Rayan - Sohn der Wüste. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия: Rayan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000375
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handelte.

      „Also gut, hören Sie zu. Morgen früh geht hier eine Karawane los. Wie Sie von Ihrem sauberen Freund vorhin schon gehört haben, müssen tatsächlich alle, ob mit dem Pferd oder dem Kamel, via Wahi reiten. Ich schaue einmal, ob ich etwas für Sie arrangieren kann. Aber ich verspreche nichts!“

       Und die beiden verabredeten sich für den Abend. Carina sollte kurz vor Einbruch der Dunkelheit noch einmal zu ihm an den Laden kommen.

      1990 - Rabea Akbar - Eine neue Rangordnung

      Im Oktober 1989 hatte Rayan die Gebirge rund um Zarifa verlassen.

      Da er das Bergland und auch die umliegenden Wüstengebiete kannte wie seine Westentasche, war es kein Problem gewesen, sich zur nächsten Oase durchzuschlagen. Dort hatte er sich einer Karawane nach Rabea Akbar angeschlossen. Rabea Akbar lag südlich von Zarifa, gehörte noch immer zum Gebiet der Rub’al Khali - Wüste. Ursprünglich war es eine große Oase gewesen, wie so viele andere Orte auch, aus der sich dann im Laufe der Zeit eine Stadt entwickelt hatte.

      Der Karawanenführer, der selber drei Söhne daheim hatte, hatte Mitleid mit ihm gehabt und ihn als „Hanta“ mitgenommen. Hanta nannte man dort die Männer, die die Kamele versorgten. Meist handelte es sich um Jungen wie Rayan, die sich so die Passage verdienten, obwohl sie sich kein eigenes Kamel leisten konnten.

      In Rabea Akbar hatte er einige Tage die Gegend erkundet. Er war zuvor noch nie dort gewesen. Er hatte Zarifa bisher lediglich zwei bis dreimal verlassen, um die Männer bis zu den umliegenden Oasen zum Handeln zu begleiten.

      „Dein Englisch ist gut, geh nach Rabea Akbar zu den Amerikanern“, hatte sein Großvater ihm geraten. Bevor er Rayans Großmutter kennengelernt hatte, hatte er als Hanta und als Wüstenführer im amerikanischen Stützpunkt in Rabea Akbar gearbeitet.

      „Bei den Amerikanern bist du sicher, da interessiert sich kein Mensch dafür, wo du herkommst. Und deine Augenfarbe wird dort auch nicht so auffallen wie überall anders. Du solltest aber vorsichtshalber deinen Namen ändern. Nenn dich Yasin – das war der Name meines Vaters, also deines Urgroßvaters.“

      Und zum zweiten Mal hatte er Glück gehabt. Als er Anfang des Jahres 1990 im Januar in Rabea Akbar ankam, war der Führer, den sie dort sonst angestellt hatten, überraschend schwer erkrankt. Vermutlich aufgrund schlechten Wassers, sodass der amerikanische Sergeant, der für die Wüstenerkundungen zuständig war, schnell Ersatz brauchte und kaum Fragen stellte. Im Gegensatz zum alten Führer schien dieser hochgewachsene Junge einigermaßen gut Englisch zu verstehen, was die Kommunikation erleichterte.

      So kam Rayan, der sich jetzt tatsächlich Yasin nannte, zu einem kleinen Schlafplatz im Stützpunkt, gleich neben den Baracken der Soldaten.

      Es fiel ihm nicht schwer sich anzupassen, jedoch gab es einen Punkt, der ihm anfangs sehr zu schaffen machte: Als Prinz der Wüste geboren, war er es gewohnt, dass die Bediensteten sich vor ihm verneigten. Nun war es an ihm, sich vor seinen amerikanischen Herren zu verneigen. Das kränkte seinen Stolz. Vor allem, weil einige der Soldaten den Eingeborenen gegenüber eine Arroganz an den Tag legten, die ihn innerlich kochen ließ. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Gefühle zu bezwingen und er peinigte sich in diesen Momenten selbst, indem er sich ins Gedächtnis rief, dass er keineswegs mehr der Sohn eines Fürsten war, sondern ein Ausgestoßener, Heimatloser, ja ein Verräter.

      Er konnte froh sein, dass alle ihn für tot hielten. Er hatte es schon erlebt, wie Verräter gebrandmarkt wurden, bevor man sie ins Exil schickte. Diese Männer waren Freiwild für alle und in der Rangordnung an unterster Stelle. Insofern konnte er also zufrieden sein und musste von seinem hohen Ross herabsteigen.

      2014 - Am Stadtrand von Dubai - Auf ins Abenteuer

      Als die Karawane endlich loszog, fragte sich Hatem zum hundertsten Male, ob er das Richtige tat. Doch er tröstete sich damit, auf die Kette der Frau verweisen zu können. Bewies er nicht gerade dem Scheich einen großen Dienst? Schließlich sorgte er dafür, dass sie wohlbehalten ankam.

      Er hatte gleich nach dem Gespräch am Nachmittag den Karawanenführer ausfindig gemacht und mit ihm gesprochen. Doch der hatte sich kategorisch geweigert eine Frau – eine Ausländerin, die seine Sprache nicht verstand! - alleine mitzunehmen. Seine Verantwortung lag bei der gesamten Gruppe, da konnte er keinen brauchen, der im Notfall nicht verstand, was er anwies.

      Somit hatte sich Hatem kurzerhand auf ein waghalsiges Abenteuer eingelassen, seinen Laden zugesperrt und Vorbereitungen für sie beide getroffen. Wie Carina vermutet hatte, glaubte er fest an Schicksal und dass Allahs Wege vorherbestimmt waren. Die Geschichte mit der zufälligen Bekanntschaft konnte er einfach nicht glauben. War er somit nicht sogar noch ein Instrument Allahs? Doch er wollte nicht blasphemisch werden …

      Und außerdem: Was konnte schon passieren? Wahrscheinlich würden die Krieger des Scheichs ohnehin schon weg sein, bis sie ankamen. Sie hatten immerhin 24 Stunden Vorsprung. Außerdem bestand die Karawane aus circa 300 Kamelen, sie würden im Vergleich zu den Reitern erheblich langsamer sein!

      Sie hatten sich eine Stunde vor Tagesanbruch getroffen, um sich zusammen mit den anderen Reitern in die lange Reihe von Kamelen einzureihen.

      Wenigstens schien die Frau etwas vom Reiten zu verstehen und es war auch offenbar nicht ihr erster Kamelritt. Ein beruhigendes Vorzeichen!

      Es dauerte eine ganze Weile, bis alle sich gefunden und eingereiht hatten – dann ging es los!

      Sie waren bereits außerhalb der Stadt und waren daher in wenigen Minuten in der offenen Wüste.

      1990 - Rabea Akbar – Clara

      Wenn Rayan frei hatte, liebte er es, den Soldaten bei den Übungen zuzusehen, vor allem beim Kampf- und Waffentraining.

      Er sah ganz genau zu, um sich möglichst viel abzukucken. Heimlich, wenn keiner ihn sah, übte er dann, was er gesehen hatte. Nachdem er seit frühesten Kindesbeinen an durch seinen Vater und die anderen Kämpfer in Kampf- und Waffentechniken ausgebildet worden war, fiel es ihm nicht schwer, den größten Teil der Übungen durch reines Beobachten aufzunehmen und später nachzumachen und einzustudieren.

      Was die Waffen anging, musste er sich natürlich mit „Ersatzwaffen“ wie Stöcke oder Steine behelfen. Es war ihm als Einheimischen verboten, die Waffen anzufassen oder bei den Ausbildungen offiziell mitzumachen.

      Ab und zu machten sich die Soldaten über ihn lustig „schau da ist wieder unser kleiner Spion, vermutlich ist er von den Scheichs beauftragt“ und „na, lernst du auch fleißig, wie es geht?“ – „Willst du mal mitmachen?“ – einer sagte immer „wartet mal ab, in ein paar Wochen zeigt er euch, wie es geht.“ Und sie lachten, weil sie dachten, einen besonders guten Witz gemacht zu haben. In Wirklichkeit war es so, dass Rayan schnell herausgefunden hatte, dass der größte Teil der Männer die Trainingseinheiten entweder aus Langeweile machte oder einfach weil sie mussten. Es waren kaum wirklich gute Kämpfer unter ihnen. Die meisten hätte er trotz seines jungen Alters schnell besiegt, oder vielleicht gerade deshalb, denn er brannte im Gegensatz zu ihnen vor Eifer.

      Anders war das bei den Trainingseinheiten der Spezialeinheit. Da ging es ernst zu. Doch die ließen Zuschauer nicht zu und er musste aufpassen, nicht erwischt zu werden.

      Derartige Spezialeinheiten waren das Resultat des ersten Golfkrieges zwischen Iran und Irak. Sie wurden nach den Unruhen in mehreren abgelegenen Regionen installiert, um entsprechend ausgebildete Truppen im Notfall direkt vor Ort zu haben.

      Als Rayan einmal auf der Flucht vor einem Leutnant war, traf er Clara.

      Er hatte sie schon von Weitem gesehen, vor allem sonntags auf dem Weg in die Kirche des Stützpunkts. Ein hochgewachsenes, schlaksiges Mädchen, viel zu groß nach ihrem eigenen Geschmack. Mit 1,85 überragte sie die anderen jungen Frauen alle und die meisten Jungen noch dazu. Außerdem war sie dünn. Die glänzenden, rotbraunen Haare trug sie schulterlang und hatte sie meist mit