Vater und Klon. Wolf Buchinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Buchinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742780416
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auf diesem Weg den Gesundheitsminister der Volksrepublik China anfragen, ob er bereit wäre, die Patenschaft für Raoul zu übernehmen. Er könnte somit selbst dazu beitragen, dass der im Sinne der chinesischen Kultur auf sein Leben vorbereitet wird. Es wäre eine riesige Ehre für uns alle, für ihn, für mich, für das Professor-Ming-Kompetenzzentrum und ganz besonders für das ganze chinesische Volk und deren glorreichen Führung.“

       *Welch ein genialer Schachzug! Gratulation! Schickt bitte schnellstmöglich diesen Antrag per Mail an mich, damit ich ihn an unsere Freunde weiterleiten kann.

       E.*

      „Mensch Paul, das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut. Du taust ja richtig auf, du denkst komplexer denn je und landest einen unglaublich geschickten Coup! Ich gratuliere auch.“

      „Cher Edouard, ich bin ja noch gar nicht fertig. Am Radio hätte ich das Folgende wegen der Hierarchie und der Einmaligkeit nicht sagen dürfen, doch hier in unseren eigenen vier Wänden möchte ich dir dies schreiben.“

       Lieber Edouard, du hast dich schon lange um Raoul verdient gemacht. Du hast mich bestärkt, du hast mir deine geschickten Worte in den Mund gelegt, Du bist nicht nur meine rechte Hand geworden, du bist mein verlängerter Arm. 

      „Paul, hör bitte auf, mir kommen gleich die Tränen.“

       Ich frage auch dich, ob du Pate von Raoul werden möchtest! Du könntest ihm den positiven Teil deiner Lebenstechnik mitgeben und vielleicht auch dein französisches Savoir Vivre, sozusagen als Gegenpol zum chinesischen. 

      „Och Paul, jetzt muss ich doch weinen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

      „Sag einfach ‚ja‘!“

      „Oui, ich sage ja, danke allerliebster Paul. Merci, merci. Und wirf bitte deine Zettel sofort ins Feuer!“

      „Lass uns jetzt einfach still sein und dem Knistern des

      Feuers zuhören.“

      Nun kommen sich auch Paul und Edouard sehr nahe

      „Ja, du hast Recht, Paul. Zuerst habe ich emotional nur wegen der großen Ehre zugesagt, doch nach ein paar Minuten nachdenken bin ich überzeugt, dass ich viel für Raoul tun könnte. Er könnte die Rolle meines Sohnes annehmen, den ich gerne gehabt hätte, aber nie bekommen werde. Weißt du, in welchem Bildungsgrad er, tja, ich muss wohl sagen ‘geboren‘ wird?“

      „Elisabeth würde sagen ‚gezeugt‘, es ist kein Austragen im Mutterbauch, es ist eine unvorstellbar große Menge von chemischen Prozessen, die ihn entstehen lässt. Goethe hätte seine Freude, jetzt gibt es seinen Mephisto in Form einer Wissenschaftlerin, keine Magie, keine unvorstellbaren Vorgänge, keine speziellen Beziehungen zu Gott oder dem Teufel oder irgendwelchen obskuren Mächten, alles ist logisch nachvollziehbar. Realität pur. Ich wollte es auch nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Wenn du aber ihr Imperium und die technischen Vorgänge einmal gesehen hast, dazu ihren riesigen Zoo an geklonten Tieren bis hin zu Primaten, dann kommen deine Zweifel ins Wanken und werden zur Hoffnung, dass nun Menschen produziert werden können, die physisch gesünder sind als alle, die je zuvor natürlich gezeugt wurden. Ich sehe die Gefahren des Missbrauchs, doch glaube ich erst einmal an das Gute im Menschen. Und seltsamerweise sehe ich nun wieder eine vernünftige Aufgabe für die Kirchen aller Schattierungen. Wenn sie die Ablehnung dieser Menschwerdung einmal abgelegt haben werden, wird ihre neue, hohe Aufgabe sein, die Klonierung in christliche Bahnen zu leiten und positiv zu gestalten. Und dann trete ich wieder in die Kirche ein. Aber ich glaube, dass ich das nicht mehr erleben werde, es dauert bei denen ja alles unendlich lang.“

      „Hast du Hinweise gefunden, in welch mentalem Zustand er auf die Welt kommt?“

      „Leider nein. Selbst Elisabeth kann es nicht sagen, weil bei Tieren zwar das genetische Verhalten weitergegeben wird, aber bei ihnen keine Intelligenz transferiert werden kann, weil sie so wenig davon haben. Wir müssen auf Raoul warten, nur er kann die Antwort geben. Ich hoffe natürlich, dass er genau so denkt und fühlt wie ich. Ich gebe nicht so viel Geld aus, nur um meinen Körper nochmals zu sehen. Ja, ich erwarte die gleiche mentale Stufe wie ich sie habe, vielleicht auch etwas höher, weil er ja keine sozialen und gesellschaftlichen Einflüsse zu bewältigen hatte. Im Idealfall wird es ein Raoul ohne die Abschürfungen von sieben Jahrzehnten, quasi ein geistiger Jüngling. Das wäre schön. Dann könnten wir erziehen und formen bis hin zum Ideal eines Menschen.“

      „… das wir dann erst einmal definieren müssen.“

      „Au weia, da haben wir noch etwas vor uns, eine göttliche Aufgabe sozusagen.“

      „Ja, wir werden nicht nur Gott spielen, wir müssen ihn ersetzen und haben die riesige Chance, seine Fehler nicht noch einmal zu begehen.“

      „Warten wir, bis wir Raouls Zustand kennen oder arbeiten wir vorweg?“

      „Hm, ich schlage vor, dass wir erst einmal nachdenken und dann bei Gelegenheit die groben Züge festlegen.“

       Wenn sie denn nicht schon festgelegt sind. 

       Wie ich die Chinesen einschätze, kümmern sie sich vor allem um den reibungslosen Ablauf der Klonierung, damit sie selbst sicher sein können, dass es mit ihnen persönlich auch klappt. 

       Sie werden Raoul nicht bei sich einsperren, sie müssen ihn uns überlassen, damit wir auf der Welttournee die Überlegenheit der chinesischen Technologie demonstrieren können. Und dann wäre Raoul immer ganz nahe bei uns. Wie Vater und Sohn - und der Pate ist auch gleich mit von der Partie. 

       Und wenn er problemlos auf die Welt kommen würde, was ich hoffe und erwarte, werden sie die Klonierung instrumentalisieren, etwa so wie den Bau eines modernen Flugzeuges. Man kann exakt berechnen, welcher Teil wohin muss, wie er produziert werden muss, was er kostet und wie er schlussendlich auf das Tausendstel eines Millimeters zusammengesetzt wird und Jahrzehnte mit klaren Wartungsarbeiten fehlerfrei und ohne Komplikationen funktioniert.

       Die Massenproduktion von perfekten Menschen kann damit beginnen. Elisabeth wird die erste Göttin sein. Und Raoul der letzte Mensch ohne gelbe Haut. 

      … vielleicht färben sie ihn ein. Hihi. 

      „Wir sollten jetzt schlafen gehen, das Feuer ist auch schon müde und flackert nur noch kurz mit unseren Gedanken auf. Wir haben jetzt eine ganze Woche durchgeplant, von morgens bis abends ein Interview nach dem anderen gegeben. Das wird stinklangweilig für dich - und du darfst ja auch keine Fehler machen, musst nur immer dasselbe sagen. Aber das machst du sicher gut. Und danach habe ich da so eine Idee.“

      Paul jubelt sich selbst mal wieder hoch, dann kommt die Wende durch Edouard

      „Paul, Kompliment, wie du dich in dieser Woche mit den vielen Interviews verändert hast! Deine Stimme und die Art des Argumentierens sind deutlich seriöser geworden. Ich hatte den Lautsprecher immer voll aufgedreht und habe, um etwas Sinnvolles zu tun, das ganze Haus aufgeräumt. Per Zufall habe ich zu meinem Entsetzen festgestellt, dass trotz hoher Gluttemperaturen unsere Blätter, die wir verbrannt haben, manchmal nicht zerfallen und zu Asche geworden sind. Man könnte also mit viel Akribie Teile unserer ‘Unterhaltung’ immer noch lesen. Ich schlage vor, dass wir in Zukunft alle Blätter in kleine Fetzen zerreißen und sie durcheinander ins Feuer werfen, mit Glut überdecken und nach dem Erkalten nochmals zerreiben. Sicher ist sicher. Ich kann dir sagen, dieser ganze Versteckzirkus geht mir gewaltig auf die Nerven. Mindestens noch acht Monate müssen wir uns so verständigen, und wenn Raoul länger braucht bis zu seiner Ankunft, entsprechend mehr. Deshalb habe ich eine Idee ausgearbeitet, ganz à la française …“

      „Ja, da mache ich mit, ich habe nach dieser Woche der Enthaltsamkeit sowieso einen ziemlichen Nachholbedarf. Ui, ganz geheim: Das Feuer brennt, leg los!“

       Wir verschwinden für ein paar Tage irgendwohin, wo

      sie uns nicht finden können. 

      