Die Wächter. Elisabeth Eder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Eder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847647171
Скачать книгу
„Verschwindet, ihr ungezogenen Bastarde!“

       Die Jungen lachten.

       Einer bemerkte: „Vielleicht sollten wir sie damit abschießen?“

       „Gute Idee.“

       Sie kramten in ihren Taschen. Kai beobachtete, wie der erste Beutel flog und dem ersten Soldaten krachend im Gesicht landete. Er lief purpurrot an und brüllte wüste Schimpfwörter und Drohungen. Der zweite Sack fiel gegen den anderen und ließ ihn als fäusteschüttelndes Männchen zurück.

       Der dritte Beutel traf die steinerne Wand des Tores. Das Leder platzte auf und ein klimpernder Geldregen ergoss sich über die metallenen Helme.

       „Na wartet!“

       Die beiden Soldaten preschten darauf los, ließen ihren Posten unbemannt zurück. Mit großen, scheppernden Schritten rannten sie den beiden Jungen hinterher, die lachend und spöttisch witzelnd davonliefen, immer so weit, dass die Soldaten noch Hoffnung hatten, sie zu erwischen. Die beiden Schergen des Königs bemerkten dabei nicht einmal die vielen anderen Kinder und Erwachsenen, die hinter den Kisten kauerten.

       Als das Lachen, die Drohungen und die Laufschritte verklungen waren, richtete sich Kai auf und glitt geräuschlos wieder auf die Straße. Er trat unter dem Tor durch und fand sich auf einmal in einer anderen Welt.

       Große, geordnete Häuser mit sauberen, dunkelroten Ziegeldächern reihten sich aneinander. Die Gassen waren übersichtlich gestaltet, kein Müll lag herum, keine Kisten stapelten sich. Nur hie und da gab es gelegentlich ein paar Fässer, in denen Abfall war.

       Sie hielten sich eng im Schatten der Häuser, denn der Mond war auf einmal hervorgekommen und ruhte am dunkelblauen Himmel zwischen zwei Wolken, die er milchig-weiß beschien. Die steinernen Straßen waren vom silbernen Licht beschienen, die Häuser warfen lange Schatten.

       Kai kannte den Weg sehr gut. Sie wanderten einige Zeit leise durch die Innenstadt, unbemerkt und still entschlossen. Den Wachen wichen sie aus – sobald sie das Geräusch der Eisenstiefel auf dem Boden hörten, huschten sie in den Schatten einer Gasse und pressten sich eng an die harten Ziegelmauern. Kälte kroch ihnen den Rücken hinauf, aber sie wagten nicht, sich zu bewegen, bis die Soldaten leise redend davongegangen waren.

       Vor ihnen erstreckte sich auf einmal ein weitläufiger Platz. In der Mitte thronte ein gewaltiger Brunnen mit steinernen Nixen, die Wasserfontänen in das pokalförmige Becken spuckten. Daneben lagen die berühmtesten Gebäude Jamkas: Das vergoldete Rathaus, die tempelartige Universität, die riesige Magierschule und die prächtige Bibliothek. Im Angesicht der Bibliothek – der ganze Stolz der Hauptstadt – schrumpften die anderen Gebäude.

       Mehrere Türme, die spitz in die Nacht hinaufragten, schlossen ein Dach mit vergoldeten Ziegeln ein. Viele kleine Bilder waren in den Stein geschlagen worden, von kleinen Drachen, Greifen und Zentauren bis zu den Königen der alten Zeit. Für Zoltan war allerdings die gesamte vordere Seite „reserviert“ worden. Die einstigen Bilder der Elfen und Zwerge waren verschwunden, stattdessen zeigte die Wand Zoltans Geschichte: Als Königssohn geboren, immer voller Wissensdrang in den Hallen der Bibliothek, schließlich in der großen Universität und letztendlich in der Magierschule. Sein feierlicher Einzug ins Rathaus und die Krönung, das größte Bild. Kai schluckte, während er es betrachtete. Die Augen bestanden aus pechschwarzen Opalen, die ihn selbst von seinem Standpunkt aus böse anfunkelten.

       Natürlich war nicht alles von Zoltans „großartigem“ Werdegang zu sehen. Immer wieder kamen Gerüchte in der Stadt auf, er hätte sich die Dämonen zu Untertan gemacht und seinen Vater und seine Mutter im Schlaf ermordet. Doch es waren nur Gerüchte und sie kamen und gingen wie die Menschen; sie lebten auf und starben, wurden in Strudeln mitgerissen und versanken manchmal endgültig in den tiefsten Gassen.

       Kai lenkte seinen Blick zurück zu seinen Leuten. „Hier entlang.“

       Er führte sie nicht direkt über den Platz – das wäre zu gefährlich – sondern auf eine schmale Straße, die von hohen Häusern gesäumt war. Sie wanderten eine Weile, dann drang ein scharfer Geruch durch die Dunkelheit.

       Kai stockte. Seine Hand fuhr zu seinem Schwert, als er vor sich eine kauernde Gestalt bemerkte, die bereit war zum Sprung. Hinterlistige, flammenrote Augen stierten ihn an. Das Wesen hatte einen pelzigen Körper und ein wolfsähnliches Gesicht – allerdings ragten zwei spitze Hörner aus seinem Schädel.

       Es kicherte: „Eindringlinge – oooh, wie sehr wird der König erfreut sein! Wie sehr werden sich die Wachen freuen!“

       Der Dieb zog sein Schwert mit einem scharfen Geräusch aus dem Gürtel und sah aus den Augenwinkeln, wie die anderen bewaffnet neben ihn traten. Er zischte: „Lass uns durch!“

       Kai hatte keine Ahnung, welches dämonisches Wesen er vor sich hatte. Aber jetzt glaubte er dem alten Bettler, der immer über die Dämonen predigte, die am Abend aus den tiefsten Kellern kamen um Menschen zu fressen und Zoltans Gegner aufzuspüren. Auf einmal überkam ihn die nackte Panik. Wusste jemand von ihrem Vorhaben? Hatte er einen Verräter in seinen Reihen?

       Die Bestie schnupperte in die Luft und setzte einen klauenbesetzten Fuß in seine Richtung: „Mhmm … ich rieche Angst … fürchterliche Angst …“ Eine dunkelviolette Zunge fuhr sich über die scharfen Zähne. „Hmm … lecker …“

       Die Flammenaugen taxierten Kai. „Du hast Angst … viel, viel Angst … schmeckst du auch so gut wie deine Angst?“ Kais Herz hämmerte bis zur Brust. Die Muskeln des Wesens spannten sich an, ein diebisches Grinsen fuhr über das Wolfsmaul.

       Das Ungeheuer sprang.

       Die Schwertklinge des Diebes funkelte im Mondlicht, als er sie schwang, doch er erreichte das Wesen nie. Das Dämonenwesen gab ein ersticktes Geräusch von sich und fiel zu Boden.

       Ein Dolch steckte in seiner Brust. Hasserfüllte, weit aufgerissene Augen starrten seelenlos in den Himmel. Es rührte sich nicht mehr. Schwarzes Blut sprudelte aus der Brust und breitete sich langsam am Boden aus.

       Ania trat neben Kai: „Bei diesen Dingern muss man immer sofort reagieren.“

       Kurz verspürte er Bewunderung für Ania in sich aufkommen, die er jedoch niederkämpfte und sich selbst einen Narren schalt. Er war der Anführer, er hätte die schnelleren Reflexe haben sollen! Grimmig nickte er. Dennoch hielt er sein Schwert bereit, als Ania den Dolch aus der Brust des Ungeheuers zog. Sie drehte dem Ungetier den Rücken zu und erklärte, stolz über die bleichen und erschrockenen Gesichter grinsend: „Immer auf das Herz, sonst -!“

       Sie hielt die Luft an und stieß einen erstickten Schmerzenslaut aus.

       Kai starrte auf die klauenbesetzte Hand, die sich in ihrem Fuß verankert hatte. Dünne Blutstropfen quollen auf den Stoff der Hose. Das Ungeheuer drehte den Kopf und öffnete sein Maul, um zuzuschnappen –

       Der Dieb sprang nach vor. Das Schwert sauste mit einem pfeifendem Geräusch herab. Dann rollte der Kopf des Monsters über den Boden. Kai kickte ihn weg und wandte den Blick ab. Er spürte bereits, wie das dunkle Blut das Leder seiner Schuhe durchnässte.

       Rasch trat er auf die schwere Eisentüre zu, vor der das Wesen vorhin gekauert war.

       „Alles klar, Ania?“, hörte er Exoton leise fragend. Keuchend drehte er sich um. Sein Herz raste noch immer und er vermied nach wie vor den Blick auf den Boden: „Die Schlüssel?“

       „Ach ja – hier“ Einer der Männer von Exoton reichte ihm einen Schlüsselbund. Diese klimperten verräterisch laut, als Kai einen nach dem anderen ins Schloss steckte und probierte. Allerdings machte er sich darum keine Sorgen. Die nächste Wache würde erst wieder in einer Stunde vorbeikommen und da wären sie schon längst über alle Berge.

       Mit zitternden Fingern drehte er – endlich! – den richtigen Schlüssel. Die Türe ging quietschend auf und offenbarte dunkle Marmorfließen und völlige Finsternis dahinter. Kai drehte sich wieder um. Ania stand bleich neben Exoton, aber ihr schien es gut zu gehen. Exotons Männer hatten den widerlichen Leichnam in ein Fass gestopft und legten gerade den Deckel darauf. Trotzdem war die dunkle Lache am Boden zu sehen.

       Seine Diebe starrten ihn bleich, aber entschlossen an.