Die Gebäude waren eher lange Baracken als Häuser; über dem Erdgeschoss mit Wellblech abgedeckt, die Fassaden zwar weiß getüncht, aber im Sockelbereich mit einem schmutzig-grauen Schleier aus aufspritzendem Schlamm überzogen. Statt Fenstern gab es nur fensterartige Öffnungen in den Wänden, aus denen graue Pferdeköpfe herausschauten. Ein großes Schutzdach, ebenfalls Wellblech, beherbergte ein paar landwirtschaftliche Fahrzeuge und allerlei Gerät: uralte oder altmodische Traktoren, Eggen, Sensen und auch einige Pferdehänger. Nur weiter hinten stand ein kleines Wohnhaus mit Ziegeldach, richtigen Fenstern und umgeben von einem Garten. Der war grau, alles war grau, und der Boden eine Mischung aus grauem Schlick und Stroh, und hier und da schimmerte Asphaltbeton durch.
Jemand lachte. Dann ein zweiter, und schließlich lachten alle, kamen näher, schwatzten und schon hatte Yosy wieder neugierige Hände auf seiner Haut. Besonders der kleine Dicke tat sich dabei hervor. Die um Yosy Versammelten - es waren hauptsächlich Frauen und nur wenige Männer - trugen hohe Lederstiefel in dunkelgrau oder schwarz, eng anliegenden Hosen, ebenfalls dunkelgrau oder schwarz, sowie weite Hemden, dunkelgrau, hellgrau oder weiß. Manche hatten einen Reithelm auf dem Kopf, und einige eine Art Harnisch umgeschnallt, ein Panzer gegen Stöße oder Stürze. Yosy fiel auf, wie unterwürfig Schatt und der Andere sich benahmen. Als fühlten sie sich schuldig, hatten sie die Köpfe eingezogen und rauchten gebeugt abseitsstehend ihre Zigaretten.
Dann sah Yosy eine Frau. Sie war eher klein als groß, schlank, trug eine grau geblümte Bluse, eine helle Reithose, und das glatte, dunkle Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten. Sie stellte sich mit in die Seite gedrückten Fäusten vor die beiden Kerle und redete auf sie ein. Da noch immer alle durcheinanderredeten, konnte Yosy nicht verstehen, was sie sagte, doch als sich Schatt zaghaft verteidigte, wurde sie lauter, schrie ihn an und winkte dann den dicken Mann herbei, der offenbar eine Art Anführer war.
»... wofür ich soviel bezahlt habe? Was meint Ihr Halbgescheiten wohl? Dafür? DAFÜR? Der ist halb verdurstet und zerstochen, der ist schmutzig und überhaupt eine furchtbare Erscheinung. Nicht das, was ich haben wollte! Nicht das!«
Schatt wurde ganz klein, zog sich im ganzen Körper zusammen, und als der Dicke ihn in die Seite boxte, ließ er es über sich ergehen.
»Hnnnngh...!«, rief Yosy, schüttelte sich, wackelte mit dem Kopf und stapfte zu der Gruppe. Er wollte etwas zur Verteidigung der beiden sagen, aber seine Zunge war noch immer wie gelähmt.
»Yosy«, sagte Schatt, als er ihn sah, »Yosy, du guter, war'n'wa nicht schlecht zu dir, haben' wa dich gefüttert, hattest Wasser und ...«
Er fasste Yosy grob aber gutwillig auf den langen Nasenrücken, drückte ihm die Nüstern zusammen und tätschelte mit der anderen Hand seine muskulösen Wangen.
Yosy riss seinen Kopf los und sah die Frau an. Das also war seine Besitzerin. Yosy gehörte dieser Frau! Er hatte sich das nie überlegt, dass er jemandem GEHÖRTE, und wenn, dann seinen Eltern. Doch nun wurde er besessen von dieser Frau.
Ihr Gesicht war schmal. Sie hatte dünne Fältchen über und unter den Wangenknochen, feine, schüttere Linien, die in den Augen- und Mundwinkeln entsprangen und sich zu den Seiten hin verloren. Die Augen waren klein, zu klein für die vielen Wimpern, und sie glänzten wie unter einem immerwährenden Tränenfluss. Die Nase fiel kaum auf, dafür die Lippen wie gezeichnet: zierlich geschwungene Schnörkel oder Tintenkleckse.
Der Dicke hatte sich dem Anderen zugewandt, schimpfte und verpasste ihm Ohrfeigen und Tritte. Auch die übrigen Leute waren nicht sparsam mit abfälligen Bemerkungen über die schlechte Behandlung. Yosy grunzte und drückte sein Gesicht vor Schatts Bauch, wozu er sich hinunter beugen musste. Er rieb seine Stirn an dessen Brustschweiß und fühlte die Bartstoppeln im Nacken, weil auch Schatt seinen Kopf senkte. Der Andere jammerte, weil der Dicke trotz Yosys versöhnlicher Geste einfach nicht mit dem Schlagen aufhören wollte. Schließlich musste die Frau den Prügler zurückhalten.
»Ist gut!«, sagte sie, »Ihr zwei Pasemackel holt jetzt zu essen für unser'n Kleinen, und einen großen Eimer kalt' Wasser. Ich werd' ihn zu seiner Box bringen und putzen.«
Der Dicke hörte auf, sagte sogar: »Besser ist, sonst schlag' ich die noch tot.«
Jemand lachte, und als Yosy sich umsah, war es der Fahrer, der auf seinem Sitz bei geöffneter Wagentüre saß. Er hatte sich scheinbar gut erholt. Ihm gab man keine Schuld an Yosys Zustand, der längst nicht so schlimm war, wie die Leute dachten. Noch immer wurde vereinzelt auf die beiden Männer geschimpft, aber allmählich gingen die Leute auseinander.
»Komm mein Kleiner!«, sagte Yosys Besitzerin, »Ich bin die Alexandra! Und das hier ...«, sie machte eine ausladende Geste, »ist unsere Trostflucht. Dein neues Zuhause!«, worauf Yosy ganz unwillkürlich das rechte Vorderbein hob und seine große Hand ausstreckte - und bei der Frau echtes Entzücken auslöste.
»Wie süß!«, fand sie, »Seht nur, wie er Pfötchen gibt!«, was Yosy aber peinlich war. Er war doch kein Hund! Ein wenig empört versuchte er, mit seiner Hand die ihre zu schütteln. Doch das Hufeisen verhinderte, dass die Handflächen sich berührten. Also versuchte er, zu sprechen: »Hich ... hich hing Hhoohsy!«
»Ho... Yo... Yosy, ja ja, du Yo-Yo-Yosy, ich 'xandra!« Sie lachte, zog aber ihre Hand schnell wieder zurück.
»Haaa... Yoohsei!«, sagte er. Das klang schon ganz gut, versuchte er sich einzureden, vielleicht wurde es mit dem Sprechen langsam besser. Alexandra knuffte Yosy in die Seite, packte ihn am Strick und zog ihn mit sich.
Sie gingen ein Stück, kamen an dem Wohnhaus mit dem grauen Garten vorbei; graues Gras und graue Sträucher, sogar graue Äpfel an einem grau belaubten Obstbaum. Die Frau schien das nicht zu stören, sie gingen einfach weiter, folgten dem nicht erkennbaren Weg zwischen den gleichförmig aneinandergereihten Baracken.
Vor einer stand eine kleine prügelnde Frau. Eine Frau, an der alles spitz war: spitze Nase, spitzer Kopf und der Körper wie eine Nadel. Sie hatte sich ihren Gürtel abgezogen und drosch mit angelaufenem Gesicht auf eine Kreatur ein, die Yosy entfernt an ein Schwein erinnerte. Kein gewöhnliches Hausschwein, aber ein dickes, haariges Tier mit kurzen Beinen, das zusammengekrümmt und in seiner ganzen Masse wehrlos ergeben vor ihr lag. Es wimmerte und Yosy fragte sich, ob es zu fett oder zu schwach war, um wegzulaufen oder sich zu wehren.
Die wenigen Leute, die hier unterwegs waren, machten einen Bogen um die Schlägerei und schauten betreten zur Seite, aber Yosy sah ihnen an, dass niemand das Prügeln billigte.
»Und - jetzt - rein - rein - mit - dir - und ...«, mit jedem Wort setze es einen peitschenknallenden Hieb. Ihre hohe Stimme tat weh in den Ohren. Armes Schwein, dachte Yosy, oder eher: armes Nichtschwein.
»Arme Elke«, murmelte Alexandra und sah Yosy unsicher von der Seite an. Sie wollte ihn schon in einem Bogen daran vorbeiführen, da tschilpte die prügelnde Frau: »Hallo 'xandra! So ein Miststück, ich sag's dir, so ein verdammtes ...«, der Gürtel peitschte, Elke schrie, »... Miststück! Hat mich abgeworfen, im Feld, wegen einem ...« - Klatsch! - »Hasen! Stell dir mal ...«
»Hallo Clara«, antworte Alexandra, »ein Glück, dass dir nichts passiert ist!«
»Dein Neuer, oha!«, die Prüglerin keuchte.
»Ja, Yosy, das ist Yosy, er gibt Pfötchen, gib ihr Pfötchen, Yosy, mach, gib, los, mach schon!«
Yosy hielt sich so gut es ging auf Distanz, Alexandra zerrte an dem Strick, um ihn an die Frau, die sie 'Clara' genannt hatte, heranzuführen.
»Hat Angst, der Kleine?«
Das Nichtschwein Elke sah Yosy zwischen ihren Armen hindurch an.
»Der scheut, wegen Elke sicher ...«, sagte Alexandra.
»Die ist lieb!«, Clara gelang eine um mehrere Oktaven tiefere Tonlage; sie brummte wie ein Mann und legte Elke einen Arm um den Hals, wie ein Holzstäbchen, das in der Mitte abknickte.
»Du bist lieb, Elke, hm?«
Sie streichelte das Tier und entfernte