Queenie. Doris Bühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Bühler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738014495
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eintreffen sollte.

      “Was ist nun, setzen wir uns noch ein Weilchen zusammen?” wiederholte Kevin seinen Vorschlag.

      Oliver nickte. “Klar! Einverstanden!”, rief er zurück.

      “Prima. Dann treffen wir uns in ein paar Minuten. Ich muß mir nur schnell was anziehen.”

      Eine halbe Stunde später saßen sie sich im Restaurant des Hotels bei einem Glas Jever gegenüber. Der

       Seestern

      war eines der vielen Strandhotels, die sich entlang der Promenade des Südstrandes, zwischen Kaiser-Wilhelm-Brücke und der ersten Hafen-Einfahrt, eng aneinanderreihten. Die Gaststube war nicht besonders groß, reichte über Mittag oft kaum aus für die zahlreichen Feriengäste, unter denen sich die gute Küche herumgesprochen hatte. Durch allerlei maritime Gegenstände, mit denen der Innenraum dekoriert war, wirkte er anheimelnd und gemütlich. Die Gardinen ließen das untere Drittel der Fenster frei, so konnte man ungehindert auf die Promenade, über den Strand und hinaus aufs Meer schauen.

      Die Sonne war inzwischen untergegangen, die Möwen hatten sich auf ihre Schlafplätze zurückgezogen. Die Badegäste flanierten, zum Ausgehen zurechtgemacht, auf der mit Lichterketten beleuchteten Strandpromenade auf und ab oder saßen an den kleinen Tischen vor den Hotels, - vor dem S

       eeblick

      , der

       Seenelke

      oder dem

       Delphin

      ...

      “Wie lange hast du vor, zu bleiben?”, wollte Kevin wissen.

      Oliver hob die Schultern. “Keine Ahnung, ich hab mich noch nicht festgelegt. Es gibt hier einiges zu erledigen für mich, und bevor das nicht abgeschlossen ist...”

      “Geschäftliches?”

      Oliver klopfte mit einem Bierdeckel den Takt zur Musik, die leise aus dem Lautsprecher über der Tür kam. Er überlegte, ob er Kevin von seinem Vorhaben erzählen sollte.

      “Nein, Privates”, sagte er. “Es ist eine ganz persönliche Angelegenheit, die ich hier zu klären habe.”

      Kevin hob abbittend die Hände. “Sorry, ich wollte nicht neugierig sein.” Er grinste. “Ich vermute mal, es geht, wie immer, um eine hübsche junge Frau. Hab ich recht?”

      Oliver lächelte flüchtig. “Um eine sehr hübsche Frau sogar. Nur ist sie inzwischen längst gestorben. Es geht um meine Großmutter.”

      Kevin hob interessiert die Augenbrauen. “Ahnenforschung?”

      “So könnte man sagen. Vor Kurzem bin ich auf alte Unterlagen und Dokumente gestoßen, die mir Aufschluß über meine Großeltern mütterlicherseits geben könnten. Ich habe bisher nichts über sie gewußt. Nun habe ich herausgefunden, daß sie hier in Wilhelmshaven gelebt haben. Oder sogar noch leben, was meinen Großvater betrifft.”

      “Der dürfte inzwischen schon ziemlich alt sein, oder?”

      Oliver nickte. “Schätze, ja. Wenn er in den Dreißiger-Jahren geboren wurde, müßte er jetzt um die siebzig sein.”

      “Hast du Anhaltspunkte? Weißt du, wo du anfangen kannst, nach ihm zu suchen?”

      “Nein, im Hinblick auf ihn gibt es nichts, woran ich mich halten könnte. Ich muß bei meiner Großmutter anfangen. Anhand der alten Urkunden weiß ich, daß sie erst sechzehn war, als sie meine Mutter zur Welt gebracht hat. Kurz nach der Geburt ist sie gestorben. Leider gibt es keinerlei Hinweise auf den Vater des Kindes, sie hat keinen Namen angegeben. Vielleicht wußte er nicht einmal, daß er Vater einer kleinen Tochter geworden war, und somit ahnt er auch nicht, daß er inzwischen sogar einen Enkelsohn hat.”

      “Und was sagt deine Mutter dazu? Weiß sie nicht ein bißchen mehr?”

      “Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, deshalb bin ich bei meinen Großeltern väterlicherseits aufgewachsen. Ich war fünf, als es passierte, ich kann mich kaum mehr an sie erinnern.” Er nahm einen Schluck aus seinem Bierglas und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund. “Wie es aussieht, bin ich der einzige, zumindest von Seiten meiner Mutter, der noch am Leben ist. Es scheint das Schicksal dieser Familie zu sein, jung zu sterben.”

      “Das sind ja schöne Aussichten”, meinte Kevin lakonisch, fügte dann aber aufmunternd hinzu: “Laß dir dadurch bloß nicht die Freude am Leben verderben. Es muß dir ja nicht ebenso ergehen. Irgendwann wird jede Serie einmal unterbrochen. Ich wette, du wirst der erste deiner Sippe sein, der so alt wird wie Methusalem. - Bist du eigentlich verheiratet?”

      “Nein.”

      Kevin musterte ihn aus schmalen Augen. “Du bist schätzungsweise... Mitte zwanzig, stimmt’s?“

      "Ins Schwarze getroffen, ich bin fünfundzwanzig.”

      “Und immer noch frei wie ein Vogel?”

      Oliver lachte. “Immer noch frei wie ein Vogel”, wiederholte er. “Die Richtige ist mir einfach noch nicht über den Weg gelaufen.”

      “Das kommt schon noch, nur keine Panik.”

      “Panik?” Er schüttelte den Kopf. Seine letzte Beziehung war vor knapp einem Jahr zu Ende gegangen, weil er sich in die Enge getrieben gefühlt hatte. “Nein, Panik hab ich nicht. Gut Ding braucht Weile.”

      “Recht so! Du hast noch viel Zeit. Bei mir sieht’s allerdings etwas anders aus, meine Zeit ist so gut wie abgelaufen.” Kevin seufzte theatralisch. “Meine Freundin ist schwanger.”

      “Deshalb muß man doch heute nicht mehr gleich heiraten. Das war zu Zeiten meiner Großmutter noch wesentlich problematischer.”

      Kevin nickte. “Das ist richtig. Zuerst hatten wir auch vor, auf den Trauschein zu verzichten, - für die erste Zeit jedenfalls. Dann haben wir uns aber überlegt, daß es vielleicht doch besser ist, wenn alles seine Ordnung hat. Auch für das Kind, verstehst du? Nun haben wir den Hochzeitstermin für den September festgelegt.”

      Kevin begann, ausführlich von seinen Hochzeitsvorbereitungen zu erzählen, und weil Oliver ihn mochte, versuchte er, zumindest den Eindruck zu erwecken, als fände er das Thema überaus interessant. Doch das Zuhören fiel ihm immer schwerer, deshalb war er froh, als sein Gegenüber anfing zu gähnen und schließlich den Vorschlag machte, den Abend zu beenden.

      Gegen elf Uhr stiegen die beiden neuen Freunde miteinander die Treppe zu den Zimmern hinauf und verabschiedeten sich vor Kevins Tür.

      “Man sieht sich morgen”, sagte Oliver.

      “Das hoffe ich doch! Bis dahin, gute Nacht.”

      Olivers Zimmer war klein und schmal, - gerade groß genug für ein Bett, einen Tisch und zwei kleine Sessel. Durch den nachträglichen Einbau einer Naßzelle war es noch enger geworden, hatte aber die Montage eines versteckten Schrankes möglich gemacht, in dem er die wenigen Habseligkeiten, die er mitgebracht hatte, gut unterbringen konnte.

      Er duschte, schlüpfte in seinen Bademantel und trat noch einmal auf den Balkon hinaus. Von der Promenade her war das Gemurmel der Gäste zu hören, die noch immer vor den Lokalen saßen. Dazwischen klang hin und wieder ein Lachen zu ihm herauf, das Bellen eines Hundes und von irgendwoher Musik. Und im Hintergrund das leise Rauschen des Meeres.

      Er ging ins Zimmer zurück, nahm die Mappe mit den alten Unterlagen aus dem Schrank, setzte sich aufs Bett und breitete den Inhalt neben sich aus: Dokumente und Bilder von Menschen, die er nicht gekannt hatte. Vergilbt und an manchen Stellen eingerissen. Die Fotos fleckig, mit Zackenrand und eingeknickten Ecken. Die meisten zeigten Britta Warrings in verschiedenen Altersstufen. Auf einem davon spielte sie als Kleinkind mit Eimerchen und Schaufel in einem Sandkasten. Jemand hatte

      "

       Unser Sonnenschein Britta im Sommer 1945"