Indigo und Co.:
Nun haben Sie ein paar ganz brauchbare Methoden kennengelernt, Ihr Kind als derart krank darzustellen, dass niemand einen prüfenden Blick auf ihre Erziehung wirft. Und dies bringt Sie einen entscheidenden Schritt weiter, das entspannte Leben zu führen, welches Sie vor der Geburt Ihres Kindes genießen durften. Aber vielleicht sind Ihnen die vorgestellten Störungen nicht en vogue genug? Oder Sie halten es für ratsam, aufgrund Ihrer eigenen psychischen Verfassung einen großen Bogen um Ärzte zu machen? Dann darf ich Ihnen zum Abschluss noch ein besonderes Bonbon vorstellen, eine esoterische Tarnkappe für eine misslungene Erziehung aus der Ecke mit den Klangschalen und den Räucherstäbchen. Es handelt sich dabei um eine Auffälligkeit, mit der Sie auf jedem Wiedergeburtsworkshop punkten: dem Indigokind. Das Indigokind kann kurz und bündig als verstrahlter Versuch gesehen werden, die eigenen verzogenen Gören als Vorboten einer neuen Weltordnung und als Ankündigung einer höheren Macht durchzuschmuggeln. Seit der Blütezeit der New Age Bewegung werden angeblich immer mehr Kinder mit indigofarbener Aura geboren. Die Aura ist bekannterweise eine feinstoffliche Hülle, die den Menschen umgibt und nur von wenigen selbsternannten Sehern wahrgenommen werden kann. Nicht zu verwechseln ist die Aura übrigens mit jener feinstofflichen Hülle, die viele Mitmenschen umgibt und als Geruch nach Schweiß, Alkohol und kaltem Rauch wahrgenommen werden kann. Diese feinstoffliche Hülle nennt man nicht Aura, sondern Aroma. Mittlerweile soll jedes neugeborene Kind mit einer indigofarbenen Aura auf die Welt kommen, was laut den Anhängern dieser These auf die unmittelbar bevorstehende Ankunft einer höheren, kosmischen Macht hinweist. Es kann aber auch nur auf einen besonders desolaten Zustand der heutigen Erziehung hinweisen.
Indigo ist ein tiefblauer Farbstoff, fast schon ins Violette übergehend und nicht unähnlich der Farbe eines Hämatoms am Auge, kurz nachdem man im Vollrausch gegen den Türrahmen gerannt ist. Und wahrscheinlich genau bei einer solchen Kollision mit dem Türrahmen ist auch die Idee mit den Indigokindern entstanden. Bemerkenswert an der Aura dieser neuen Superkinder ist, dass sie mit Indigo zufälligerweise eine Farbe hat, wie man sie auch in den Engelskarten und den wehenden Tüchern der ausdruckstanzenden Eltern findet. Auch klingt Indigo in der Szene irgendwie mystisch und nicht so unsexy wie beispielsweise der Farbstoff Bismarckbraun. Indigos sind die Königskinder in der Krabbelgruppe, was natürlich auch eine schmeichelhafte Sichtweise für deren Eltern darstellt. Diese Kinder scheinen zu wissen, dass sie die Vorboten einer höheren Macht sind und sie können über die weltlichen Alltagsprobleme ihrer bürgerlichen Mitmenschen nur milde lächeln. Als Hochwohlgeborene ignorieren sie natürlich alle gewöhnlichen Vorschriften und Regeln. Weil sie sich weigern, ein Rädchen im Schulsystem und der von spießbürgerlichen Vereinen diktierten Freizeitgestaltung zu sein, werden sie von uneingeweihten Prolls gerne als Störenfriede und Außenseiter angesehen, die am Leistungsprinzip scheitern, früh von der Schule fliegen und einen gewissen Hang zu bewusstseinserweiternden Substanzen haben. Ohne das Geheimwissen um deren Erhabenheit könnte man Indigokinder deshalb fälschlicherweise mit ADHS-Patienten verwechseln. Dabei wirken Indigokinder durch die esoterische Brille betrachtet überhaupt nicht wie zappelige Krawallbrüder, sie hinterfragen nur eben bestehende und längst überholte Sichtweisen. Wenn man es sich nur oft genug einredet, erkennt man deshalb bei Indigokindern eine enorme Tiefe der Seele, so als spreche man mit einem Erwachsenen, der schon alles gesehen und erlebt hat. Dies wiederum ist kein Wunder, wenn der Kleine mit 12 Jahren schon seinen dritten Entzug hinter sich hat.
Jetzt sollten Sie sich als gestresste Eltern von gewöhnlichen Kinderzimmerterroristen nicht von dem Hokuspokus um die Vorboten einer neuen Weltordnung abschrecken lassen. Stattdessen dürfen Sie die Vorteile sehen, die Ihnen durch die offene Tempeltür der Indigobewegung geboten werden. Ähnlich wie bei der Störung des Sozialverhaltens, dem Asperger Syndrom und dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom sind nämlich die Merkmale für das Indigokind so allgemein gehalten, dass sie quasi zu jeder kleinen Nervbacke passen. Indigokinder benehmen sich kurz auf den Punkt gebracht wie Kids, die nicht erzogen wurden. Sie kennen keine Regeln und ja, sie verhalten sich wie Paschas. Klar denken sie, dass ihnen die Sonne aus dem Hintern scheint, ihre Eltern haben ihnen schließlich noch nie Grenzen aufgezeigt. Die Gören sind rotzfrech, halten sich für etwas Besonderes und machen nicht, was man ihnen sagt. Während sie sich einreden, sie hätten als einzige die Ahnung von der Welt, durchlaufen sie die drei überflüssigsten Jahre ihres Lebens: die fünfte Klasse. Und die höhere Macht, auf deren Ankunft sie hinweisen, ist höchstwahrscheinlich der Jugendrichter.
Wenn Ihr Nachwuchs aber partout nicht die Rolle des Engels mit dem Schwert spielen will, sondern eher eine langweilige, antriebslose Töle ist, dann preisen Sie Ihr Kleines doch einfach als Kristallkind an. Wenn der Indigobalg dem rebellischen ADHS´ler entspricht, dann ist das Kristallkind ein ADH-Kunde vom Typ Träumer. Es erscheint wissend, allerdings mit verzögerter Sprachentwicklung. Fälschlicherweise werden Kristallkinder gerne als Autisten diagnostiziert, dabei klingt doch schon ihr Name nach einer geheimnisvollen Schatztruhe der sicherlich auserwählten Eltern. Kristallkinder