Angestrengt kroch er auf Händen und Füßen zu einem Baum, lehnte sich dagegen und schloss die Augen.
Dunkelheit umgab ihn. Sie durchdrang ihn und ließ ihn nichts sehen. Er verharrte regungslos, er konnte nichts tun. Er war im Nichts, er war das Nichts. Allerdings näherte sich plötzlich eine helle Gestalt. Kai horchte auf und sah zu dem Licht. Es erwärmte ihn, drang in sein Herz und ließ ihn … lächeln. Zufriedenheit durchströmte ihn. Die Gestalt kam näher, seine Umgebung erschien ihm nun klar vor Augen. Er befand sich in einem Wald. In dem Wald? „Wer bist du?“, fragte er die Gestalt. Aber sie antwortete nicht, sie lächelte bloß traurig und verschwamm dann.
Donnerhuf wieherte und stieß ihn beinahe um.
Kai war auf den Beinen und zog sein Schwert. Die Bilder des Traumes entglitten ihm rasch, schneller als ihm lieb war.
„Da ist er!“
Ohne auf seine Verletzung zu achten, schwang sich Kai auf Donnerhuf und gab ihm die Sporen. Es war noch stockdunkel, aber das Pferd fand seinen Weg alleine. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, die sie ritten, ohne gestört zu werden.
Zufrieden atmete Kai auf. Donnerhuf sprang auf einen breiten Gehweg und raste in vollem Galopp darauf entlang. Die Nacht war leise und kalt. Kein Stern blinzelte am Himmel, alle Geräusche verloren sich im wilden Galopp.
„Los, Großer!“ Kai drückte die Knie in Donnerhufs Flanken, als ein Pferd vor sie auf den Weg sprang. Donnerhuf wieherte schrill. Beide Pferde stellten sich auf die Hinterbeine und schlugen aus. Kai wurde von Donnerhufs Rücken geworfen und kam hart am Boden auf.
Rasch rappelte er sich auf und zog sein Schwert. Donnerhuf sprang zur Seite, als der Soldat nach ihm schlug.
Hinter sich hörte er die Geräusche von Hufen auf dem Boden. Kai drehte sich um. Ein weiterer Soldat erschien mit seinem Pferd. Sie hatten keine Armbrüste, dafür aber gefährlich aussehende Lanzen, mit denen sie auf ihn zeigten. Kai keuchte. Sie umkreisten ihn langsam und grinsten schadenfroh.
Kai folgte ihren Bewegungen mit den Augen. Donnerhuf wieherte noch einmal am Wegesrand und blieb schnaubend stehen, um die Geschehnisse zu beobachten.
Dunkle Schatten umgaben ihn. Die Bäume thronten dunkel und unheilvoll im Wald. Es herrschte Totenstille.
„Gib auf, Junge! Deine Ausbildung wird so oder so abgeschlossen!“, sagte einer der Männer. „Also, komm mit, oder wir müssen dir deine Arme abschlagen.“
„Dann kann ich keine Ausbildung mehr machen“, gab Kai zurück. „Und ihr könnt sie nicht abschließen. Was für ein Pech“ Sein Herz hämmerte wild.
Wütend stieß einer der Soldaten mit seiner Lanze nach Kais Brust. Mit einem raschen Hieb durchtrennte er mit dem Schwert das Holz. Dumpf fiel es zu Boden.
„Na schön“ Der Soldat warf den Rest seiner einstigen Waffe weg und sprang vom Pferd. Er zückte das Schwert. „Dann eben ein kleiner Kampf, du großer Fechter!“
Der andere lachte hinter ihm.
Kai drehte sich um.
Der Mann hielt seine Lanze auf ihn gerichtet und sagte grinsend: „Ich würde aufpassen, sonst bist du einen Kopf kürzer!“
Kai drehte sich rechtzeitig um, um den starken Hieb des Soldaten zu parieren. Er ging in die Knie und spürte seinen Oberschenkel pochen. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er in die hellen, wahnsinnigen Augen seines Gegenübers. Dann holte er weit aus und mit einem Schrei ging er in die Offensive.
Der Soldat parierte, wehrte ab und blockte. Sie gingen auseinander und umkreisten sich wie Geier. Der Mann lächelte keuchend: „Du bist gut, Kleiner. Von wem hast du das gelernt?“
„Von einem Dieb!“
Kai sprang nach vor. Sie tänzelten, schlugen aufeinander ein. Das Klirren der Schwerter erfüllte die Nacht, Kai ging die geübten Schritte mit Brimir durch und war auf einmal froh, dass ihm dieser Wahnsinnige wenigstens etwas Sinnvolles beigebracht hatte. Der Kampf wurde härter. Die Kontrahenten bewegten sich schneller, geschmeidiger, fletschten ihre Zähne und warteten nicht mehr, bis sich der andere erholt hatte. Kai spürte, wie seine Arme müde wurden. Er setzte die doppelte Kraft ein und schaffte es sogar, den Soldaten zurückzudrängen. „Hilf mir, du Trottel!“, knurrte sein Gegner. Im Nu war der andere Soldat am Boden. Donnerhuf schnaubte wild. Kai wurde zurückgedrängt. Panisch wehrte er die starken Schläge ab, duckte sich, sprang und erreichte nichts. Seine Kräfte schwanden langsam, die Welt begann sich zu drehen. Die Wunde am Oberschenkel brach auf, er fühlte Blut durch seinen Verband sickern. Verdammt nochmal, wieso hatten diese Soldatenrüstungen keinen Schutz dort – Kais Augen leuchteten auf. Mit einem Kraftschrei sprang er noch einmal nach vorne. Die Soldaten schrien auf, als es zwei Hiebe tat, die tief in ihre Oberschenkel eindrangen. Wackelig auf den Beinen hoben sie noch einmal die Schwerter. Kai holte mit der Hand aus, stieß sie einem ins Gesicht, sodass dieser zu Boden fiel und trat dem anderen zwischen die Beine, der kreischend zusammenbrach. Dann steckte er das Schwert in die Scheide und sah sich nach Donnerhuf um. Gehorsam kam der Hengst zu ihm getrabt und Kai schwang sich in den Sattel. „Das wirst du büßen! Suchtrupps sind auf dem Weg! Es wird nicht lange dauern, bis sie dich gefunden haben!“ Kai trieb Donnerhuf an. „HEY! DU KANNST UNS NICHT ZURÜCKLASSEN!“ „HEY! JUNGE! BLEIB HIER!“ „DU WIRST GEHÄNGT!“ Mit kalten Augen lenkte er sein Pferd in den Wald hinein. Er hörte das Rascheln um sich herum und atmete langsam aus. Er drückte seine Handfläche auf den Verband am Oberschenkel und ließ den Kopf sinken. Donnerhuf trabte weiter, auch ihn verließen langsam die Kräfte. Sie versteckten sich zwischen einigen Gebüschen und Kai schlief einige Stunden, ehe er eine Brothälfte verschlang und sich in den Sattel setzte. Sie galoppierten zwei Tage durch den düsteren Wald, ins Zwielicht getaucht und niemandem begegnend. Ein paarmal kamen sie an einem Fluss vorbei, einige Male versteckten sie sich vor Suchtrupps. Zu Mittag wurde es heißer. Kai blickte triumphierend auf. Der Süden war nahe!
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