Grünkohlsuppen-Blues. Eileen Schlüter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eileen Schlüter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847664222
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und Julius Gaulkötter sich in Richtung Tür bewegten.

      »Stellen Sie sich vor, die Erinnerung Ihrer Frau wäre ein durcheinander gewürfeltes Puzzle«, fuhr Doktor Hildebrand fort, während er den Türgriff betätigte. »Sie muss erst alles gründlich sortieren, bevor sie es wieder zusammensetzen kann. Das wird eine Zeit dauern. Und erst danach wird man feststellen, welche Teile des Erinnerungspuzzles Ihrer Frau fehlen.«

      »Das ist der reinste Albtraum«, lamentierte der Gaulkötter, womit er völlig Recht hatte. Vielleicht musste ich einfach nur ganz laut schreien, um endlich aufzuwachen – aus diesem Albtraum. Die Tür fiel ins Schloss. Und ich war allein.

       Also, los Stella, schrei so laut du kannst!

      Ich setzte zum Schreien an, doch meine schlaffen Stimmbänder gaben (logisch nach einer Woche Koma) nicht mehr als ein kratziges Krähen her, das wie ein sterbender Hahn klang, der Zeit seines Lebens Kettenraucher war und am Ende an einer hochgradigen Form von Kehlkopfkrebs zu leiden hatte. Nein, so schnell gab ich nicht auf.

      Ein Strategiewechsel musste her. Dann musste ich eben

      drastischere Maßnahmen ergreifen. Und so kam es, dass ich mir mit vollem Tatwillen in den Unterarm biss.

      »Auaahh…!«

       Wenn das nicht hilft…

       So, bin ich jetzt wach?

      Bei meinem vorsichtigen Blick in den Handspiegel, erfasste mich augenblicklich die niederschmetternde Woge der Erkenntnis: Ich war zweiunddreißig Jahre alt, hatte fettige Haare und leichte Krähenfüße um die Augen herum. Und was der Doc da eben gesagt hatte, war dann wohl die Wahrheit. Ich musste lediglich die Teile meines Erinnerungspuzzles zusammensetzen, um wieder zu Verstand zu kommen. Nur war es so, dass ich überhaupt kein Bedürfnis danach verspürte, mich an den Gaulkötter und seine Söhne zu erinnern. Ich wollte nur zurück nach Hause. Das zu Hause, an das ich mich erinnerte. Zu Alex. Zu meinem Vater. Zu Bjarne und zu Vera. Zurück in mein Leben, so wie ich es kannte. Ich wollte heulen. Aber das würde auch nichts an dieser furchtbaren Situation ändern.

      Ich überlegte eine Weile. Was ich dringend brauchte, war mehr Durchblick bei der ganzen Angelegenheit. Ich musste also a) herausfinden, was mit mir geschehen war. Und b) wer ich denn nun wirklich war, was mir wiederum c) eine Heidenangst bereitete, da ich ja nicht wusste, was mich erwartete und ich deswegen d) am liebsten den Kopf in den Sand stecken wollte, in der Hoffnung, dass sich e) alles wie von Zauberhand selbst zum Guten wendete. Ich wollte doch nichts weiter, als jeden Moment gesund und munter zu Hause, in meiner geliebten Penthouse-Wohnung im gehobenen Bogenhausen aufwachen. Ohne fremden Ehemann und dreifacher Nachkommenschaft!

      Hoffnungslos ließ ich meinen Kopf zurück ins Kissen sinken und dachte wehmütig an zu Hause. Dort würde mir schon alles wieder einfallen, ohne großartig zu suchen. Dann würde sich dieses Durcheinander gewiss endlich aufklären und ich könnte in aller Ruhe in meinen Luxus Airpool – übrigens eine Sonderanfertigung von Villeroy & Boch – steigen und ein ausgiebiges Entspannungsbad nehmen. Dazu zwei, drei Gläschen Billecart Salmon. Herrlich! Ich konnte es kaum erwarten.

      ***

      Ich musste eingeschlafen sein. Alarmiert schnellte ich hoch, doch die hastige Bewegung erzeugte einen so heftigen Kopfschmerz, dass es sich im ersten Moment anfühlte, als hätte mir jemand mit einer riesigen gusseisernen Pfanne eins über den Schädel gebraten. Postwendend ließ ich mich wieder zurück auf das gummiartige Klinikkopfkissen sinken.

      Eine retrograde Amnesie also? Mit solchem medizinischen Fachchinesisch konnte ich nichts anfangen. Und überhaupt sah das alles viel mehr nach einer Verschwörung aus. Aber meine persönliche Einschätzung interessierte hier anscheinend niemanden.

      Fakt war demnach, dass ich mich an die vergangenen sieben Jahre meines Lebens nicht mehr erinnern konnte. Und angenommen dieser Julius sagte die Wahrheit, dann bedeutete dies, dass er mein Ehemann war. Aber das war doch paradox, der Mann war definitiv nicht mein Fall. So’n Durchschnittstyp eben. Durchschnittlich groß, durchschnittlich gekleidet, durchschnittlich gebaut, obwohl…, so genau konnte ich das nicht beurteilen. Einerseits kann so ein wallender, weißer Kittel ziemlich gut Problemzonen kaschieren, andererseits wiederrum täuscht er Problemzonen vor, wo gar keine Vorhanden sind. Beim nächsten Mal müsste ich wohl genauer hinschauen, was sich unter dem Kittel meines Ehemanns verbarg.

      Ein weiteres Manko bestand definitiv in der allgemein bekannten Tatsache, dass Ärzte im Stationsdienst heutzutage restlos unterbezahlt waren. Demnach hatte dieser Doktor Gaulkötter mich wohl auch kaum mit seinem denkbar dürftigen Einkommen beeindruckt. Im Klartext hieß das: Julius Gaulkötter entsprach weder optisch noch in finanzieller Hinsicht den generellen Ansprüchen einer Frau wie mir. WIESO, um alles in der Welt, war ich dann mit diesem Menschen verheiratet?

      Aber damit nicht genug. Noch viel unglaublicher war ja seine Behauptung, dass ich seine drei Kinder zur Welt gebracht haben sollte– noch dazu alle drei am gleichen Tag! Da drängt sich einem doch die Frage auf, wie zum Teufel er das bloß angestellt hatte. Mit Gehirnwäsche?

      Von wegen »Mütter lieben ihre Kinder mehr, als Väter es tun, weil sie sicher sein können, dass es ihre sind.« Werter Herr Aristoteles, da muss ich Ihnen leider widersprechen.

      Des Weiteren beunruhigte es mich natürlich außerordentlich, in wie weit sich dieser Gaulkötter in meinem Intimbereich auskannte.

      Prompt lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Vielleicht war er so eine Art Doktor Frankenstein, der mir heimlich Eizellen entnommen, sie dann mit seinem Sperma befruchtet und mir schließlich wieder eingesetzt hatte. Nur so konnte ich mir die Drillinge erklären.

      Heilige Scheiße…, die reinste Horror-Theorie, die sich da gerade in meiner ungeordneten Gehirnmasse zusammenbraute. Einmal eingeschaltet, ließ sich mein Kopfkino nun nicht mehr stoppen und so spann sich das Ganze wie von selbst zu einem Szenario, in dem ich diesem verrückten Gynäkologen selbst mein schmerzhaftes Schädelhirntrauma, inklusive Krankenhausaufenthalt zu verdanken hatte. In meinem persönlichen Horrorfilm versuchte er nämlich, mich außer Gefecht zu setzen, um mir ein zweites Mal besamte Eizellen einzusetzen. Wer weiß, möglicherweise gehörte er einer fanatischen Sekte an, die beabsichtigte, so eine Art moderne Zwölf Jünger zu erschaffen, um irgendwann die Welt zu bekehren…oder so. Die tapfere Stella Edwards, leistete bei seinem erneuten Befruchtungsversuch jedoch so heftigen Widerstand, dass er sie letztendlich nur mit einem gezielten Schlag vor den Kopf mit einer gusseisernen Bratpfanne ruhig stellen konnte. Fortsetzung folgt…

      Genau! So musste es passiert sein.

      Das alles mochte zwar ein bisschen paranoid klingen, aber in Zeiten, in denen zig durchgeknallte weibliche Teenager die Filmpremiere eines schnulzigen Vampir-Streifens stürmen, um sich von dem blassen, unterernährten Hauptdarsteller (den irrsinnigerweise alle unwiderstehlich finden) mit Schmackes in die Kehle beißen zu lassen – nicht undenkbar! Solchen Irrsinn behauptete zumindest die Titelstory des Frauenjournals, welches ich in meinem Nachtschrank gefunden hatte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass neuerdings Vampirfilme unsere Kinoleinwände eroberten. Keine Frage, es war höchste Zeit meine Erinnerung zurück zu erlangen, bevor mir noch jemand weismachen wollte, Michael Jackson sei tot.

      Kopfschüttelnd klappte ich die Illustrierte zu. Doch im nächsten Moment loderte Panik in mir auf, denn eine besorgniserregende Vermutung hatte soeben Besitz von meinem Verstand genommen. Hatte dieser verrückte Arzt es möglicherweise geschafft, sein dämonisches Werk zu vollbringen?

      O-Gott-o-Gott, war ich vielleicht schwanger? Diesmal mit Petrus, Judas und Bartholomäus!?

      Vor lauter Sorge rubbelte ich wie wild mit den Handflächen über meinen Bauch und versuchte mich mit einem tranceartigen Singsang, der lediglich die Worte »Bitte nicht…, bitte nicht…, bitte nicht…« beinhaltete, zu beruhigen.

      Dabei ertastete ich etwas. Etwas, das sich anfühlte wie…eine Narbe!?