»Was soll die kosten?«
»Leise, Mann!«, faucht Herr Blümchen. »Vierzehn Euro, so billig krieg ich die nie mehr.« Herr Blümchen schielt in Richtung Plattenladenmann, der hinter der erhöhten Kasse auf einem Hocker thront und mit betont gelangweiltem Blick meinen aufgeregten Freund mit der seltsam aussehenden Plattenhülle in der Hand mustert. Dann blättert er weiter und versenkt sich in einen Testbericht der Zeitschrift Gitarre & Bass.
»Mach dir mal nicht gleich in die Hose. Dieser Mann hinterm Plattentresen gehört zur Spezies Muckerpolizei. Tagsüber stellen Männer wie er das Verkaufspersonal in Plattenläden und Musikalienhandlungen, und nach Feierabend wird in übers ganze Stadtgebiet verteilten Übungsbunkern ohne Belüftung und Toiletten musiziert und bei Bedarf in Plastikkanister gepinkelt.«
Dieser Mann dort oben würde niemals in letzter Sekunde den wahren Wert einer seltenen Schallplatte erkennen, um dann zu sagen: ›Welcher Idiot hat denn diese Platte mit vierzehn Euronen ausgezeichnet? Nee, nee, unter ’nem Fuffi geht die mir aber nicht vom Hof!‹
»Ich besitze nicht eine teure Schallplatte«, bedauert Herr Blümchen, und mir fällt ein, dass meine umfangreiche Siebziger-Punksingle-Sammlung das einzig Wertvolle in meiner Wohnung darstellt.
Der müde Verkäufer im Sardo-Plattenladen schlägt gelangweilt seine Gitarrenzeitschrift zu und entzündet sich eine filterlose Zigarette.
»Er raucht Lucky Strikes«, flüstert Blümchen mit konspirativem Blick.
»Das muss ’ne Aushilfe sein. Echte Platten-Digger rauchen Zigarillos oder drehen selbst. Nicht im Traum denkt der daran, den Preis für deine Reifenstahl-Platte nachträglich anzuheben«, erkläre ich.
Herr Blümchen schaut trotzdem besorgt und flüstert weiter: »Lass uns bitte das Thema wechseln, ich sage dir, der kriegt das alles mit.«
Ich nehme Herrn Blümchen die LP aus der Hand und gehe forschen Schrittes zum Tresen, lege die Schallplatte ab, fingere meine Geldbörse aus der Jackentasche und zähle vierzehn Euro auf den Tresen. Lucky kassiert das Geld, notiert Interpret und Titel in einem linierten Schreibheft und widmet sich wieder seiner Lektüre. Ich drücke Herrn Blümchen die Platte in die Hand und sage: »Was meinste, wollen wir mit Remo Smash ein Revival starten?«
»Ich würd gerne mal echte Kunst machen.«
»Wie denn, als Herr Blümchen?«
»Nein, als Doppelzett natürlich. Schmiedeeisern prangt mein Name, das doppelte Z, als Logo über meiner zum Studio umgebauten Bäckerei – zwei gewaltige Zetts aus Metall, und bei der Arbeit herrscht eine Kreativität, die sich gewaschen hat. Nie mehr soll dann in meiner Backstube je wieder ein Teigling, Salzmännlein oder anderes Zuckerwerk einen Backofen von innen sehen. Aufstehen würde ich frühestens um neun, ab zehn ist das Atelier geöffnet, vorne wird Kunst verkauft, und ich stehe hinten mit dem Schweißbrenner am Steinofen.«
»Viel Erfolg noch, ihr beiden Superkünstler!«, hallt es vom Tresen rüber. »Sardo in Altona war übrigens mein erster Plattenladen! In einer Band spiele ich auch nicht, und die Reifenstahl-Platte erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung. Alles klar?«
Lucky saugt genüsslich an seiner Zigarette und grinst. Ich starre ihn an. Herr Blümchen guckt betreten auf die Wunderwaffe und verstaut sie in seinem Rollkoffer.
Es hat zu regnen begonnen. Wir bleiben im Eingang des Plattenladens stehen. Ich beobachte Lucky aus den Augenwinkeln, während Herr Blümchen sich den Pinnwand-Zetteln und Event-Flyern widmet.
»Was jetzt?«, fragt Herr Blümchen. Er blättert im Veranstaltungskalender eines kostenlosen Stadtmagazins. Ich schaue raus zum Bürgersteig, und mir fällt fast die Kinnlade runter.
»Was grimassierst du?«
»Ich grimassiere nicht!«, empöre ich mich, »guck dir mal die Type an.«
Draußen geht ein Mann mit tief gebräuntem Gesicht vorbei, der mir gut bekannt vorkommt.
»Entweder ist das eine Fata Morgana oder Kurtchen«, sage ich.
»Fata Morgana«, antwortet Blümchen bestimmt.
Stimmt. Kurtchen kann das gar nicht sein.
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