Die Wächter. Elisabeth Eder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Eder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847647171
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und dann ließ er sich vom Strom der Menschen forttragen. Gesprächsfetzen drangen ihm an die Ohren, manchmal rempelte ihn jemand unsanft an, lachende Kinder liefen zwischen den geschäftigen Menschen umher.

       Kai musste sich regelrecht zu einer schmalen Seitengasse kämpfen, in der die fröhlichen Gespräche nicht mehr zu hören waren. Zwei Häuser aus Lehm und Stein ragten links und rechts von ihm auf, pechschwarze Lacken hatten sich am Boden gebildet, hölzerne Kisten stapelten sich in den Ecken und der Gestank von fauligem Fleisch lag in der Luft.

       Ohne sich noch einmal umzudrehen lief Kai weiter und kam an eine Weggabelung. Zielsicher nahm er die linke Straße. Als hätte er sein Leben nichts anderes getan, huschte Kai durch das enge Gassenlabyrinth, nahm immer ohne zu Zögern einen Weg und tauchte in schützende Schatten, sobald jemand vorbeiging. Meist waren es nur Bettler oder harmlose Betrunkene, die herumtorkelten, aber einmal kam er an einer Patrouille von Soldaten vorbei.

       Als er die knirschenden Schritte hörte und das leise Gemurmel aus tiefen Stimmen, warf sich Kai hinter einige Holzkisten und spähte vorsichtig durch einen groben Riss im morschen Holz. Er wagte nicht zu atmen, als die großen Gestalten mit Kettenhemden und Panzerungen an Schulter und Stiefeln vorbeigingen. Sein Blick blieb an den ledernen, pechschwarzen Wamsen hängen, das sie vor Attacken schützen sollte, an den langen, schmalen Schwertern, die mitsamt eines Dolches und eines Schlagstockes an ihren Gürteln ruhten.

       Kai versuchte, durch die Silber glänzenden Helme in die Augen der Soldaten zu sehen, um abzuschätzen, ob sie bereit wären, etwas zu kaufen oder nicht. Einige der Soldaten kauften nämlich gelegentlich Straßenkindern wie ihm Wertgegenstände ab.

       Allerdings verriet ein Teil ihres Gesprächs, dem er lauschte, dass Kai sich nie blicken lassen dürfte, selbst wenn sein Leben davon abhängen würde.

       „… hat gesagt, dass wir in den Straßen ausschwärmen sollen und diese elenden Kinder mitnehmen müssen.“

       „Schon wieder? Wieso?“

       Der, der vorher gesprochen hatte, stöhnte genervt. „Ja, schon wieder. Sie werden zu Sklaven, Bediensteten oder sie gehen in den Soldatendienst.“

       „Oder sie gehen in die Mienen, nicht wahr?“

       „Oder werden verfüttert. Es gibt immer weniger Nahrung für die Dämonen. Wir müssen rasch etwas weiterbringen, sonst sind die gewöhnlichen Bewohner noch dran!“

       Kai zog seine Brauen zusammen, als sich die Schritte entfernten und die Stimmen leiser wurden.

       „Ja. Am Schlimmsten sind diese … wie sie heißen … keine Lust.“

       „ … nicht Sorgen … genügend Sklaven.“

       Als die schweren Schritte verklungen waren, entspannte Kai seine Muskeln und sprang lautlos auf die Füße. Die Soldaten schwärmten alle paar Wochen aus und nahmen jeden, der auf der Straße lebte oder auch nur so aussah, gefangen.

       Er selbst hatte es immer wieder überlebt, aber trotzdem war jedes Mal Vorsicht geboten. Kai musste beinahe Grinsen, als er sich daran erinnerte, wie er sich vor einem halben Jahr einige Stunden in einer stinkenden Kloake versteckt hatte, um von den Hunden nicht gefunden zu werden.

       Immer tiefer führte ihn sein Weg durch die Gassen. Rußgeschwärzte Häuser säumten seinen Weg, Abfallhaufen lagen neben Türen, in offenen Fässern schwammen gesalzene Fische mit penetrantem Geruch, schmutzige, halb zerstörte Kisten, Karren und zerrissene Stofffetzen lagen am Boden. Ein kleiner, blasser Junge hob mehrere davon auf, schreckte zusammen, als er Kai sah und floh mit großen, ängstlichen Augen rasch in eine der Seitenstraßen.

       Kai wusste genau, dass er manchmal furchteinflößend wirkte. Er hatte braunes, ungezähmtes Haar und dunkelgrüne Augen, vor denen die Menschen oftmals Angst hatten. Seine Gesichtszüge waren zu fein geschliffen, als dass er ein reinblütiger Mensch hätte sein können, seine Ohren eine Spur zu spitz. Er hatte einen großen, schlanken Körper und trug meist dunkle Kleidung. Vielleicht machten ihn all diese Dinge für die Menschen unheimlich, aber womit er sich selbst manchmal erschrecken konnte, war sein Blick. Kai konnte mit Blicken buchstäblich töten, wenn er es wollte. Seine Augen waren – wenn er in den Spiegel blickte und vermutlich auch sonst – finster und leer.

       Gründe dafür gab es viele, aber Kai verdrängte sie gerne. Nur manchmal brodelten die Gefühle und Erinnerungen in ihm und dann hatte er das Gefühl, zu bersten, wenn er seine Wut nicht an etwas oder jemandem ausließ.

       Er blieb vor einer Steinmauer, an der Blutspuren klebten – woher kamen sie? – stehen und lugte misstrauisch auf das alte Gemäuer. Er tastete mit den Fingerspitzen nach seinem Dolch, steckte den eisernen Griff zwischen die Zähne und trat zurück, um Anlauf zu nehmen.

       Mit einem katzenhaften Sprung fasste er an den obersten Rand und zog sich schwungvoll hinauf.

       Er hockte einige Augenblicke auf der Mauer, nahm den von braunem Gras und blassgrünem Unkraut übersäten Innenhof in Augenschein. Ein Brunnen thronte in der Mitte, zwischen dessen losen Geröllbrocken Pflanzen wucherten. Wachsam suchten Kais Augen die Gräser ab, er besah sich das zertrampelte Gras genauestens, um ungewöhnliche Spuren zu entdecken.

       Auch als sein Blick zu dem halb verfallenem Holzhaus wanderte, das mehrere Meter in die Höhe schoss, wobei einzelne Stockwerke eine Wand zu wenig besaßen oder das Holz verkohlt und morsch war, fand er nichts verdächtiges. Der Wind zischte wie immer über die verrosteten Dachziegel, die das Dach zu einem spitzen Turm formten. Die turmähnlichen Häuser dahinter wurden von der untergehenden Sonne in rotgoldenes Licht getaucht.

       Eine kühle Brise kitzelte Kais Wangen und sein Blick wanderte nach links und nach rechts, aber dort waren nur die hölzernen Siedlungen der Armen zu sehen. Ein wenig weiter weg hörte er das Geräusch eines weinenden Jungen, eine Frau schimpfte, der Wind heulte. Schwarze Gewitterwolken ballten sich am Horizont zusammen.

       Einige Dächer weiter stieg eine Rabenschar flügelflatternd und kreischend in den Himmel. Kai erkannte, dass sie sich um etwas stritten, das gerade seine letzte Zuckung hinter sich brachte.

       Er landete leichtfüßig im hohen Gras und nahm den Dolch in seine Hände. Zielstrebig ging er auf das Haus zu, öffnete die quietschende Holztür und lugte hinein. Mehrere Stoffmatten lagen verstreut am Boden, das letzte bisschen Sonnenlicht fiel in zarten Strahlen durch feine Holzritzen in den Raum. Eine Katze mit feuerrotem Fell hockte in einer Ecke und blickte ihn mit großen, wachsamen Augen an.

       Kai lauschte einige Augenblicke, aber nichts im Haus verriet, dass sonst jemand da wäre. Also steckte er sein Messer zurück in den Gürtel und marschierte die knarrende Treppe hinauf.

       Ein Stockwerk weiter war die Wand zum Innenhof fast vollständig zerstört und offenbarte einen weiten Blick darüber. Verschiedene Holzbänke und Schemel waren hier aufgestellt. Oben, im letzten Stockwerk, das noch begehbar war, lag Kais Zimmer.

       Die Wände waren vollständig erhalten, allerdings war ein großes Loch im Boden. Eine Decke, die frei von jeglichen Löchern war und eine schäbige Kommode waren in einer Ecke des Raumes, gleich unter einem Fenster, von dem aus er über die Armenviertel blicken konnte.

       Kai trat zu seinem „Ausblick“ und ließ seine Augen über diese Viertel schweifen. Häuser waren niedergerissen worden und in den Schutthaufen gruben Jungen und Mädchen nach Wertschätzen. Stöcke waren in den Boden geschlagen und darüber spannten sich Decken. Verfallene, verkohlte und zerstörte Häuser säumten die Umgebung. Pflanzen schlangen sich an manchen Behausungen entlang und schienen sie verschlingen zu wollen. Sträucher und Kräuter wucherten bei einigen abgerissenen Zelten, vor denen sich verrostete Töpfe stapelten.

       Wilde Hunde und Katzen streunten durch die Straßen und wühlten in Abfallbergen und überquellenden Müllfässern. Geduckte Gestalten huschten durch die Gassen, zerlumpte Kinder rannten mit bleichen Gesichtern und ängstlich an sich gepressten Gegenständen an Kais Haus vorbei. Eine Gruppe von Männern und Frauen mit zerrissenen Gewändern und blutenden Wunden am ganzen Körper humpelte ein paar Straßen weiter um die Ecke, ein alter Mann zog einen Karren voller schmuddeliger Säcke hinter sich her.

       Kai lächelte, als er seinen Blick zum Horizont lenkte. Er konnte beinahe bis zu den saftigen, grünen Hügeln am Rande der Stadt sehen,