Ohne eine Antwort abzuwarten, streckte er die Hand nach ihrem neuen Amulett aus. Doch noch bevor sie ihren üblichen Protest für diese Fälle äußern und sich abwenden konnte, verharrte die Hand des Händlers in der Luft. Dann zog er auf einmal seine Hand zurück, als hätte er sich die Finger verbrannt. „Verzeihen Sie bitte, meine Dame, dass ich Sie belästigt habe“ und er verneigte sich vor ihr und verschwand in seinem Laden.
Da fiel es ihr auf einmal wie Schuppen von den Augen. Sie hatte noch immer die Kette mit dem Emblem des Scheichs um den Hals. Ganz wie dieser Mazin es empfohlen hatte, hatte sie diese nicht abgelegt. Weniger, weil sie sich eine Wirkung erhoffte, als vielmehr weil sie das Schmuckstück für einen Glücksbringer auf ihrer Suche gehalten hatte. Sie konnte kaum glauben, dass der Einfluss des Scheichs offenbar so weit reichte.
Aber das konnte ihr nur nützen.
Ein Stück weiter auf der anderen Seite des Marktes fand sie einen Taxistand und gab dem Fahrer die Adresse der Anwaltskanzlei.
2014 - Dubai – Ausgerechnet ein Anwalt
Bald erkannte sie, dass der Fahrer das Taxi in die noble Gegend der Stand lenkte. Die Straßen wurden noch breiter, sauberer und leerer.
Fast ausschließlich teure Autos waren am Rande geparkt oder überholten sie in viel zu hoher Geschwindigkeit. Mit kostspieligen Wagen Wettrennen zu veranstalten, schien hier zum täglichen Vergnügen zu gehören.
An einem großen, weißen Gebäude mit großen Glasfenstern, dunklen Glastüren und goldenen Türgriffen hielt das Taxi an. Sie bezahlte den Fahrer und stieg aus. Die Umgebung war beeindruckend, der Luxus war überall förmlich zu riechen.
An dem Gebäude, vor dem sie stand, war auf einer schwarzen Marmortafel in goldenen Lettern der Name der Kanzlei angeschrieben.
"Die lassen dich nicht mal zur Tür rein!", dachte sie. Doch jetzt aufzugeben, kam nicht in Frage. Sie wollte es zumindest probieren. Jetzt, wo sie extra hierhergekommen war, würde sie auch nicht mehr umkehren. Sie holte tief Luft und öffnete die Tür. Ein Pförtner nickte ihr lediglich grüßend zu, bat sie, sich einzutragen und danach ging sie unbehelligt auf den Fahrstuhl zu.
Sie fuhr in die oberste Etage, die offenbar komplett vom Anwaltsbüro in Beschlag genommen wurde, wie ihr ein Schild im Inneren des Aufzugs verriet. Als sie aus dem Fahrstuhl trat, fiel ihr zunächst die angenehme Temperatur auf und dann die tiefen teuren Teppiche, die jeden Schritt verschlangen.
An den Wänden hingen Bilder, die wohl den teuren Eindruck unterstreichen sollten. Sie kannte den Künstler nicht und konnte daher den Wert nicht abschätzen. Aber zugegebenermaßen hatte sie auch sonst keine große Ahnung von Kunst.
Eine europäisch gekleidete Dame kam sofort mit einem freundlichen Lächeln auf Carina zu und begrüßte sie auf Englisch: „Wie kann ich Ihnen helfen? Haben Sie einen Termin mit einem unserer Anwälte?“
„Nein, ich habe leider keinen Termin, aber ich würde gerne mit Herrn Taib Riad sprechen, wenn dies möglich ist. Ich habe eine Nachricht für ihn.“
„Ich verstehe – einen Moment bitte.“
Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück und telefonierte von dort.
„Es tut mir leid, aber Herr Riad ist gerade auf dem Weg in ein Meeting, Sie möchten bitte die Nachricht bei mir hinterlassen.“
Doch Carina wollte auf keinen Fall den Brief aus der Hand geben. „Das geht leider nicht, sie ist für ihn persönlich.“
Die Dame hob skeptisch die Brauen, blieb jedoch immer noch äußerst zuvorkommend. „Ist es möglich, dass Sie mir mitteilen, von wem die Nachricht für meinen Vorgesetzten ist?“
„Von Scheich Rayan Suekran al Medina y Nayran persönlich“, antwortete Carina etwas stolz.
Der Dame war ihre Überraschung anzusehen, aber sie hatte sich sehr schnell wieder im Griff und fand zu ihrem entwaffnenden Lächeln zurück.
„Einen Moment bitte noch einmal“ – und wieder griff sie zum Telefon. Diesmal jedoch sprach sie länger.
Als die elegante Frau aufgelegt hatte, stand sie auf: „Herr Riad wird Sie nun empfangen, bitte folgen Sie mir.“
Carina konnte ihr Glück kaum fassen und ging eilig hinter der Assistentin her, den Gang zu ihrer Rechten entlang bis zum Ende, um die Ecke und wiederum bis zum Ende. Die Namen an den Büros, die sie passierten, verrieten, dass offenbar mehrere Anwälte für die Kanzlei arbeiteten.
Schon die Tür zu Taib Riads Büro ließ keinen Zweifel daran, dass dieses Büro größer und wuchtiger war als alle anderen.
Die Dame klopfte und führte Carina dann hinein. Ohne ein weiteres Wort verließ sie anschließend den Raum und schloss die Tür geräuschlos hinter sich. Einen Moment lang fühlte sich Carina verloren in dem großen Raum.
Er sprach sie in grammatikalisch einwandfreiem Englisch mit eindeutig amerikanischem Akzent an. „Guten Morgen. Mein Name ist Taib Riad. Sie haben eine persönliche Nachricht für mich?“ Sowohl seine Stimme als auch sein Blick verrieten, dass er Zweifel hegte. Er musterte sie von oben bis unten, dann blieb sein Blick auf der Kette haften, woraufhin er die Brauen runzelte.
"Ich mag diesen Kerl nicht", schoss es Carina durch den Kopf.
Auch sie musterte ihrerseits ihr Gegenüber. Er war nur etwa einen halben Kopf größer als sie, von sehr schlanker Statur, aber drahtigen Bewegungen. Er war eigentlich nicht einmal unattraktiv, aber der stechende, unstete Blick aus seinen schwarzen Augen lies vermuten, dass mit diesem Mann nicht zu spaßen war, weil er keinerlei Humor besaß.
„Na toll – und der soll mir weiterhelfen? Da friert eher die Hölle ein", dachte Carina bei sich, aber sie sagte nichts und lächelte tapfer weiter.
„Ist dies die Nachricht?“ Fragte er noch einmal höflich und Carina wurde sich bewusst, dass sie ihn sicherlich unhöflich angestarrt und sich außerdem noch nicht einmal vorgestellt hatte.
„Ja das ist sie. Entschuldigen Sie bitte. Mein Name ist Carina Hartmann. Ich bin aus Deutschland.“
Sie reichte ihm den Umschlag.
Er warf einen kurzen Blick auf den Brief und runzelte wieder die Brauen. „Nun, ich kann bestätigen, dass der Brief tatsächlich vom Scheich ist, auch wenn ich den größten Teil der Nachricht nicht verstehen kann. Deutsch vermute ich? Naja, aber offenbar ist wohl auch eher der letzte, arabische Absatz an mich gerichtet, was?“
Wieder blickte Taib sie abschätzend an, als wollte er ihre Gedanken lesen. „Der Scheich ist einer unserer besten Klienten und außerdem ein Freund. Ich vertrete ihn in vielen Dingen. Der arabische Satz, sollten Sie ihn nicht ohnehin selbst übersetzt haben, heißt, dass ich freundlich zu Ihnen sein und Ihnen Fragen beantworten soll – Fragen worüber Miss Hartmann?“ Der letzte Teil klang mehr nach Verhör als nach „freundlicher Unterstützung“.
Carina seufzte: „Tja, also, ich bin Autorin und schreibe ein Buch über ihn und … na ja …“
„Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“ Er gab ein unfreundliches Lachen von sich.
„Und Sie glauben, ich beantworte Ihnen auch nur eine einzige Frage? Damit Sie dann hinterher irgendwelchen Schund über den Scheich schreiben können?“ Er lachte wieder ohne Humor.
„Naja, offenbar glaubte er, Sie würden mir Fragen beantworten, sonst hätte er mich ja kaum zu Ihnen geschickt, nicht wahr? Denn das sind doch wohl Ihre Adresse und IHR Name, die da in seiner Handschrift auf dem Brief geschrieben stehen?“ Carina wurde langsam ärgerlich.
Die Antwort war ein arabischer Fluch, der wohl etwas Ähnliches bedeutete wie „er muss den Verstand verloren haben“.
Er griff zum Telefonhörer und telefonierte kurz.
„Ich habe gerade meine Konferenz um eine halbe Stunde