„36 Stunden?“
„Ja Paul, in anderthalb Tagen werden wir Sie hier klonen, kommen Sie, ich zeige es Ihnen, es ist ganz oben in der 42. Etage. Nehmen wir für die 39 Etagen den Lift oder gehen wir zu Fuß? Wieder ein kleiner Scherz, die Sache mit der Erlaubnis des Gesundheitsministeriums hat mich in Hochstimmung gebracht. Vier lange Jahre mussten wir warten, überhaupt etwas Offizielles zu hören und dann gleich das Maximum. Das ist China. Wir haben auch Vieles getan, um sie positiv zu stimmen. Spontanidee: Wir halten im 27. Stock, dort zeige ich Ihnen ein Geheimnis, das Sie bitte niemandem, wirklich niemandem verraten!“
„Ehrenwort! Wir sind doch demselben Projekt verpflichtet.“
„Und mir!“
„Klar, wie konnte ich das vergessen.“
„Schauen Sie hier durch die Glasscheibe, wir gehen nicht rein, vor dem Essen möchte ich Ihnen den Geruch ersparen. Was sehen Sie?“
„Glascontainer, in denen es brodelt. Ich habe mal eine Brauerei besichtigt, dort sieht es ähnlich aus, vielleicht etwas grösser.“
„Sehen Sie die Beschriftungen?“
„Leider in Chinesisch.“
„Oh sorry, das hätte ich wissen müssen. Also, hier stehen alle Namen der chinesischen Führungselite, genau 217.
Manche haben drei Gefäße, das ist die Regierung.“
„Sie brauen ein Spezialbier für die Bonzen?“
„Schön, dass auch Sie Spaß machen können! Hier erhalten wir in einer Spezialflüssigkeit die DNA unserer wichtisten Leute. Wenn ihnen etwas passiert oder sie krank werden, können wir blitzartig mit Ersatzzellen reagieren und sie verdoppeln. Das nennt man DNA-Replikation. Sie werden eingespritzt und reparieren genetische Fehler, etwa wie man ein Schlagloch in einer Straße mit Teer repariert. Das ist die eine Aufgabe. Ab dem 70. Geburtstag erhält jeder alle vier Monate präventiv eine Dosis, denn wir haben festgestellt, dass diese Reparatureigenschaften bis ins hohe Alter problemlos funktionieren.“
„All das haben Sie entwickelt?“
„Ja, mein Mann und ich. Wir nutzen schon lange dieses Wissen und wenden es an. Auch bei Ihnen! Nur viel komplexer, ich erkläre es Ihnen nach dem Essen.“
„Und warum haben Sie keinen von den Parteibonzen als Klongeber genommen? Sie haben doch schon alles von ihnen?“
„Ja, ja, daher auch die Spannungen mit ihnen. Ich wollte nicht, dass es einen weiteren autoritären, herrschsüchtigen und unnahbaren Menschen ihrer destruktiven Art gibt. Sie sind gefühllos, eiskalt berechnend und gehen skrupellos über Leichen. Diesen Satz habe ich nie gesagt - okay? Ich habe argumentiert, dass eine gewisse Lebensgefahr beim kompletten DNA-Transfer existiert, daraufhin haben sie sich zurückgezogen. Ich bin aber sicher, dass sie mich in die Pflicht nehmen werden, wenn die Sache mit Ihnen klappt. Dann muss ich eine zweite Regierung klonen, die sie dann irgendwo in einem stillgelegten Bergwerk versteckt halten, um jederzeit Ersatz für sich zu haben. Davor habe ich Angst. Riesige Angst. Es wäre ein Schritt in die falsche Richtung, denn wir wollten ausschließlich positive Menschen produzieren.“
„Nobel hat das Dynamit auch erfunden, um der Menschheit zu helfen …“
„Ja, ich ahne es. Ich werde mich mit allen Mitteln wehren, auch mit ungesetzlichen, wenn es denn sein müsste.“
„Bravo, bravo! Wir sind auf derselben Wellenlänge!“
„Ja, das haben wir von vorneherein gewusst.“
„Gibt es von Ihnen auch solche DNA-Behälter?“
„Nein, um Gottes Willen, ich möchte Mensch bleiben und so natürlich wie möglich sterben. Einzige Ausnahme: Wenn ich eine Krankheit bekäme, die ich dadurch schnell heilen könnte, würde ich es tun, aber endlose Transfers würde ich ablehnen.“
„Zum Beispiel Demenz?“
„Ja, das würde ich tun. Wir haben bereits erste Erfahrungen …“
„… mit der Führungsspitze?“
„Ja, ja, kommt dort häufiger vor. Wir brauchen nur vier bis sechs Injektionen und in sechs Monaten merkt man fast nichts mehr. Und es gibt auch keine Rückfälle.“
„Elisabeth! Sie haben den Schlüssel zum Heilen einer der häufigsten Krankheiten! Sie müssen Ihr Wissen an alle weitergeben!“
„Dann bin ich tot.“
„Die da oben?“
„Ja, die da oben.“
„Und für Raoul wird es auch ein Gefäß geben?“
„Oh ja, ein großes für ihn und ein kleines für Sie. Man weiß ja nie.“
„Schön, das zu wissen. Und hilft diese DNA-Reparaturflüssigkeit auch bei gebrochenen Herzen?“
„Was Sie jetzt als Scherz gesagt haben, war für mich eine reale Idee nach dem Tod meines Mannes. Ich habe überlegt, ob ich meine endlosen Depressionen damit heilen können würde, doch vorherige Tierversuche haben gezeigt, dass das Regenerationsprogramm nur über die Zellvermehrung läuft, folglich können nur äußere Schäden durch Wasser, Sauerstoff, UV-Strahlung, ja selbst Nikotinablagerungen beseitigt werden. Die Seele muss der Mensch halt noch selbst reparieren - falls er dies will und kann. Ich habe es versucht mit bewusstem Stress in überbordender Arbeit. Das hilft tatsächlich, solange man darin steckt, aber wehe, wenn man dann mal eine Pause hat oder längere Zeit alleine ist, dann drängen die bösen Gefühle aus allen Ecken des Körpers hervor, wo sie sich versteckt hielten, bis sie nicht mehr unterdrückt sind. Peng sind sie da und zu allem Übel alle auf einmal in immer stärker werdender Intensität. Dann denkt der Mensch kaum mehr logisch, er agiert unter dem Eindruck von gewaltigen negativen Energien. Natürlich meistens falsch, was alles nochmals negativ verstärkt. Wenige wissen das. Die meisten meiner Mitarbeiter sind Chinesen, die sich kaum um die Gefühle ihrer Mitmenschen kümmern. So musste ich mich nie verstecken, wenn es mir dreckig ging. Diese Erfahrungen haben bewirkt, dass ich als nächstes Projekt, nachdem ich das Klonen an meine Stellvertreter übergeben habe, die Emotionalität des Menschen korrigieren möchte. Ich sammle schon fleißig Fachartikel. Auch dort stehen wir ganz am Anfang. Und das ist gut, dann kann ich etwas bewirken.“
„Wow, ich erstarre vor Ehrfurcht. Danke für die Ehre, ganz vorne dabei sein zu dürfen.“
„Sie sind ein Schmeichler, aber das gefällt mir. Mein Verflossener hat entweder gar nicht oder nur rein wissenschaftlich-sachlich reagiert. Er hätte der erste sein können, dem ich positive Emotionalität eingeflößt hätte.
„Dann könnten Sie ja zu Versuchszwecken eine Kanüle mehr von mir abzapfen, sie mit positiven Ionen versetzen und einem Tier einflössen. Vielleicht kann schon dadurch ein Schwein glücklicher gemacht werden.“
„Jetzt reagieren Sie ganz wie mein Mann, guter Einfall, aber ganz so einfach ist es dann schon nicht. Ich gehe davon aus, dass ich zuerst die Grundlagen von defekten Reparatur-Enzymen und deren Mechanismen … nein! Stopp! Ich möchte Ihnen nicht den Abend verderben mit wissenschaftlichen Exkursen, die erstens noch Fiktion und damit ungesichert sind und Sie zweitens langweilen müssen, weil sie nichts verstehen können. Wir gehen jetzt gemütlich essen und lassen alles Wissenschaftliche im Lift. … Themenwechsel. Schon als Teenager habe ich geträumt, einmal mit einem besonderen Mann stundenlang im Fahrstuhl stecken zu bleiben …“
„Ist mir einmal passiert … mit meiner Mutter. Ich habe daran schmerzliche Erinnerungen, denn ich hätte schon vorher dringend pinkeln müssen, aber es hat über eine Stunde gedauert, bis wir befreit endlich wurden.“
„Sie sind mir einer, wieder gewinnt die Sachlichkeit und die Emotionen