journalisten sind deutlich zurückgegangen. Dennoch warten viele Interviews auf Dich, wenn Du endlich wieder da bist.

       Salut mit einem Extraschluck Madiran auf ein gutes Gelingen! Edouard*

       *Lieber Paul, schön, dass es Dir gut geht! Dennoch mache ich mir Sorgen um Dich. Du schreibst eine kurze Mail mit nur einem kurzen Satz. Das ist nicht üblich bei Dir. Hast Du Schmerzen? Stressen sie Dich? Das Ganze dauert nun wohl etwas länger, soll ich Dir ein paar Kleider schicken, vor allem Unterwäsche?*

      *Lieber Paul, schön, dass es Dir gut geht. Eine kleine unbedeutende Geschichte von hier: Der Pfarrer der Stadtkirche hat sich im Gottesdienst für Deine großzügige Spende bedankt. Im selben Atemzug hat er für Dich gebetet, denn „wahre Christen vergeben auch denen, die sich auf einem Irrweg befinden“. Mon Dieu. Ich habe ihm angeboten, dass Du mal mit Raoul vorbeikommst. Meine letzte lange Mail mit einigen Fragen ist seit zwei Wochen unbeantwortet. Ich freue mich auf jede Zeile von Dir! Bis sehr bald! E.*

      *Lieber Paul, irgendetwas stimmt hier nicht! Du berichtest voller Begeisterung, dass Du plötzlich gerne Weißwein trinkst und einen mit seltsamen Namen aus Ostdeutschland am liebsten. Entweder leidest Du an Geschmacksverirrung oder jemand anders beantwortet meine Mails. Ich bin sehr misstrauisch, habe Angst um Dich und stelle Dir als Beweis eine Frage aus meinem Lebenslauf, die nur Du beantworten kannst: In welcher Stadt war ich fünf Jahre lang Maire, also Oberbürgermeister.

       Bitte antworte schnell, ich bin total verunsichert!

       Edouard*

       *Lieber Paul, jetzt bin ich in Panik! Ich bin zwar in Colmar geboren, aber in Amt und Würden war ich wo ganz anders. Also: Salut Frau Elisabeth Ming! Bitte lassen Sie Paul antworten! Er soll als Beweis den Namen der Stadt nennen! Bitte sehr schnell, ich mache mir riesige Sorgen! Hochachtungsvoll! Edouard.*

      *Lieber Paul! Sehr geehrte Frau Professor Ming! Sollte nicht binnen drei Tagen eine Mail bei mir eintreffen, die beweist, dass Paul am Leben ist und es ihm gut geht, werde ich Interpol und meinen Rechtsanwalt einschalten! So etwas nennt man bei uns Kidnapping. Weiß der Teufel, was Sie sonst noch mit ihm machen! E*.

       *Paul, bitte melde Dich!*

       *Paul, wo bist Du?*

       *Paul!!!*

       *P a u l !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!???????????????????*

       *Ihr verfluchten Chinesen: Où est Paul???*

      Paul’s DNA-Abnahme war erfolreich. Er wartet lieber zuhause auf den Klon