Homo sapiens movere ~ gezähmt. R. R. Alval. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: R. R. Alval
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738097320
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Grau in grau. Wunderschön aufeinander abgestimmt. Und wenn ich mich umdrehte und aus dem Fenster schaute, würde ich auch nur eine graue Betonwand sehen. Sogar ich fühlte mich grau und fad. Ach was, ich war grau und fad. Schon seit einer Weile. Ich war keine Schönheit, auch wenn meine Mutter stur und steif etwas anderes behauptete. Meine blonden Haare trug ich seit Jahren modisch kurz; mein fülliger Körper steckte in einem bürotauglichen, schwarzen Nadelstreifenkostüm. Das einzig Auffällige an mir waren meine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, die durch meine helle Haut besonders hervorstachen.

      Während ich eine weitere Akte aufrief, fragte ich mich, wann ich mich das letzte Mal amüsiert hatte. Es musste ziemlich lang her sein, denn ich erinnerte mich nicht. Gott, was würde ich dafür geben, wie einer dieser movere sein! Oder eins dieser Werwesen. Aber nein, ich war ein Mensch. Ein sehr durchschnittlicher Mensch, der keinem auffiel. Was in einigen Situationen durchaus von Vorteil war. Aber es war ein Unterschied, ob man übersehen wurde oder schlichtweg unterschätzt.

      Die Zeit bis zu meinem Feierabend schleppte sich endlos dahin. Bloß gut, dass heute Freitag war, so dass ich pünktlich um zwei Uhr das triste Gebäude der Stadtverwaltung verlassen konnte. Der ruckelnde, nicht sonderlich vertrauenserweckende Paternoster – ein übrig gebliebenes, fast schon antikes Stück aus der Zeit vor den Revolutionen – brachte mich heil in die Eingangsebene, aus der ich eiligst nach draußen verschwand. Nicht auszudenken, wenn mein Chef mich hier anträfe, um mir wieder mal eine Wochenendschicht aufs Auge zu drücken.

      Zu meinem Glück kam ich unbehelligt auf dem Parkplatz an, entriegelte mit einem leisen Piep, dem ein kaum vernehmbares Plop folgte, die Türen meines Autos, stieg ein, schnallte mich an und fuhr los. Richtung Innenstadt. Es war höchste Zeit, dass ich mir mal etwas gönnte.

      Und wenn es nur ein Einkaufsbummel war.

      Nachdem sich das Auto in das Navigationsleitsystem eingeloggt hatte, musste ich nicht mehr auf die Straße achten und ging gedanklich durch, was ich mir kaufen wollte. Ein paar neue Klamotten, neues Parfum. Vielleicht sogar ein wenig Schmuck. Eine der wenigen farbenfrohen Abwechslungen in meinem tristen Alltag.

      Der Parkplatz kam in Sicht, auf dem das Auto ohne mein Zutun parkte. Jetzt, wo das Summen des Motors erloschen war, konnte ich tief durchatmen und mich auf das beginnende Wochenende freuen. Die Klamotten brauchte ich eigentlich nicht, aber es beruhigte mich, sie einzukaufen.

      Mit einem Lächeln stieg ich aus, schwang meine Handtasche über die rechte Schulter und verriegelte die Türen. Bis zum Kaufhaus waren es keine zwanzig Meter. Bis zum Dom müsste ich den Parkplatz komplett überqueren. Deshalb entschied ich mich, trotz der günstigeren Angebote im Dom, mit dem Kaufhaus vorlieb zu nehmen. Vielleicht würde ich anschließend sogar noch ein wenig über den großen Marktplatz schlendern, der sich auf der anderen Seite der Gebäude erstreckte. Sozusagen das Herz der Stadt. Hm, dann könnte ich ebenso gut gleich in den Dom gehen.

      Zwei Frauen kamen mir entgegen, die unterschiedlicher kaum sein konnten und doch den Anschein erweckten, gar nicht so verschieden zu sein. Die eine drahtig, mit langen, rotgoldenen Locken, beladen mit zwei Einkaufsbeuteln. Den aus Papier hatte sie unter den rechten Arm geklemmt; der zweite hing an ihrem linken Ellenbogengelenk, da die Hand eingegipst war. Die andere Frau war etwas rundlicher mit langen, braunen Locken und ebenfalls mit ein paar Tüten bepackt. Vermutlich Freundinnen, die sich einen schönen Tag machten und nebenbei die Einkäufe erledigten. So wie es aussah, hatten sie in der Lebensmittelabteilung ordentlich zugeschlagen, was ich anhand des Logos erkannte, das auf dem Stoffbeutel und der Tüte der Rotblonden prangte.

      Ich selbst konnte mich weder an meine wenigen Freundinnen erinnern, die sich mit der Zeit immer rarer gemacht hatten, noch an einen schönen Tag, auch wenn meine Einkaufsnachmittage an jedem zweiten Freitag des Monats dem ziemlich nah kamen.

      Schnell schüttelte ich die wehleidigen Gedanken ab und lief Richtung Kaufhaus, wobei ich darauf achtete, niemandem unmittelbar ins Gesicht zu sehen. Man konnte nie wissen, wen oder was man dabei anstarrte und vermutlich damit herausforderte.

      Ich war vielleicht zehn Meter von meinem Auto entfernt, als ich ein dumpfes Poltern und einen leisen Fluch vernahm, begleitet von einem spitzen Zischen. Ich drehte mich auf dem Absatz um. Es passierte alles verflixt schnell. Trotzdem sah ich den Vorgang wie in Zeitlupe ablaufen. Die größere der beiden Frauen, die mit der Papiertüte unterm Arm, verlor aus eben dieser Äpfel, die sich rollend und hüpfend auf dem Parkplatz verteilten und dabei unter mein Auto kullerten. Die Frau sprang den Scheißdingerchen hinterher, wobei sie offenbar nicht einkalkulierte, dass man auf ihnen weder balancieren noch stehen konnte, kam ins Torkeln, schwankte leicht zur Seite, rutschte aus, ruderte mit den Armen – den anderen Beutel noch immer in der linken Ellenbeuge – und versuchte ihre Gleichgewicht nach vorn zu korrigieren. Dabei trat sie auf den nächsten Apfel, der diesmal nicht nachgab und landete mit ihrem rechten Ellenbogen, gefolgt von ihrem Oberkörper auf meiner Motorhaube, während der andere Arm, der lediglich der Schwerkraft folgte, bepackt mit dem stabilen Stoffbeutel, scheppernd gegen meine Beifahrertür krachte. In diesem Augenblick war ich froh, dass ich die Alarmanlage nie aktiviert hatte. Deren Kreischen würde mir jetzt vermutlich die Ohren abfallen lassen.

      Da ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich laut fluchen oder herzhaft lachen sollte, stand ich einfach nur da und blinzelte. Meine Lippen zitterten. Meine Augenbrauen krabbelten grüßend bis zu meinem Haaransatz und beide Hände umklammerten den Träger der Handtasche, als wollte ich mich daran festhalten.

      Weder fluchend noch lachend – obwohl Letzteres preschend aus mir herausdrängen wollte – eilte ich zu meinem Auto, von dem die kleinere Frau die große soeben behutsam abpflückte.

      „Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte ich, wobei ich gleichzeitig mit einem leisen Seufzen den Schaden an meinem Auto betrachtete. „Geht schon.“, ächzte der Pechvogel und sah mich mit einem jämmerlichen Blick an. „Ihr Auto?“ Ich nickte. „Oh Gott.“, stöhnte sie, während die andere Frau ihr langsam den Beutel vom linken Arm zog und kritisch prüfte, ob der Gips heil geblieben war. Die Frau blickte wie ein Häufchen Elend auf ihre Schuhspitzen. „Wir sind versichert.“, verkündete mir die braunhaarige Frau, deren graublaue Augen mich gütig ansahen.

      Versichert.

      Das war gut.

      Ich konnte mir nämlich kein neues Auto leisten. Und auch keine teure Reparatur. Zwar hatte ich ein stolzes Sümmchen ansparen können, aber das war für den Kauf einer Eigentumswohnung und meinem Umzug in einem Monat, bei dem ich mich komplett neu einrichten wollte, schon vollkommen verplant.

      „Ich bin Briony und das ist meine Freundin Alisa. Ich verstaue schnell unsere Einkäufe und dann lade ich Sie zu einem Kaffee ein. Dabei können wir uns in aller Ruhe unterhalten und die notwendigen Daten austauschen. Was halten sie davon?“ Kaffee klang verlockend, weswegen ich dem Vorschlag zustimmte. Alisa, die rotblonde Frau neben mir, seufzte aufrichtig gequält. „Bitte, lieber Gott“, hörte ich sie murmeln, „lass mich nichts kaputt machen.“

      Die arme Frau musste wirklich vom Pech verfolgt sein.

      Joshs Auftrag

      In seiner menschlichen Gestalt erinnerte Josh viele an einen Bären. Eine Meinung, die Alan nicht teilte. Dafür war Josh zu schlank, wenn auch muskulös und wahrhaft groß.

      Außerdem war er kein Bär.

      In seiner Wergestalt war Josh mörderisch, athletisch, intelligent und schneller als jedes andere Raubtier, was Alan kannte. Sein tierisches Ebenbild trug den stolzen Namen Acinonyx jubatus. Allerdings war Josh, wie auch alle anderen Gestaltwandler, in seiner anderen Form wesentlich größer als sein tierisches Pendant. Obwohl die Magie der Gestaltwandler vielfältig war, so konnte sie doch einen einhundertzehn-Kilo-Mann nicht in einen fünfzig Kilo leichten Gepard verwandeln. Trotzdem schaffte sie es, dem Gestaltwandler in seiner Kampfgestalt Masse und Körpergröße hinzuzufügen, indem sie beide Wesen kombinierte.

      Als Geparden-Wer war Josh ideal als Rudelzweiter. Denn was ihm an Teamgeist fehlte, um das Rudel zu führen, glich er durch Stärke, Jagdinstinkt und Intelligenz aus. Nicht viele Raubkatzen konnten mit ihm mithalten.