Die Wächter. Elisabeth Eder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Eder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847647171
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„Dann ist alles geklärt. Ab jetzt übernehmen wir. Nur euer Herrscher und Ania kommen mit in die geheimen Teile rein.“

       Die Diebe starrten ihn skeptisch an und dann Hilfe suchend zu Kai. Der sah zu Exoton, der seinen Blick entschlossen erwiderte. Ihm wurde klar, dass die Männer einen Hinterhalt oder Ähnliches befürchteten. Er konnte es ihnen nicht verdenken.

       Schließlich nickte Kai. „Ihr habt gehört. Machen wir, was er sagt, bis wir wieder draußen sind.“

       Exoton lächelte. Triumph flammte in seinen Augen auf, offenbar störte ihn die Tatsache nicht, dass die Diebe ihn nachher noch überfallen konnten.

       Sie traten ein. Zwei Burschen blieben draußen und schlossen die Türe hinter ihnen. Kai fand sich in völliger Dunkelheit wider. Nur aus den obersten Fenstern beschien der silbrige Mond die hellen Staubkörner, die in der Luft schwebten. Der Geruch von altem Papier drang ihm in die Nase. Nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit.

       „Die Bibliothek von Jamka“, sagte Exoton ehrfurchtsvoll. „Der Schatz des Wissens seit Anbeginn der Zeit.“

       4 Ein Hort des Wissens

      Sie befanden sich in einer riesigen Marmorhalle. Blassrote Fließen sprenkelten den weißen Boden, Säulen mit goldenen Verzierungen stützten eine gewölbte Decke, an der verschiedene Wandmalereien pragten.

       Bücherregale standen links und rechts an der Wand, in der Mitte waren edle Holztische mit rot gepolsterten Sesseln. Die Bücher waren groß und klein, in Leder oder hartes Papier gebunden oder von Hand bemalt. Staunend blickte Kai zu dem schimmernden Kristallleuchter in der Mitte des Saales.

       Eine Weile blieb die Truppe stehen und starrte ehrfürchtig in den Raum.

       „Da entlang“, befahl Exoton.

       Es war, als würden einige der Diebe erneut anfangen zu atmen. Solch ein prächtiges Gebäude hatten sie nie von innen gesehen. Kai packte den Schlüsselbund fester und marschierte hinter Exoton her, der sie durch die gewaltige Halle führte. Die Regale ragten hoch über ihnen auf, hin und wieder sah man weiß gestrichene Türen, deren vergoldete Klingen man nur drücken musste, um in einen anderen Bereich zu kommen.

       Exoton blieb vor einer Türe zwischen zwei unscheinbaren Regalen stehen. Schatten umhüllte die Diebe und Männer. Der neue Anführer drehte sich zu Kai um: „Jetzt bist du dran. Öffne sie.“

       „Nichts leichter als das“ Der Junge drückte seinem Nachbarn die Schlüssel in die Hand und trat an das Schloss heran. Er zog einen schmalen Dolch aus dem Gürtel und kniete sich nieder. Mit geübten Augen spähte er durch das Schloss, strich einmal mit den Fingern darüber und setzte das Messer dann präzise hinein.

       Eine rasche Drehung des Handgelenks später klickte es. Kai drückte die Türklinge hinunter und betrat den Raum. Darin befand sich ein großer Turm mit mehreren Wendeltreppen. Eiserne Geländer spannten sich zwischen Brücken, auf denen Regale und Pergamentstapel lagen. Unter ihnen befanden sich verschiedene Ebenen. Alles war vollgestopft mit Büchern und ging in schwindelerregende Höhen hinauf.

       Ania schloss als Letzte die Türe. Exoton war eine schmale Wendeltreppe hinaufgestiegen, die anderen folgten ihm im Gänsemarsch. Immer höher kamen sie hinauf, bis sie ein kleines „Zwischengeschoss“ erreichten. Diesmal musste Kai sich anstrengen, die schmale Türe zu öffnen. Die anderen Diebe betrachteten fasziniert die Bücher und blätterten in den Pergamentstößen.

       Endlich stieß Kai das Tor auf. Er tauchte sofort in die Dunkelheit dahinter und fand sich in einem schmalen Gang wieder. Er kniff die Augen zusammen.

       „Folgt mir“, flüsterte Ania in der Dunkelheit. Kai legte ihr seine Arme auf die Schultern und spürte sogleich Exotons Pranken auf den Seinen. Ein letztes Mal drehte er sich noch zu den restlichen Jungen und Mädchen um, die hier warten sollten. „Bleibt hier. Wir sind bald zurück.“

       Dann schluckte die Tür das letzte Licht, das hereingefallen war. Der Zug setzte sich lautlos in Bewegung. Auf leisen Sohlen tappten sie durch den Gang.

       Ania sah ausgezeichnet im Dunkeln. Zielsicher führte sie die Männer hinter ihr in der Dunkelheit. Sie marschierten lange Zeit schweigend, dann blieb Ania so abrupt stehen, dass Kai beinahe in sie hineingestolpert wäre. Er hörte, wie eine Klinge quietschend hinuntergedrückt wurde. Ania zog eine Türe auf.

       Kai ließ ihre Schultern los und trat hinter ihr in den Raum, der ebenfalls in völlige Dunkelheit gehüllt war. Misstrauisch sah er sich um. Etwas raschelte in seiner Nähe, dann hörte er ein dumpfes Geräusch und einen unterdrückten Fluch.

       „Schhh!“, zischte Exoton und rief leise: „Ania? Hast du es?“

       „Da stehen tausende von Büchern“, kam es von weit her. Kai erfasste nun Panik, denn er war blind wie ein neugeborenes Katzenbaby in dieser Schwärze. Er konnte sich nur auf die Geräusche verlassen, die an seine Ohren drangen. Unruhiges Auftreten von Füßen, Kleiderrascheln, Atmen, geflüsterte Gespräche, zu leise, um sie zu verstehen.

       Beinahe hätte er aufgeschrien, als Ania ihn an der Schulter antippte und sagte: „Alles klar. Gehen wir.“

       Kai tastete in die Dunkelheit und bekam ihre Schultern zu fassen. Dann spürte er Exotons Hände wieder und spannte seine Muskeln an. Sie drehten sich kompliziert um – wobei er mit dem Knie gegen eine scharfe, metallene Ecke stieß und leise fluchte – und marschierten zurück. Allerdings waren sie noch nicht weit gekommen und der Schmerz an Kais Knie war noch nicht verklungen, als plötzlich eine Reihe von Klatschtönen leise an ihre Ohren drang.

       Sieben schnelle.

       Kai sog scharf die Luft ein. Sein Herz begann zu rasen, er spürte, wie die anderen ebenfalls unruhig wurden. Er flüsterte ein Wort: „Soldaten.“

       „Kommt“ Ania ging nun schneller. Sie liefen halb durch die dunklen Gänge. Das Geräusch vom Klirren von Metall auf Metall drang zu ihnen. Wütende Schreie, alarmierte Rufe. Kais Herz zersprang ihm in der Brust. Er keuchte und dachte daran, was mit denen geschah, die in königliche Privateigentümer eindrangen. Öffentliche Hinrichtungen … Verfütterung an Dämonentiere … Jahrelange Zwangsarbeit in H’ll …

       Schwacher Lichtschein drang an Kais Augen. Vor sich erkannte er Anias wilde Haarmähne. Sie blieb plötzlich stehen. Er hörte die Geräusche von schweren Stiefeln und eine Stimme, die rief: „Ihr fünf – mitkommen! Vielleicht sind da welche!“

       Das Licht wurde heller, flackerte.

       Kai besaß genug Geistesgegenwärtigkeit, um Ania in einen kleinen Seitengang zu ziehen. Die Männer folgten ihnen und drängten sie weiter zurück. Kai stieß mit dem Rücken gegen eine eiskalte Türe. Schaudernd drehte er sich um und probierte, ob er sie öffnen konnte. Es funktionierte.

       „Da rein!“ Er zuckte zusammen, als von draußen ein gellender Todesschrei ertönte. Schuldgefühle nagten in seiner Brust und schnürten ihm die Kehle zu. Seine Diebe … wurden draußen hingerichtet. Und sie mussten durch eine Hintertüre fliehen – alles nur wegen diesem Buch …

       „Los“, wisperte Ania und gab ihm einen kleinen Stoß, als die Soldaten auf dem großen Gang vorbeimarschierten. Zwei von ihnen kamen näher und tauchten das geschliffene, schwarze Holz mit ihren Fackeln in unheimliches Dämmerlicht.

       Kai fiel beinahe die schmale Wendeltreppe hinab, die nach unten führte. Er stolperte vorwärts und bekam den eiskalten Griff eines Geländers zu fassen. Nervös tastete er sich weiter nach vorne. Exoton überholte ihn und lief mit überraschender Geschwindigkeit hinunter.

       Das Geräusch einer schließenden Türe war zu hören. Gespenstische Stille herrschte in der Dunkelheit. Sie liefen beinahe eine Ewigkeit, schließlich rief Exoton – dessen Stimme klang, als wäre sie ganz weit entfernt – gedämpft: „Die hier führt in den Keller, glaube ich. Vielleicht gibt es durch eines der Fenster einen Ausweg.“

       „Besser als oben als Raubtierfutter zu enden“, erwiderte einer der Männer.

       Kai stimmte dem im Stillen zu. Sie liefen weiter hinunter, bis er – daran sollte er sich gewöhnen – in den großen