Raoul! So wertvoll warst du mit Abstand noch nie für mich! Es wird Zeit, dass es dich bald gibt.
Die Zahl des Morgens
„Guten Morgen Paul! Es ist schon spät und ich habe Neuigkeiten für dich! Gleich drei Stück. Also, während du wach wirst, kannst du schon mal zuhören und denken.
Numero eins: Unsere Gartenmauer mit diesen dummen drei Wörtern ist auf der Titelseite der Stadtzeitung.
Zweitens: Die Polizei hat angerufen. Sie haben den Täter, der das Bild selbst der Redaktion übermittelt hat. Überraschung! Es ist eine junge Pfarrerin, die schon ein paar Mal Mühe mit ihren Chefs gehabt hat.
Und drittens: Ich habe deinen historischen Computer abgeschaltet und alles zu mir weitergeleitet, zwischen Bildschirm und Tastatur hatte nämlich eine Kreuzspinne ein fettes Netz gebaut. Wir sind nun à jour, das brauchen wir auch, denn die neuesten Zahlen werden dich auf einen Schlag hellwach machen: Über Nacht haben unser erstes Video - na, wie viele Menschen gesehen? Rate mal!“
„Tausend.“
„Mehr!“
„Na, dann halt fünftausend.“
„Falsch, falsch, falsch: es waren einhundertsiebzigtausendvierhundertzwölf! Stell dir das mal vor! Jetzt bist du weltberühmt, sogar der amerikanische Präsident hat weitaus weniger User. Jetzt haben unsere Chinesen sicher Stress, denn sie bedanken sich bei jedem und beantworten die sechstausenddreihundert Mailanfragen individuell. Das meiste wird wohl mit generierten Texten übermittelt, aber Arbeit ist es dennoch. Und sie haben deine Unterschrift aus dem Vertrag kopiert und benutzen sie bei jeder Antwort. In allen Sprachen dieser Welt. Gratulation, du hast extrem schnell dein Sprachenmanko aufgeholt. Was heißt denn ‚Guten Morgen‘ auf Mongolisch?
Ach ja, die Polizei will wissen, ob du Strafanzeige gegen die Pfarrerin stellst? Sie wohnt hier gerade um die Ecke und muss dich wohl kennen. Ich schlage vor, dass wir verzichten, sie muss aber zu uns kommen und ein klärendes Gespräch mit dir führen. Du nickst. Tipptopp. Wann soll sie kommen?“
„Jetzt, zum Frühstück. So einen Scheiß sollte man schnell aus der Welt schaffen.“
„Mach dich fertig, ich rufe an.“
Das Netz verbindet
„Paul beeil dich, sie kommt in einer halben Stunde! Ich decke den Tisch, hole Croissants und Pains au Chocolat und schneide draußen ein paar Blumen. Und während sie da ist, hole ich den Anzug und ein paar Zeitungen. Und lies bitte noch ein paar dieser Mails, es werden immer mehr auf Deutsch.“
*hallo du irrer, wenn ich deinen krummen und faulen körper sehe, kommt mir nur eine frage in den sinn: lohnt es sich, gammelfleisch zu klonen?*
*Sehr geehrter Herr Paul, dürfen meine Kollegin und ich bald für eine Stunde vorbeikommen, um ein ausführliches Interview für unsere Schülerzeitung „Abi-Tour“ zu machen? Wir würden auch einen selbstgebackenen Kuchen mitbringen. Sie können wählen zwischen Schwarzwälder Torte und Apfeltaschen. Wir freuen uns auf Ihre Zusage! Suleika und Jasmina*
*Lieber Herr Paul, mein verstorbener Mann war in Ihrem Alter und hatte durchaus Ähnlichkeit mit Ihnen. Wäre es möglich, dass ich Raoul nach der Klongeburt kennenlernen könnte? Vielleicht entsteht dabei eine gewisse Zuneigung, aus der wir mehr machen könnten.
In Erwartung und Sehnsucht. Möge Gott Ihnen beistehen und Ihre Wünsche erfüllen! Katharina aus Polen*
„Herein! Ja, guten Morgen. Sie kommen gerade richtig. Lesen Sie hier, Katharina wünscht mir genau das Gegenteil wie Sie! Oh, ich glaube, ich habe Sie schon einmal gesehen. Sind Sie nicht die Zeitungsausträgerin?“
„Ebenfalls einen guten Morgen! Nein, nein, ich habe nur hie und da den Kirchenboten in Ihren Briefkasten gesteckt in der Hoffnung, dass Sie einmal zu uns kommen.“
„Da wird nichts draus, mit dem da oben hatte ich noch nie was am Hut!“
„Sie glauben also an gar nichts?“
„Doch! An die Logik des Menschen, der sicher einen Teil der Erde zerstört hat, aber schlussendlich doch genial und selbstbestimmt als einziges Wesen weit und breit agiert.“
„Tja, leider höre ich solche Scheinargumente in letzter Zeit immer häufiger, damit begründen vor allem Jüngere ihren Kirchenaustritt.“
„Und S i e wollen mich bewegen, zum christlichen Glauben zu finden, indem Sie dümmliche, pubertäre Schmierereien an meinem Haus anbringen?“
„Oh nein, das ist was ganz Anderes. Ich habe es aus tiefster Überzeugung getan, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Sie etwas total Gefährliches vorhaben! Sie stellen sich auf dieselbe Stufe wie Gott und wollen Leben schaffen.“
„Gott hat kein Leben erschaffen, das ist alter, längst belegter falscher Glaube. Die Menschheit hat sich durch die Evolution, ausschließlich durch die Evolution entwickelt. Sie müssen jetzt nicht heftig den Kopf schütteln, die Augen entsetzt aufreißen und mit Ihrer Gestik demonstrieren, dass ich ein Spinner bin. Die Kirche hat in der Regel den Fortschritt blockiert und stets versucht, ihn sogar zu verhindern. Der Vatikan hat vierhundert Jahre gebraucht, um zu akzeptieren, dass die Erde keine Scheibe ist. Kolumbus hatte Schwierigkeiten mit dem Papst, weil er einen neuen Kontinent entdeckt hatte, Frauen dürfen selbst heutzutage noch kein Priesteramt ausüben - und da ist es ganz logisch, dass Sie gegen alles sind, was die Welt zum Positiven verändern wird.“
„Sie machen einen kleinen Denkfehler! Ich bin nicht katholisch, sonst wäre ich nicht Pfarrerin, ich bin evangelisch und reformiert …“
„Das ist nicht viel anders …“
„… wir sind weltoffener, beweglicher und näher an den Menschen. Wir wollen nicht die Macht über die Menschen, wir wollen sie in ihrem Leben geistig und seelisch unterstützen.“
„Und deshalb sprayen Sie katholische Botschaften?“
„Die Verhinderung von Klonen betrifft alle Religionen, Gott ist unfehlbar …“
„… und bewirkt, dass es Missgeburten, Fehlgeburten, verdammt viele Kinder mit angeborenen Krankheiten gibt. Und das wird Klonen vermeiden! Zugegeben, wir sind erst am Anfang - vielleicht bin ich selbst nicht das Maximum als Klongeber. Aber spätestens in zwei Jahrzehnten wird es nur gesunde Kinder geben, Eltern werden dann mitbestimmen können …“
„… und da ist der Haken! Nicht der Mensch soll mitbestimmen, Gott, und nur ihm, darf überlassen werden, wer, wie und wo entsteht. Ihre Chinesen könnten, weil sie als erste diese Technik beherrschen, die Welt in ihrem Sinne verändern und Millionen von ihnen klonen und vielleicht nur noch angeklonte Eigenschaften als furchtlose Krieger produzieren, denen der Tod egal ist. Oder Reiche lassen sich nur Kinder herstellen, die groß sind, blond mit blauen Augen und langen Haaren …“
„… und großem Busen …“
„Das haben Sie gesagt. Ja, aber so wird es laufen. Der Mensch wird mal wieder ohne die nötige Moral sein und ausschließlich egoistisch mit sicherlich unchristlichen Zielen die eigene Spezies verändern bis sie sich selbst zugrunde geklont haben wird.“
„Halleluja, jetzt reden Sie doch wie der Papst.“
„Oh ja, alle geistlichen Führer der