Rayan - Sohn der Wüste. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия: Rayan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000375
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attraktiv fand, machte er lieber einen Bogen um sie.

      Doch das änderte sich an diesem Tag.

      Er war gerade in das nächste Gebäude, einen Lagerraum, geschlüpft, um dem ärgerlichen Leutnant zu entkommen, da stand sie wie aus dem Nichts plötzlich vor ihm.

      „Du bist Yasin“, stellte sie nüchtern fest und musterte ihn aus spöttisch blickenden, hellblauen Augen an. „Ja“, antwortete er und wollte sich abwenden, um zu gehen. „Ich bin Clara und ich habe dich beobachtet.“ „Und?“, fragte er mürrisch. Es war ihm gar nicht recht, wenn sich ausgerechnet die Tochter des Generals für ihn interessierte.

      Er war es gewohnt, dass sich Mädchen nach ihm umsahen und je nachdem ob sie ihm ebenfalls gefielen, war er einem Flirt nicht abgeneigt.

      Vor dieser jungen Dame wollte er aber lieber so schnell wie möglich Reißaus nehmen. „Du studierst die Kämpfer beim Trainieren und so lernst du. Ich habe gesehen, wie du die Übungen nachgemacht hast. Sehr beeindruckend übrigens.“

      Rayan erschrak. Er fühlte sich ertappt. Das konnte ihm eine Menge Ärger einbringen. Ärger und Aufmerksamkeit war das, was er am wenigsten brauchen konnte.

      „Keine Angst, ich verpetze dich nicht. Auch ich darf hier nirgendwo richtig mitmachen. Männerwelt! Pah! – Ich bin 17 Jahre alt und versauere in einem Stützpunkt am Ende der Welt … Hör zu, ich möchte dir einen Deal vorschlagen: Du bringst mir einige deiner Tricks bei und ich übe mit dir, dein Englisch zu verbessern.“

      Anfangs zögerte er noch, doch Clara machte ihm wenig charmant klar, dass er keine Wahl hatte.

      Und so entstand aus einer kleinen Erpressung schnell eine enge Freundschaft.

      Es war seltsam für Rayan, eine weibliche Freundin zu haben. Vermutlich aufgrund seines jungen Alters war es bisher in seinen Beziehungen zu Frauen ausschließllich um sexuelles Verlangen gegangen.

      Von klein auf waren in seinem Stamm die Mädchen separat aufgewachsen. Sie hatten nicht an den Übungen der Jungen teilgenommen. Auch ihr Unterricht war separat. Hatten sie überhaupt Unterricht? Wenn er ehrlich war, hatte er sich nie dafür interessiert. Und da er Zarifa bereits mit 13 Jahren verlassen hatte, hatte er auch nicht so richtig Gelegenheit dazu gehabt, sich für die Mädchen seines Stammes oder ihre Gewohnheiten zu interessieren.

      Clara war so anders. Sie war vor allem emanzipiert. Wehe, er sagte, sie könne eine Übung nicht nachmachen, weil sie eine Frau war, dann wurde sie richtig wütend und er stellte überrascht fest, dass sie dann richtig hübsch aussah.

      Am meisten gefiel ihm jedoch, dass Clara Tanner sehr intelligent war. Durch die Position ihres Vaters hatte sie Zugang zu vielen Unterlagen und Büchern, die er mit ihr gemeinsam förmlich verschlang. Er sog das Wissen wie ein Schwamm in sich auf und dabei wurde sein Englisch auch immer besser. Bald machte er kaum noch Fehler beim Sprechen, lediglich mit dem Schreiben hatte er Probleme. Nachdem er lange Englisch von seiner Großmutter nach dem Gehör gelernt hatte, verwirrte ihn die Schreibweise.

      Er brachte Clara auch ein paar Sätze auf Deutsch bei, das er ebenfalls von seiner Großmutter gelernt hatte und das er mit ein bisschen Übung sogar fast ohne Akzent sprach.

      „Du hast eine Begabung für Sprachen“, sagte Clara immer wieder, „das musst du ausnutzen.“

      Ab und zu musste er für einige Tage zu einem Einsatz in die Wüste, die meiste Zeit jedoch machte er nur kurze Erkundungen in der näheren Umgebung. Von dem alten Führer, seinem Vorgänger, hatte er nie wieder etwas gehört, vermutlich hatte er die Krankheit nicht überlebt.

      Rayan kannte die Tücken von schlechtem Wasser und er ging bei einer unbekannten Quelle nie ein Risiko ein, sondern vergewisserte sich sorgfältig. In dieser Hinsicht hatte er seiner Erziehung und den Lehrern in Zarifa viel zu verdanken, was ihm nun nützlich war.

      „Der Leutnant war gestern bei uns zum Abendessen. Er hat über dich gesprochen“, erzählte Clara ihm eines Tages im September. „Du hättest den ganzen Trupp gerettet, hat er gesagt. Mein Vater war sehr interessiert. Du bist nun also berühmt.“ Sie grinste. Sie wusste genau, dass er eben das nicht wollte. Yasin sprach nie von seiner Vergangenheit und von seiner Familie wusste sie so gut wie nichts. Während sie andere Themen manchmal stundenlang diskutierten, wurde er bei diesem Thema verschlossen und still.

      „Wie machst du das?“ – „Was?“ – „Dass du so genau weißt, wann das Wetter umschlägt, wann ein Sturm kommt … ich bin lange genug hier, um zu wissen, dass die großen Sandstürme meist völlig plötzlich auftreten.“ Am Vortag war er es gewesen, der den Trupp dazu gebracht hatte rechtzeitig umzukehren, weil ein Sturm kommen würde. Einige der Soldaten hatten ihn für verrückt erklärt, denn am Himmel war keine Spur davon zu sehen. Doch der Leutnant, ein blonder rundlicher Texaner, vertraute in seine Fähigkeiten und kam seiner Empfehlung nach. Wofür hatten sie schließlich sonst einen Wüstenführer? Sie hatten mit ihren Fahrzeugen gerade noch die Stadt erreicht, als der Sturm mit voller Wucht losbrach.

      Rayan starrte verlegen auf den Boden. „Ich kann es dir wirklich nicht sagen, das musst du mir glauben. Ich weiß es einfach. Es ist, als ob die Wüste mit mir spricht …“ Er blickte auf, weil er erwartete, dass Clara ihn auslachen würde, doch sie schaute ihn mit ihrer ruhigen Art interessiert an: „Erzähl mir mehr davon.“

      „Naja“, stammelte er. „Ich bin in der Wüste geboren, mitten während eines Sandsturmes. Meine Eltern waren unterwegs, als der Sturm plötzlich losbrach und sie zwischen einigen Felsen Schutz suchten. Diese Pause habe ich genutzt um drei Wochen zu früh das Licht der Welt zu erblicken“, er lächelte verlegen. Er sprach nicht gerne über seine Vergangenheit. Aber er wusste auch, dass bei Clara alle seine Geheimnisse gut verwahrt blieben.

      Für sich dachte er, dass es eigenartig war, gerade heute darüber zu sprechen, denn am Vortag war sein 17. Geburtstag gewesen. Clara hatte er dieses Datum allerdings nicht mitgeteilt, sodass sie nichts davon ahnte.

      „Ich möchte dich gerne meinem Vater vorstellen“, sagte sie unvermittelt. Rayan dachte, sich verhört zu haben. „Was?! Du spinnst wohl?!“

      „Hör zu. Ich will ihnen nur endlich zeigen, mit wem ich meine ganze freie Zeit verbringe. Sie denken schon ich mache verbotene Dinge“, sie grinste spöttisch. „Stell dir vor, mein Vater erwischt uns in flagranti.“

      „Aber wir haben noch nie …“ begehrte Rayan auf. Clara grinste weiter „aber wir könnten. Zumindest könnte mein Vater das Denken, wenn er uns so heimlich herumtuscheln sieht.“

      „Nein! Und dabei bleibt es!“, machte Rayan seinen Standpunkt klar.

      Doch einige Wochen später hatte sie ihn natürlich weichgeklopft.

      2014 - In der Wüste nahe Dubai – Eine grausige Entdeckung

      Carina war außer sich vor Freude! Endlich waren sie wirklich unterwegs. Die Karawane bewegte sich langsam und behäbig vom Sammelplatz weg in die offene Wüste hinein. Was für ein Glück hatte sie gehabt, dass sie Hatem gefunden hatte. Dies musste einfach Schicksal sein.

      Sie war gerade damit beschäftigt, sich an der Schönheit der aufgehenden Sonne über dem Sand zu erfreuen, als sie vor sich Unruhe bemerkte. Die anderen Mitglieder der Karawane schienen auf einmal nervös ihren Trott zu beschleunigen.

      Und bald sah sie den Grund: direkt am Wegrand war etwas angebracht worden. Ein Monument? Hier mitten in der Wüste?

      Als sie näher kamen, packte sie das Grauen und sie konnte die Nervosität der anderen Reiter verstehen. Das war ein Mensch, der da hing!

      Jemand hatte ihn an Holzpfählen befestigt, in circa zwei Meter Höhe, damit jeder der hier vorbei ritt, ihn anschauen musste. Er schien tot zu sein.

      Wie er aussah! Sein Körper war blutüberströmt, er war sowohl ausgepeitscht worden, schien aber auch mit einem Messer misshandelt worden zu sein. An einigen Stellen des Körpers schien die Haut eingeschnitten und abgezogen worden zu sein. Aus diesen klaffenden Stellen war das Blut über den ganzen Körper