»Komm!«, sagte Alexandra zu Yosy, »dich muss ich erst mal fertigmachen.«
Sie zog ihn weiter, da rief Clara hinterher: »'xandra?!«
'xandra?, dachte Yosy.
»Lässt du mich den mal reiten?«
»Gerne!«, antwortete 'xandra, ohne sich jedoch umzusehen.
Sie betraten die Baracke, in der Yosy wohnen sollte: ein langer halbdunkler Gang, rissiger Betonfußboden und zu beiden Seiten vergitterte Einzelboxen. In jeder stand ein Pferd, das aus den Nüstern schnaubte und Yosy mit großen, glänzenden Augen ansah. Sein neues Heim war mittendrin: eng stehende Stangen, in die ein breites Schiebetor eingelassen war, und dahinter ein Verschlag, so groß, so klein wie das Zimmer bei seinen Eltern. Links und rechts geschlossene Bretterwände, die sich im oberen Drittel als Stahlstreben fortsetzten, und gegenüber eine weiße, schmutzige Wand. Statt eines Fensters gab es nur eine quadratischen Öffnung im Mauerwerk.
Yosy sah 'xandra an. Und 'xandra sah ihn an.
»Hich hin hoch heing Her!«, sagte er und versuchte mit viel Kraft, die Zunge im Mund richtig zu bewegen. Schon als Kind hatte er nie viel gesprochen, aber er hatte. Wenn es sein musste, war er sogar ein guter Redner gewesen, in der Schule, beim Gedichteaufsagen und so weiter ...
»Ja, mein Süßer ...«, 'xandra strich ihm über den Nasenrücken, »ja, ich werde dich gleich putzen und füttern, und du kriegst auch was gegen die Stiche.«
»... chhein Bwerth!«, versuchte Yosy es erneut, »hein Bwerhd, hack, hack, hackein Pfffert, hin ho kchein Bwerd! achein ... achein ... ckein ...«
'xandra schaute ihm fragend in die Augen. »Ach Yosy, wie süß du sprechen kannst, wir werden das richtig üben, weißt du, die werden mich beneiden hier, du bist richtig gut. Du, wir werden zusammen reiten, durch die Felder, und du wirst mir von dir erzählen, und ich dir von mir ...«
Wieder strich sie ihm über diese entsetzlich große Nase, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief und er zurückscheute. Unwillkürlich kam ein Ton aus seiner Kehle, der wie ein Wiehern klang.
»... Pferd!«, presste er erschrocken hervor.
»Genau!«, sagte sie, »gutes Pferd, bestes Pferd von Welt!«
Sie kicherte.
Schatt kam und schleppte zwei Blecheimer herbei, deren Henkel er sich in die Ellenbogen geklemmt hatte. Aus einem dampfte es und der andere roch nach Knoblauch.
»Schatt, Jung'!«, sagte 'xandra nur, »und das Tuch?«
»Ach ... Tuch, ja ja, hol' dat!«
Schon stiefelte er hastig davon. 'xandra griff aus dem dampfenden Eimer, der eine Schaumkrone hatte, einen klitschnassen Schwamm und wusch Yosy. Das warme, fast heiße Seifenwasser brannte auf den Insektenstichen, aber es fühlte sich gut an, es kribbelte, wenn der Schmerz nachließ und wenn der feuchte Film auf der Haut verdampfte, abkühlte und verdampfte. Sie wusch erst den krummen Rücken, dann von unten den Bauch, auch den faltigen Zipfel, den aber nur oberflächlich, wobei sie mehrmals »Puh!« machte.
»Gib Pfötchen!«, sagte sie dann. Und als er ihr die Hand hinhielt, packte sie das Hufeisen, nahm seine tauben, krumm geschlagenen Finger und massierte sie von oben, wusch mit dem Schwamm das getrocknete Blut heraus, spreizte die Knöchel, so gut es auf dem Eisen ging, und sagte immer wieder Dinge wie »Hm, gut, ja gute Füße, gut, ...«
»Hänn'e ...«, versuchte ihr Yosy zu erklären, aber sie kicherte nur, schien rundum glücklich darüber zu sein, dass Yosys Klauen so gut entwickelt waren. Er selbst sah das anders, aber es konnte nicht schaden, wenn seine neue Besitzerin zufrieden war. Mit dem Tuch, das Schatt brachte, rubbelte sie ihn trocken, massierte seinen ganzen Körper und kam selbst ins Schwitzen. Der zweite Eimer enthielt eine glasige Salbe, Yosy schnupperte: Knoblauchsalbe. 'xandra zog mit den Fingern einen fetten Klumpen heraus und rieb damit die unzähligen Pickel ein, die die Fliegenbisse hinterlassen hatten. Die Salbe brannte, aber Yosy ächzte nur zwei- oder dreimal, hatte sich ansonsten unter Kontrolle. Denn alles hier war besser als die letzten Stunden in dem Hänger.
Dann war sein Gesicht an der Reihe. Mit dem Tuch, an dem die herausgerubbelten Talgreste aus seinen Körperfalten klebten, tupfte sie ihm vorsichtig über die Wangen. Dabei versuchte Yosy, zu begreifen, was überhaupt zu seinem Gesicht gehörte: die fleischigen Augenlider, die lange, lange Nase mit den münzgroßen Atemlöchern, die dicken Lippen, wie Gummischläuche, alles Schnauze eines fremden Tieres, mit dem er nur ganz allmählich vertraut wurde.
'xandra fasste mit beiden Händen seine aufrecht stehenden, kurzen Ohrenstumpen, die sie in seinen dichten Filzlocken suchen musste, zog seinen Kopf vor ihr Gesicht und sah ihm direkt ins Hirn. So nah verwandelten sich ihre kleinen, dunklen Augen in ein Gebirge, aus dem feine, mäandrierende Bäche ins Zentrum flossen, ins Tal, wo sie in einem stillen schwarzen See zur Ruhe kamen. Ihre Augenbrauen hoben sich zur Mitte hin an, ein Ausdruck der Fürsorge, das kannte er von seiner Mutter. Doch ihm war es nun genug. Er schüttelte seinen Kopf, worauf sie ihm zärtlich vor die Nase boxte.
»Schatt, was ist mit Futter?«
Der Angesprochene gehorchte prompt und verschwand.
»Ja, ja«, murmelte sie mehr zu sich selbst, »diese Stallburschen ... ach was soll's, gut, dass wir sie haben, was!?«
»Ha'ong, Hng, Hng!«, antwortete Yosy und wusste selbst nicht, was er eigentlich sagen wollte.
Schatt kam zurück, hatte erneut einen Eimer dabei, aus dem ein übler Geruch aufstieg. Ungewaschene Würste, klebrig, fleckig, roh, und keinem Menschen mehr zumutbar. Und obwohl Yosy bewusst war, dass er noch vor zwei Tagen diese Würste niemals gegessen hätte, überkam ihn nun eine übermächtige Lust genau darauf, auf dieses Verwesende, Faulige, Eklige. Es war eine Gier, die ihn tänzeln ließ, und aus seinem Maul kamen ungewollte Laute, geradezu ein Quieken.
»Ja eiiih! Hatter Hunger der Kleine, ne wie süß!«, rief 'xandra, und ohne allzu großen Widerwillen zog sie einen dieser labberigen Tentakel aus dem Pott, ließ ihn vor Yosys sabbernder Schnauze - ja, er sabberte! - hin und her baumeln, und sagte: »Mach schön 'bitte, bitte'!«
»Hiheä, hiheä!«, japste Yosy, und Speichel tropfte dabei an seinem Kinn herunter.
»Ja feiiin!«, rief sie, und Schatt räusperte sich im Hintergrund. Yosy konnte nicht mehr anders, seine spitzen Zähne schnappten wie ein Piranha nach dem Fleisch.
»Hoppala!«, sie zog ihre Hand zurück, doch da hatte er das glitschige Etwas schon gepackt, zerrte und riss es an sich. Ohne Hilfe seiner Finger, aber mit erstaunlichem Geschick warf er sich die Wurst ins Maul und schlang sie hinunter. Der Geschmack war nicht so streng wie der Geruch, eher fade, ein schleimiger Brei in einer festen Pelle, die er mit seinen spitzen Zähnen kaum zermahlen konnte und schließlich am Stück hinunterwürgte.
»Hatta Kohldampf, wa?«, brummte Schatt, worauf 'xandra, die einigermaßen erschrocken über Yosys Attacke war, ihn anfuhr: »Habt ihr ihm nichts gegeben?«
»Jawoll, hamwa! Stück Fleisch hatter, Mann!«
»Den alten Knochen von Herrn Markwart? Sonst nichts?«
»Ja wie, watt denn sonst, ham nix ...«
»Schatt, ihr seid hirnlose Idioten, habt nicht mehr im Kopf als der arme Yosy, schlimmer seid ihr, mach dich weg!«
Schatt trottete davon und ließ die Schultern demonstrativ hängen. Yosy hatte sich in den wenigen Augenblicken dieses Gesprächs bis zum Grund des Eimers durchgefressen. Doch seine Schnauze war neuerdings so lang, dass seine Augen, während er die Reste aufleckte, noch über den Rand lugten und zusehen konnten, wie der Stallbursche in der Dunkelheit verschwand.
Für einen Moment war es ruhig. 'xandra betrachtete ihn, wie er den Boden des Eimers beschnupperte. Yosy schloss die Augen. Er vermisste sein Zuhause, ausgerechnet